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Diskussionsrunde mit Bundestags-Kandidaten

Wahl Lokal Sozial

Donnerstag, 31. August 2017, 06:00 Uhr
Altersarmut, Rentenversicherung, Solidarität und Gerechtigkeit - im Nordhäuser Mehrgenerationenhaus befasste man sich heute mit den ganz großen Themen der Sozialpolitik. Der Landesverband des Paritätischen hatte vier Kandidaten zur Bundestagswahl geladen um über drängende Zukunftsfragen zu sprechen...

Podiumsdiskussion zu sozialen Fragen im Mehrgenerationenhaus (Foto: Angelo Glashagel) Podiumsdiskussion zu sozialen Fragen im Mehrgenerationenhaus (Foto: Angelo Glashagel)


Eingeladen hatte der Thüringer Landesverband des Paritätischen, der ähnliche Touren durch die Regionen der Republik schon seit 2005 organisiert. Es sei die tiefe Überzeugung des Verbandes das es Räume und Runden wie diese seien, die Demokratie lebendig machten, sagte Stefan Werner vom Paritätischen. Man wolle sich Jenseits von populistischen Verlautbarungen in respektvollen Diskurs miteinander unterhalten. Vermutlich dürfte dies auch der Grund gewesen sein, warum der Kandidat der AfD nicht zugegen war.

Es solle "punktgenau und themenorientiert" diskutiert werden, zwei Themenblöcke hatte man sich gesetzt: Altersarmut und Steuerpolitik sowie soziale Teilhabe und Inklusion.

Als Disputanten hatten sich Kersten Steinke (die Linke), Manfred Grund (CDU), Steffen-Claudio Lemme (SPD) und Stefanie Kespohl (Bündnis 90' Die Grünen) eingefunden.

Drei der Anwesenden haben ihre Spuren im Bundestag schon hinterlassen, für die Region sei vor allem das Programm "soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt" wichtig gewesen, für das man sich in Berlin stark gemacht hätte, sagte Gastgeber René Kübler. Die Politik mache nicht alles gut aber vieles richtig, meinte Kübler, der selber SPD Mitglied ist.

Man müsse auch Anwalt sein für diejenigen, denen es nicht so gut gehe, gemeinsames Tun reduziere Ängste und schaffe Vertrauen, so der Gastgeber weiter, und riss damit schon einmal eines der Themen der anstehenden Runde an.

Armut bei Jung und Alt

Ein paar Zahlen hatte Stefan Werner parat, der in der Runde die Interessen des Paritätischen vertrat. 22,8 % Kinderarmut gebe es in Thüringen, das betreffe nicht nur Harzt IV Empfänger, sondern auch diejenigen Familien weniger als 60% des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung haben. Für Singles liegt der Schnitt bei etwa 900 Euro, bei Familien mit zwei Kindern bei 1.600 Euro, so Werner.

Der Paritätische, bekannt für seine Armutsberichte, identifiziert mehrere Kernprobleme: alle Kinder würden der Grundsicherung bedürfen und könnten nicht als "kleine Arbeitslose" gehandelt werden. Alleinerziehende Mütter bedürften mehr Unterstützung. Man fordere seit geraumer Zeit ein geförderten Beschäftigungssektor, anders werde man die Gruppe der Personen nicht erreichen können, wenn man sie aus der Situation rausholen möchte. Weiterhin fordere man ein Umdenken in der Steuerpolitik, der Spitzensteuersatz sollte hierzu geändert werden. Die Altersarmut werde im Osten von 2 auf 8 Prozent steigen, die staatliche Rente müsse ausgebaut werden, private Vorsorge funktioniere nicht wenn man die Menschen nicht ausstatte um privat vorsorgen zu können, erklärte Steinke.

v.l.: Stefanie Kespohl, Manfred Grund, Hartmut Kaczmarek, Steffen-Claudio Lemme, Kersten Steinke und Stefan Werner (Foto: Angelo Glashagel) v.l.: Stefanie Kespohl, Manfred Grund, Hartmut Kaczmarek, Steffen-Claudio Lemme, Kersten Steinke und Stefan Werner (Foto: Angelo Glashagel)


Dass die Einkommen im Land ungerecht verteilt sind, da sind sich alle einig, Reiche stärker besteuern würden aber nur Steinke und Lemme. Der Spitzensteuersatz solle da bleiben wo er ist, sagte Grund, die Einkommensunterschiede hätten sich seit 2005 geschlossen, große Unterschiede gebe es hingegen bei den Vermögen. Bei der Steuer sei man gut aufgestellt, sie greife aber zu früh bei niedrigen Einkommen. In der SPD sei man der Meinung das Handlungsbedarf bestehe, Armut gebe es, sagte Lemme, das sei auch eine Frage der Löhne und Gehälter. Erst ab einem Einkommen von 60.000 Euro im Jahr sollte der Steuersatz von 42% greifen. Die Beschäftigten sollten zudem von den Sozialabgaben entlastet werden. Bei der Erbschaftssteuer müsse man härter rangehen, auch "eine Art Reichensteuer" von zwei bis drei Prozent sei denkbar. Die gesetzliche Rente müsse so attraktiv gemacht werden, dass mehr Leute hier einzahlen, man werde bestehende Sicherungssysteme nicht einfach enteignen können.

Diese "dicken Bretter" zu bohren müsse man sich dennoch trauen, meinte Kersten Steinke von der Linken, "wir müssen es anfangen, der politische Wille ist nur im Moment nicht da". Die Solidarität untereinander müsse sich auf alle auswirken, auch auf Mütter, Niedriglohnbezieher und andere.

Der alte Spitzensteuersatz von 53% müsse wieder kommen, sagte Steinke, ein Land mit 1,2 Millionen Millionären und 2 Millionen armen Kinder könne es in einem Land wie Deutschland nicht geben. Vermögen über eine Million sollen mit 5% besteuert werden, 80 Millionen Euro soll das für den Staatshaushalt bringen. "Es gibt ein Missverhältnis in Deutschland das wir beseitigen müssen", sagte Steinke mit Hinblick auf die Lohnunterschiede bei Leiharbeitern und drohender Altersarmut.

Stefanie Kespohl möchte bei den Familien ansetzen, die Grünen forderten ein "Familienbudget" von 12. Milliarden um Familien zu unterstützen. Es könne nicht sein das sich Rentner um ihre Zukunft sorgten. Auf dem Arbeitsmarkt müssten die Voraussetzungen für private Vorsorge geschaffen werden.

Es müsse mehr in die Rentenkasse eingezahlt werden, sowohl von staatlicher Seite wie auch auf Seiten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, meinte Lemme. Der weitere Schritt wäre alle dazu zu bringen in die gesetzliche Kassen einzuzahlen, ähnlich wie in Österreich oder der Schweiz. Um eine "Bürgerversicherung" einzuführen brauche man einen "langen Atem".

"Nebenbei-Versicherungen" wie die Riesterrente seien Unsinn, sagte Kersten Steinke, Solidarität bedeute das alle einzahlten, auch Politiker und Beamte. Es könne nicht sein das man 45 und mehr Jahre gearbeitet hat und nicht existenzsichernd leben könne. Die Grünen wollen eine garantierte Rente durchsetzen bei der alle einzahlen, stimmte Stefanie Kespohl.

"Nichts ist so sicher wie die umlagefinanzierte Rente in Deutschland", sagte Manfred Grund. Ein tatsächliches Problem, die Schere zwischen Einzahlern und Beziehern, würden Modelle, bei denen alle einzahlen, nicht lösen. Leistung durch Arbeit müsse sich auch im Alter lohnen, wer aber die Transferleistungen erhöhe, dem würden die Leistungsträger wegbrechen.

Man müsse überlegen ob man die Rente nur über Löhne finanziere oder auch andere Quellen heranziehe, meinte Werner vom Paritätischen. Da wo die Einkünfte hoch lägen, würde man sich zunehmend aus solidarischen Modellen in private Angebote zurückziehen. Auch bei der Pflege müsse sich systematisch etwas ändern, so Werner weiter, die Löhne müssten steigen. Ein einseitiges "Teilkaskosystem" sei nicht fair.

100.000 Pflegekräfte würden bundesweit fehlen, es müsse eine bessere Bezahlung geben, pflichtete Kersten Steinke bei, der politische Wille für einen "Gesellschaftsvertrag" müsse da sein. Der Beitrag zur Pflegeversicherung sei noch zu niedrig, meinte Lemme, es gelte aber: ambulant vor stationär. Man dürfe pflegende Familien nicht pflegebedürftig machen, konterte Rolf Höfert, Vorsitzender des Paritätischen in Thüringen, aus dem Publikum. Auch im Bereich der Pflegeversicherung könne es eine dritte Säule ähnlich der Krankenversicherung geben. Eine weitere Überlegungen wären "Pflegekammern" als Interessensvertretung betroffener Gruppen, sagte Lemme.

Es war eine sachliche und, dank zahlreicher Einwürfe des Publikums, in Teilen eine sehr spezifische Debatte, gespickt mit Zahlen, Praxisbeispielen, klaren ideologischen Linien und mancher Überschneidung. Das es Rede- und Handlungsbedarf gibt in der Sozialpolitik zeigte der Abend exemplarisch, zum zweiten Themenblock gelangte man erst gar nicht. Rente, Pflege, Gerechtigkeit, Leistung und Solidarität, Krankenkassen, Niedriglohn, Ehrenamt - zu viele Baustellen, zu viele "dicke Bretter" für einen Abend, viel Arbeit für den kommenden Bundestag, wie auch immer der aussehen mag.
Angelo Glashagel
Autor: red

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