nnz-online
Bundestagspräsident Lammert zu Besuch in Nordhausen

Reformation! Was bleibt?

Sonntag, 18. Juni 2017, 15:10 Uhr
So ziemlich jede Veranstaltung schien trotz der Vielzahl an Möglichkeiten gestern ihre Gäste zu finden. Die Ausnahme von der Regel bildete gestern ausgerechnet der Besuch des Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert. Eine Schande angesichts Lammerts durchaus denkwürdiger Betrachtungen zu Staat, Kirche und Ökumene...

Bundestagspräsident Norbert Lammert zu Besuch in Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel) Bundestagspräsident Norbert Lammert zu Besuch in Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel)

Für den Auftritt des ausgezeichneten Redners und langgedienten Parlamentariers hatte man im Ratssaal mit vollem Haus gerechnet und sogar die Übertragung in den Lesesaal der Bibliothek vorbereitet. Allein der Saal füllte sich kaum zur Hälfte.

Der Präsident des Bundestages stellte die Frage in den Raum, was nach einem Jahr voller Feste, Reden, Ausstellungen, Kongresse und Konzerte vom großen Reformationsjubiläum übrig bleiben wird. Wenn alles bliebe wie es vorher war, dann habe man lediglich schön gefeiert.

Die Ereignisse, die mit dem Thesenanschlag ins Rollen kamen, betrachtete Lammert nicht allein aus der religiösen, sondern auch der politischen Perspektive. Eine persönliche Antipathie zwischen dem Mönch aus Wittenberg und dem Papst in Rom habe die Ereignisse ebenso vorangetrieben wie der Einfluss von politischen Hardlinern. Das Bekenntnis zu Luthers Lehre wurde auch zu einer Abkehr vom Heiligen Stuhl und der Kaiserkrone. Ein zutiefst politischer Vorgang. Die Reformation und ihre Folgen hatten, "wenn überhaupt auch etwas mit Religion zu tun", sagte der Bundestagspräsident.

Die verhärteten Fronten konnte erst die Aufklärung aufbrechen, deren größte Errungenschaft die Einsicht gewesen sei, dass die "Wahrheitsfrage" nicht zu beantworten ist, sagte Lammert, "diese Erkenntnis hat Politik nötig und die Demokratie möglich gemacht." Die Mehrheitsentscheidungen der Demokratie ergeben denn auch nicht das, was "wahr und richtig" ist, sondern das was gelten soll. Anders ausgedrückt: wer sich darauf einigen kann, dass es die eine universelle Wahrheit nicht gibt, der muss einen Weg finden unterschiedliche Wahrheiten miteinander zu versöhnen. "Glaube und Wahrheit sind nicht abstimmungsfähig", so die Worte Lammerts, "Politik und Interessen nicht wahrheitsfähig."

Als Konsequenz setzt sich die institutionelle Trennung von Kirche und Staat durch, wobei dies nicht bedeute, dass Staat und Religion nichts mehr miteinander zu tun hätten. Wie mit der Spaltung der Kirche vor 500 Jahren und den Bemühungen um die Ökumene, um das gemeinsame, umzugehen ist, darin habe sich der Staat nicht einzumischen, sagte der Staatsmann. Der Privatmann und Gelehrte Lammert kann hingegen die Frage in den Raum stellen, was nach dem großen Reformationsjubiläum bleibe?

Lammert durfte sich auch in das Goldene Buch der Stadt eintragen (Foto: Angelo Glashagel) Lammert durfte sich auch in das Goldene Buch der Stadt eintragen (Foto: Angelo Glashagel)


Man erlebe ein "Feuerwerk von Aktivitäten ohne Veränderung", so Lammerts Befürchtung. Nicht Glaubensfragen würden die Kirchen heute trennen, sondern das "Kirchen- und Amtsverständnis" der religiösen Institutionen. "Die Kirchen sind das Haupthindernis des Glaubens", zitierte Lammert eine theologische Schrift aus dem Jahr 1966, verfasst von einem gewissen Jospeh Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI.

"Was trennt uns denn? Was steht uns im Wege?", fragte Lammert und bot als Antwort das "Selbstbehauptungsbedürfnis" der Institutionen an. "Darüber weiß ich ein wenig", scherzte der Parlamentarier, Institutionen hätten die inhärente Tendenz, sich selber wichtiger zu nehmen als sie tatsächlich seien.

Letztlich hielt Lammert Katholiken und Protestanten zu nichts weniger als der Überwindung ihrer 500jährigen Spaltung an und schloss mit der Bitte diese Frage nicht mit dem Ende des Reformationsjahres für erledigt zu halten.
Angelo Glashagel
Autor: red

Drucken ...
Alle Texte, Bilder und Grafiken dieser Web-Site unterliegen dem Urherberrechtsschutz.
© 2021 nnz-online.de