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Probleme und Chancen auf dem Bau

Die Schere schließt sich

Dienstag, 31. Januar 2017, 18:00 Uhr
"Gewohnt gute Nachrichten" hatte Karsten Froböse heute aus der Nordhäuser Agentur für Arbeit mitgebracht. Die Pfeile zeigen auch in diesem Monat deutlich nach unten. Sorgen bereitet der Altersknick in vielen Bereichen, darunter auch dem Baugewerbe. Wie es hier zur Zeit aussieht zeigte die Firma Waresa Bau. Gute Gegenwart, schwierige Zukunft...

Volle Auftragsbücher aber Nachwuchssorgen - Agentur für Arbeit zu Gast bei Waresa Bau (Foto: Angelo Glashagel) Volle Auftragsbücher aber Nachwuchssorgen - Agentur für Arbeit zu Gast bei Waresa Bau (Foto: Angelo Glashagel)

Er habe sich viel Zeit gelassen, erzählt Robert Steinmann, der heutige 26-jährige hat im vergangenen Jahr seine Ausbildung bei Waresa abgeschlossen, mit Auszeichnung.

Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht, auf rund 30% schätzt Karsten Froböse die Abbrecherquote unter den Thüringer Auszubildenden in den letzten Jahren. Viel Tendenz nach ober oder unten könne man hier nicht beobachten. Auch Robert ist verschlungene Pfade gegangen, bevor er bei Waresa landete. Nach der Realschule sollte es eine Karriere in der Industrie werden, allein die Ausbildungsplätze waren
alle schon belegt.

Im Tischlerhandwerk das gleiche Bild. Robert ging zum Jobcenter, holte sich Vorschläge ein und fand sich im Bereich Orthopädie wieder. Nach sechs Wochen hatte er genug. Halb so wild, die Bundeswehr rief, für ein Jahr. Erst nach dem Ausscheiden aus dem Dienst begann Roberts Interesse am Baugewerbe zu wachsen, nach einem viertel Jahr als angehender Kanalbauer war jedoch schon wieder Schluss, er habe schlechte Erfahrungen machen müssen, erzählt der 26jährige.

Roberts Geschichte ist kein Einzelfall, die Nachwuchs- und Ausbildungsproblematik ist zur Zeit die größte Sorge, welche die Arbeitsvermittler in der Uferstraße umtreibt. Rund ein Viertel aller Arbeitnehmer in der Baubranche des Freistaates sind über 55, berichtet Karsten Froböse heute Vormittag nicht zum ersten mal, nur bei den Kraftfahrern ist die Situation mit einem Anteil der über 55jährigen von 27,6% noch etwas gravierender. Hinzu kommt: im vergangenen Jahr kamen auf 179 Ausbildungsstellen im Baubereich nur 90 Bewerber, es fehlt schlicht der Nachwuchs.

Am Geld kann es nicht liegen, sagt Silvio Wagner, Geschäftsführer bei Waresa. Der Lohn sei in den letzten Jahren im Schnitt um 8% gestiegen. "Mit Mindestlohn holen sie keinen mehr hinter dem Ofen hervor, schon gar keine qualifizierte Fachkraft", sagt Wagner. Auch der Lohnunterschied zwischen West und Ost gleiche sich immer weiter an, "die Schere schließt sich immer weiter", so der Bauunternehmer. Sein Unternehmen mit Sitz in Nordhausen beschäftigt 50 Mitarbeiter, die bis vor einigen Jahren üblichen Winterentlassungen gebe es bei ihm schon lange nicht mehr. Wenn er könnte würde er 10 Leute einstellen, sagt Wagner, vor allem im Hochbau sei die Situation im Moment schwierig.

v.l.: Silvio Wagner, Robert Steinmann und Karsten Froböse bei der Waresa Bau GmbH (Foto: Angelo Glashagel) v.l.: Silvio Wagner, Robert Steinmann und Karsten Froböse bei der Waresa Bau GmbH (Foto: Angelo Glashagel) Nach dem Wehrdienst habe ihm "die Pistole auf der Brust gesessen", erzählt Robert, nach dem gescheiterten Anlauf in der Baubranche ging es wieder zum Jobcenter, mit seiner Vermittlerin war er da fast schon per du. Über eine Einstiegsqualifizierung kam er schließlich zu Waresa. "Ich habe von Beginn an gemerkt: die haben Interesse an mir, hier wird sich um mich gekümmert." Ordentliche Arbeitskleidung und Werkzeug von Tag 1 an, direkte Begleitung auf der Baustelle, Fortbildungsmöglichkeiten und etwas Gelassenheit, wenn man mal etwas kränkelt - Robert ging es gut im neuen Betrieb. Er war angekommen, etwas spät zwar, aber immerhin. Nach drei Jahren Ausbildung ist er inzwischen Straßenbauer, war Landesbester seines Jahrgangs und wurde in Erfurt von der Handelskammer ausgezeichnet. Jetzt wolle er erst einmal Erfahrung sammeln.

Roberts Geschichte ist trotz eines holprigen Starts erst einmal gut ausgegangen. Das dass nicht immer der Fall ist, davon weiß Nils Neu, Vorsitzender des Nordhäuser Unternehmerverbandes zu berichten. Zwischen jungen Menschen und gestandenen Unternehmern bestehe häufig ein gegenseitiges Imageproblem. Insbesondere gelte das für den Baubereich. Man habe immer noch mit dem "Stempel" vom vermeintlich dummen Bauarbeiter zu kämpfen, der nicht viel können muss und schlecht verdient. Die Baubranche sei heute ein attraktiver und durch die zunehmende Technisierung auch anspruchsvoller Bereich mit guten Verdienstchancen, sagte Neu.

Der Abschluss der Bewerber spiele bei der Ausbildung weniger eine Rolle, meinten die Unternehmer, "wichtig ist das die jungen Menschen auch wirklich wollen", sagte Silvio Wagner. Damit Geschichten wie die Roberts nicht zu Einzelfällen werden, will man sich deswegen auch bei der Agentur stärker im Bereich Ausbildung engagieren. Mit "AsA" der attestierten Ausbildung, will man Unternehmen und Auszubildenden intensiver als bisher unter die Arme greifen. Hilfestellung in Form von Gesprächen und Bewerbungstraining kann schon im Vorfeld angeboten werden, erläuterte Andrea Springer von der Nordhäuser Agentur. In einer zweiten Phase könne die Ausbildung je nach Einzelfall über die volle Zeit, also bis zu drei Jahre von der Agentur begleitet werden. Konkret würde das etwa durch Nachhilfemaßnahmen geschehen, oder als Vermittler zwischen Unternehmen und Auszubildenden, wenn sich Probleme anbahnen.

"Altersgebirge" der regionalen Wirtschaft heute und 2011 (rot) (Foto: Agentur für Arbeit Nordhausen) "Altersgebirge" der regionalen Wirtschaft heute und 2011 (rot) (Foto: Agentur für Arbeit Nordhausen)

"Altersgebirge" der regionalen Wirtschaft 2016 und 2011 (rot)

Man hofft so dem "Altersgebirge" der kommenden Jahre etwas entgegen setzen zu können. "Das ist eine riesige Herausforderung vor der wir hier stehen und zehn Jahre sind nicht viel Zeit", sagte Karsten Froböse. Man werde dabei nicht umhin kommen, auch Beschäftigte außerhalb des eigenen Landes anzuwerben, wenn man das Beschäftigungsniveau halten wolle, so der Leiter der Nordhäuser Agentur. Das wichtigste: Arbeitswillig und Arbeitsfähig müssten die Fachkräfte von morgen sein, ob sie nun Einheimische oder Zugewanderte sind.
Angelo Glashagel
Autor: red

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