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"Klassenzimmer der Zukunft" auf dem Petersberg

Die Kreidezeit geht zu Ende

Freitag, 09. Dezember 2016, 10:00 Uhr
Der digitale Wandel, der in den meisten Wohnstuben schon lange angekommen ist, hat vor den Klassenzimmern der Republik bisher halt gemacht. Das soll sich in den nächsten Jahren ändern. Wie das Klassenzimmer von morgen aussehen könnte, das konnte man sich gestern auf dem Petersberg ansehen...

Klassenzimmer der Zukunft auf dem Petersberg (Foto: Angelo Glashagel) Klassenzimmer der Zukunft auf dem Petersberg (Foto: Angelo Glashagel)

In der Arbeitswelt spricht man allenthalben von "4.0", dem nächsten Schritt der Digitalisierung. Der soll nicht nur industrielle Bereiche umkrempeln, sondern auch im Dienstleistungsbereich weiter um sich greifen, so die gängige Prognose für die kommenden Jahre.

Auf der Schulbank beschäftigt man sich indes immer noch mit "1.0", zwangsweise. Die Technik in vielen deutschen Klassenzimmern ist völlig überaltet, den Unterricht in Sachen Informationstechnik übernimmt vielleicht der IT-affine Mathelehrer, der im besten aller Fälle sogar noch Ahnung von Netzwerkarchitektur und Softwareprogrammierung hat. Im Idealfall.

Während der Rest der Gesellschaft im digitalen Alltag schon angekommen ist, hängt das Schulwesen an vielen Stellen noch in der "Kreidezeit" fest - Polylux und Tafel statt Beamer und Smartbord. Geht es nach dem Berliner Bildungsministerium soll sich das in Zukunft ändern. Mit einem Investitionsprogramm von 5 Mrd. Euro will man bis 2021 W-LAN und Endgeräte in Deutschlands Klassenzimmer bringen, das teilte Bildungsministerin Wanka im Oktober mit. Verknüpft ist der finanzielle Anschub mit der Forderung die Lehrpläne entsprechend anzupassen.

Darauf will man sich nun auch im Landkreis Nordhausen vorbereiten und organisiert Workshops und Präsentationen rund ums Thema "digitales Klassenzimmer". Auf dem Petersberg zeigte die Firma Ricoh gestern wie die Umstellung auf Digitaltechnik funktionieren könnte und welche Möglichkeiten theoretisch bestehen.

Da ist zum Beispiel die hochauflösende Kamera, die ihr Bild direkt auf die High-tech Tafel überträgt. Theoretisch ließe sich auch eine beliebige Datei erstellen und auf alle Endgeräte der Schüler schicken. Die Tafel selber kann mit verschiedenen Betriebssystemen, allerlei Software oder auch den eigens erstellen Arbeitsmaterialien bestückt werden. Die günstigere Lösung ist ein Digitalprojektor mit angeschlossenem Rechner, kabellos versteht sich, der auch auf eine normale Tafel projizieren kann. Zu sehen waren auch ein 3D-Drucker, für sich alleine schon ein Vorbote kommender Umwälzungen im Produktionsprozess, oder auch ein Smart-Table für Gruppenarbeiten.

Klassenzimmer der Zukunft auf dem Petersberg (Foto: Angelo Glashagel) Klassenzimmer der Zukunft auf dem Petersberg (Foto: Angelo Glashagel)

Die schönste Technik nutzt aber nichts, wenn niemand da ist der kompetent mit ihr umgehen kann. Im Lehrerzimmer tummeln sich dieser Tage im Durchschnitt eher ältere Pädagogen, wenn sie denn überhaupt da sind. Erst jüngst hatten Regelschulen im Landkreis den akuten Lehrermangel durch Überalterung, Überlastung und Langzeitkranken angemahnt. Besserung ist kurzfristig nicht in Sicht, der Generationenwechsel in den Klassenzimmern dürfte noch eine Weile auf sich warten lassen.

Jasmin Göring, Grundschullehrerin an der Montessori-Schule in Nordhausen gehört zum jüngeren Nachwuchs. Seit einem halben Jahr nutzt sie im Unterricht ein "Smartbord", eine interaktive Tafel. "Am Anfang war ich skeptisch aber man gewöhnt sich schnell daran", sagte die junge Lehrerin. Man müsse einen Mittelweg zwischen althergebrachtem Lernen und dem digitalen Wandel finden meinte sie, sonst würden Fähigkeiten der Kinder wie Feinmotorik die man etwa beim schreiben schult, weiter verkümmern. Und mit der neuen Technik kommen die Jungen und Mädchen oft schneller klar als die Kollegen, dass nötige Wissen im Umgang mit Touchscreen und Apps bringen sie von zu Hause mit.

Um der Personalproblematik zu begegnen bietet die Firma Ricoh ihren Kunden nicht nur die Technik sondern ein ganzes Maßnahmepaket mit Bedarfserfassungen, Schulungen, Workshops und Begleitservice an. Letzterer wird durch Partner vor Ort sicher gestellt, in Nordhausen wäre das die Firma Kopier- und Drucksysteme KDS. "Die Lehrerbegleitung ist der wichtigste Baustein in unserem Konzept", sagte Thomas Zirpel, Development Manager bei Ricoh. Man sei mehrere Tage im Jahr vor Ort und erkläre nicht nur die Grundlagen der Geräte sondern gehe auch mit in den Unterricht. Im Vertrieb setzt man auf Mietmodelle, die technische Entwicklung sei für auf mehrere Jahre angelegte Konzepte schlicht zu schnell, das kommuniziere man auch ganz offen. Man passe die Angebote auf die Möglichkeiten und pädagogischen Konzepte der Schulen an, erklärte Zirpel.

Bleibt die Frage der Finanzierung. Über die konkreten Kosten wollte im schicken Schau-Bus keiner so recht reden, Schnäppchen dürften die neuen Lerngeräte, in Abstufungen, jedenfalls nicht sein. Neben der reinen Anschaffung würden dann wohl auch die Wartungs- und Verwaltungskosten steigen, über eine IT-Abteilung die ein ganzes Netz aus Endgeräten verwaltet, auf dem laufenden hält und auch absichert dürften die wenigstens Schulen verfügen. Die gute alte Tafel funktioniert analog und in jedem Falle Störungsfrei. Beim digitalen Gegenstück mit jeder Menge Soft- und Hardware kann das anders aussehe. Wenn im Ernstfall "on/off" nichts mehr bringt, hilft nur noch der Ruf nach der IT.

Man stehe vor einem langwierigen Prozess, meinte Hans-Georg Müller, Leiter der Schulverwaltung im Landratsamt. Zur Zeit sei man dabei "Schule für Schule" zu machen, die technischen Möglichkeiten auszuloten und vorzustellen. "Die Schüler haben das Wissen der Welt in ihrer Hosentasche, wir wollen das es auch in ihre Köpfe kommt", sagte Müller. Das zu erreichen wolle man im nächsten Schritt zwei bis drei Schulen auswählen und eine Befragung durchführen, danach werde man sehen wie weiter verfahren werden kann. "Wir gehen nicht mehr zurück", versicherte Müller.

Am digitalen Wandel wird kein Weg vorbeiführen, das scheint sicher. Wie schnell man hier voranschreiten kann, hängt aber von mehr als gutem Willen ab. Bisher hat man die Startlinie kaum hinter sich gelassen und wenn Probleme wie der Personal- und Nachwuchsmangel nicht behoben werden können, dann wird der Weg zu einer funktionierenden digitalen Bildungswelt lang und mühselig werden.
Angelo Glashagel
Autor: red

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