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25 Jahre Schrankenlos

Mitmenschen für Menschen

Sonnabend, 24. September 2016, 13:20 Uhr
Die Schranken in den Köpfen öffnen, sich gegenseitig verstehen und einander zuzuhören - das waren die Gedanken, mit denen vor 25 Jahren der Verein Schrankenlos geboren wurde. Gestern blickte man gemeinsam auf ein Vierteljahrhundert soziales Engagement zurück. Dabei wurde nicht nur gefeiert, sondern auch diskutiert...

25 Jahre Schrankenlos in Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel) 25 Jahre Schrankenlos in Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel)

Die frühen 90er, kurz nach der Wende. Im Osten des wiedervereinten Deutschland tritt zu Tage, was es in der DDR nicht geben durfte und nicht sein konnte, zumindest in der offiziellen Erzählung, Rechtsextremismus und Rassismus gipfelten in den Gewaltakten von Rostock-Lichtenhagen.

Menschen, die sich der Engstirnigkeit und dem Hass entgegenstellten gab es auch damals schon, auch in Nordhausen. Bereits 1991 hatte sich eine Gruppe Nordhäuser gefunden, die mehr sein wollte als nur "dagegen". "Wir wollten dem etwas entgegen setzen, zeigen das es anders geht, das man friedlich miteinander leben kann", sagte Vereinsgründer Peter Kube gestern Nachmittag in den Räumlichkeiten des Weltladens vor Gästen, Freunden, neuen und alten Förderern und Partnern.

Es war die Geburtsstunde des Vereins Schrankenlos, der zu Beginn einmal im Jahr ein gemeinsame Feier von und für Menschen aus aller Herren Länder veranstaltete. Das erste Schrankenlos-Fest organisierte man zusammen mit Dieter Gabriel, dem damaligen Chef des Nordhäuser Jazzclub. Die Jazzer waren auch gestern Abend wieder mit dabei und sorgten einmal mehr für das musikalische Programm in dern Kurzen Meile. Neben jungen Bands wie Tykka und Pulsar Trio und Weltkind waren gestern auch alte Stimmen zu hören, die ihre Lieder schon vor 25 Jahren (und mehr) im Altendorf sangen.

Bevor jedoch richtig gefeiert wurde, ließ man gestern erst einmal die Geschichte Revue passieren. Nach vielen großen und kleinen Schrankenlos-Festen war irgendwann klar, das die Feiern der unwichtigere Teil des Schrankenlos-Engagements war, erzählte Peter Kube. Ab 1997 machte man sich in der tatsächlichen Sozialarbeit stark, suchte Kontakt zu den Gemeinschaftsunterkünften (GU). "Heimisch sein heißt nicht in einem Betonblock zu sitzen, man muss auch hinauskommen und andere Menschen treffen", erzählte Kube.

Freunde, Weggefährten, Unterstützer und jede Menge Gäste - Peter Kube ließ die Geschichte des Vereins Schrankenlos gestern Revue passieren (Foto: Angelo Glashagel) Freunde, Weggefährten, Unterstützer und jede Menge Gäste - Peter Kube ließ die Geschichte des Vereins Schrankenlos gestern Revue passieren (Foto: Angelo Glashagel) Die Zusammenarbeit mit Ämtern und Behörden war dabei nicht immer ganz Konfliktfrei, manchmal habe man nicht in den GU's sondern davor arbeiten müssen. "Menschlichkeit geht immer ein wenig über die bestehenden Gesetze hinaus, wenn sie der Menschlichkeit entgegen stehen", sagte Kube, "das haben wir in der DDR gelernt". Man habe viele Abschiebungen erlebt, manche verhinden können. 1998 eröffnete der Weltladen, damals noch in der Domstraße 12, 2003 bezog man die Räume, die der Verein auch heute noch nutzt. Die jüdische Gemeinde gründete sich hier, der erste Nordhäuser Poetry Slam wurde in der Barfüßer Straße ausgetragen, manches Konzert organisierte man zusammen mit der Kurzen Meile und der Nachbarschaft, Länderabende, Tanzkurse, Filmvorführungen - im Weltladen war über die Jahre viel los.

Aber es war auch nicht immer leicht, erzählt Kube, untereinander habe es auch "jämmerlichen" Streit gegeben und schmerzhafte Trennungen. "Das gehört zu einem Vereinsleben ohne hierarchische Strukturen dazu, in dem es um ein Lebendiges miteinander geht", erzählte Peter Kube, man habe aber auch immer wieder Felder des gemeinsamen Gestaltens gefunden.

25 Jahre Schrankenlos in Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel) 25 Jahre Schrankenlos in Nordhausen (Foto: Angelo Glashagel)

Heute tut sich in der Politik vieles, was man bei Schrankenlos schon lange gefordert hat - mehr Integrationsbemühungen, mehr und schnellere Angebote zum Spracherwerb, zur sozialen Teilhabe zur Arbeitsmarkintegration. Die kritische Stimme versagt dem Verein auch nach 25 Jahren nicht. Eh in der Kurzen Meile der erste Ton erklang wurde ausgiebig diskutiert. Thüringens Justiz- und Migrationsminister Dieter Lauinger (Bündnis '90/die Grünen) war zu Gast und sprach mit Peter Kube und dem MigraNetz Thüringen über das aktuelle Weltgeschehen, die Flüchtlingspolitik und die Rolle der Religion im 21. Jahrhundert.

Die Diskussion begann mit Wünschen und Hoffnungen, denen man allerdings wenig Chance gibt, real zu werden. Minister Lauinger monierte die Abschottungspolitik der EU, Europa müsse sich zusammenhängend als Kontinent begreifen, der helfen muss. Die Stimmung in Brüssel gehe aber eher pro Abschottung. Peter Kube wünschte sich, das es den Menschen hier und anderswo einmal gelingt, die eigene Angst nicht zur Grenze umzugestalten sondern gemeinsam die bestmöglichste Welt zu gestalten. "Wir müssen mit Mut der Angst entgegen gehen und uns trauen mitmenschliche Schritte zu gehen", sagte Kube, so könnten aus den Menschen, die hier Zuflucht finden, einmal als "Botschaftern eines funktionierenden, friedlichen Gemeinwesens" in ihre Heimat zurückkehren.

Politisch konkreter wurde man bei der Frage nach Merkels Kernsatz "Wir schaffen das". Er habe das Gefühl das die Kanzlerin mit diesem Satz mehr Unterstützung in der Opposition gefunden habe, als in den eigenen Reihen, sagte der Grüne Lauinger. Der Satz sei richtig, man müsse aber auch das "wie" erklären. Die Realität kenne zwischen Bund und Ländern in dieser Frage Differenzen, so der Minister weiter, in der Gesetzgebung mache Berlin häufig das Gegenteil. Man verschärfe die Asylgesetze und lasse die Länder an den Außengrenzen der Union erneut im Stich. Es bräuchte mehr soziale Teilhabe und Durchmischung und die Möglichkeit für Geflüchtete schneller ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen.

Das MigraNetz Thüringen forderte zusätzlich auch mehr politische Partizipation. Menschen mit Migrationshintergrund in den Parlamenten zu haben sei eine Selbstverständlichkeit der globalisierten Welt. Peter Kube meinte, man müsse den Mut haben, den Satz zu gestalten, das "wie" ergebe sich "aus der Symphonie der Menschen, die das gestalten wollen", also aus der Arbeit der vielen Ehrenamtler und Sozialarbeiter die beim Schrankenlos und vielen, vielen anderen Vereinen und Initiativen im gesamten Bundesgebiet auch ein Jahr nach dem großen Flüchtlingstreck noch im Sinne von Willkommenskultur und Integration arbeiten.

Der Verein Schrankenlos ist in Nordhausen in dieser Hinsicht nicht mehr wegzudenken.
Angelo Glashagel
Autor: red

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