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Schlaraffia „Nordhusia“

Die Geschichte einer Erloschenen

Mittwoch, 15. Juni 2016, 07:05 Uhr
Zahlreich erschienene Gäste lauschten am Dienstagabend dem äußerst wissenswert gestalteten Vortrag „Die Schlaraffia in Nordhausen von 1877 bis 1937 und in der DDR-Zeit“. Ins geschichtliche Bewusstsein gerufen wurde die Existenz dieser Vereinigung durch eine ebay-Auktion eines Schwertes der Schlaraffia „Nordhusia“ im Herbst 2002...


Die Stadt erwarb das Schwert, welches zuvor lange Zeit in amerikanischen Schulen ausgestellt wurde, und brachte damit ein Stück Kulturerbe nach Nordhausen zurück. Von Anfang an involviert war auch der Referent des Abends, Dr. Hans Christoph Rieger, Schlaraffia-Ritter Ben Ares der Haidelberga.

Er sprach über die wundersame ebay-Auktion und über die Forschungsergebnisse zur Gründung der Schlaraffia, deren Ziele und Mitglieder sowie über symbolische und sprachliche Besonderheiten. Die Recherchen zum Schwert brachten neue und überraschende Erkenntnisse, die Licht in die Vereinsgeschichte Nordhausens brachten. Es verdichteten sich die Hinweise, dass es gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Schlaraffia mit dem Namen „Nordhusia“ in Nordhausen gab, die als Männerverein neben den Reychen u. a. in Prag, Berlin, Leipzig und Graz zu den ersten Schlaraffia-Vereinigungen in Europa gezählt werden kann.

Die Schlaraffia in Nordhausen war die „Mutter“ der um 1883 gegründeten Schlaraffia in Heidelberg und in Lübeck. So kam es, dass der Nordhäuser Korn bei den Schlaraffen in Heidelberg auch „Muttermilch“ genannt wird.

Der Männerbund Schlaraffia ist ein Verein zur Pflege von Kunst und Humor und ihm liegt die Freundschaft und die Wohltätigkeit sehr am Herzen. Er wurde im Oktober 1859 in Prag gegründet und Nordhausen war die sechste Stadt, in der dieser Männerbund etwa um 1877 gebildet wurde.

Den ersten Anstoß zur Gründung der „Nordhusia“ gab ein Ritter, dessen Name leider nicht bekannt ist. Er kam von der alten Hammonia (Hamburg) und nahm an einer Veranstaltung des „Rüdigsdorfer Pusteclubs“ in Nordhausen teil, wo er mit dem damaligen Feldprediger des Clubs, Eduard Braeß, bekannt wurde und ihm von der Schlaraffia erzählte. Braeß griff die Anregung zur Gründung einer „Schlaraffia Nordhusia“ begeistert auf und betrieb eifrig die Aufnahme seines Clubs in den Schlaraffischen Bund. Hierbei wurde er von der hohen Hammonia wirksam unterstützt. Mit der Gründung der Schlaraffia erhielt sie auch einen Sitz, die sogenannte „Kyffhäuser Burg“. Die Schlaraffen trafen sich zu Sitzungen im „Rittersaal“, der zunächst ein Raum in einer Gastwirtschaft an der Kutteltreppe Nr. 21 war, bis um 1905 ein Anbau an ein Hintergebäude der Gastwirtschaft „Bürgerbräu“ in der Töpferstraße 3 finanziert wurde. Bis 1937 war es die „Burg“ der Schlaraffen gewesen.

Die Schlaraffia hatte ein Wappen in Form eines Schildes, das in der Mitte das Wappen von „Praga“ vor einem Andreaskreuz zeigt, das die übrige Fläche des Schildes in vier Segmente aufteilt. Im oberen Feld ist ein Uhu abgebildet, im linken Feld eine Burg, im rechten Feld ein Schlüssel und im unteren Feld ein Pokal. Ferner hatte die Schlaraffia auch symbolhafte Objekte wie einen Hosenknopforden und Willekumm-Orden für die Gäste, die zum ersten Mal in das Reyche der Schlaraffen eintraten.

Das in der ebay-Auktion ersteigerte Schwert, ist ein sogenanntes Reychsschwert. Jede Reyche hatte ein solches Schwert, das u.a. beim Ritterschlag eingesetzt wurde. Das Schwert der „Nordhusia“ hat eine eingeätzte Inschrift, die zu Beginn der Untersuchung Rätsel aufgab. Der Text „Ihrem viellieben Reyche „Nordhusia“ die Junker Ottilie und Hänschen, Lenzmond 1598“ vermittelte den ersten Eindruck, dass das Schwert sehr alt sein musste und aus der Frühen Neuzeit stammte.

Jedoch stellte sich heraus, dass die Schlaraffen ab 1900 eine neue Zeitrechnung einführten (um 300 Jahre zurückrechneten), sodass mit 1598 etwa das Jahr 1877 gemeint sein musste. Auch verwendeten die Mitglieder gern mittelalterliche Begriffe z. B. als Spitznamen. Hinter den beiden Namen „Junker Ottilie“ und „Hänschen“ verbergen sich die beiden aus Nordhausen kommenden Otto Witt und Hans Kowarzik. Sie waren Knappen und wurden im März 1898 in den Junkerstand erhoben. Auch konnten biografische Hinweise zu den beiden Mitgliedern erforscht werden. Otto Witt war Zeitungsverleger der Nordhäuser Allgemeinen Zeitung in der Bahnhofstraße.

Vielen Nordhäusern ist seine kleine Schrift „Ich ha gesprochen“, in der er in Nordhäuser Mundart kleine Anekdoten und Geschichten aufgeschrieben hat, bekannt. Johann Kowarzik war Kaufmann. Beide spendeten das „Reychsschwert“ der „Nordhusia“. Über die Mitglieder der Schlaraffia stellte der Referent fest, dass sie überwiegend eine gesellschaftlich und beruflich gesicherte Position mit teilweise auch hohem Ansehen hatten.

Während des Nationalsozialismus wurden ab 1937 zahlreiche Vereine aufgelöst und verboten, so auch die Schlaraffia „Nordhusia“, die als eine „Freimaurer-ähnliche“ Vereinigung angesehen wurde und damit verboten war. Allerdings ist die Schlaraffia mit den Freimaurern nicht zu vergleichen. Nach rund 60 Jahren Schlaraffia fand die letzte offizielle Sitzung am 17.02.1937 statt. Nach dem Verbot trafen sich die Mitglieder oft heimlich und bewahrten die Utensilien in einem sicheren Versteck auf. Der Referent vermutete, dass an diesem Ort wohl ein US-Soldat das Reychsschwert fand und es mit nach Hause nahm.

Zwischen 1945 bis 1971 trafen sich die Mitglieder der „Nordhusia“ vorwiegend in der sogenannten „Nomen-Notburg“, in privaten Räumen des Oberschlaraffen, der Herrlichkeit „Nomen omen“ im Brahmsweg 10 in Nordhausen. Als aber die Stasi die Mitglieder immer intensiver beobachtete, löste sich die Vereinigung in den 1970er Jahren auf. Nach der deutschen Wiedervereinigung haben sich einige Schlaraffia-Reyche in den neuen Bundesländern wieder gegründet, wie u.a. in Dresden, Halle und Meiningen. Von den weltweit rund 10.000 Schlaraffia-Reychen gibt es gegenwärtig im deutschen Raum nur noch 262. Früher gab es 427 Reyche, von denen 165 erloschen sind.

Zum Gedenken an die erloschene Schlaraffia in Nordhausen plant die Schlaraffia Heidelberg eine Erinnerungstafel an einem Haus in der Töpferstraße zu errichten. Um diesen guten Zweck zu unterstützen, spendeten die Gäste des Abends Geld.

Der Vorsitzende der Geschichts- und Altertumsvereins, Hans-Jürgen Grönke, nahm die Gelegenheit wahr und verpflichtete Dr. Rieger für die „Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen“ einen Aufsatz über die Schlaraffia „Nordhusia“ zu schreiben, damit dieses verlorengegangene Stück Geschichte der Nordhäuser Vereinskultur für die Leserschaft zugänglich wird.

Wer mehr über den Nordhäuser Geschichts- und Altertumsverein und das Jahresprogramm erfahren möchte, kann sich unter www.nordhaeuser-geschichtsverein.de informieren.
Marie-Luis Zahradnik
Autor: nnz

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