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Eine Glosse

Wider dem ewigen Gejammere

Mittwoch, 01. Juni 2016, 16:04 Uhr
Gestern hat die Stadt einige der Ergebnisse des Wettbewerbes „Zukunftsstadt“ vorgestellt. Über den Sinn und Unsinn solcher Aktionen haben wir uns in der nnz gestern schon einmal Gedanken gemacht. Hier nun noch einmal ein Nachschlag aus der anderen Richtung...

Visionen (Foto: Stadt Nordhausen) Visionen (Foto: Stadt Nordhausen)
30.000 Euro, Dreißigtausend Euro! Diese exorbitante Summe hat die Stadtverwaltung ausgegeben, um an einem Wettbewerb für Zukunftsfragen teilzunehmen. Geld das nicht ihres war, wohl aber das des ehrlichen Steuerzahlers. Mein Geld. Bezahlt hat sie damit „Experten“ die es sich bei Sekt und Kaviar gut gehen lassen und sinnfreie Gesprächsrunden über eine ferne, unbekannte Zukunft führen. Ein Skandal! Aber was reg ich mich hier auf. Man weiß doch: Politiker sind korrupt und unfähig, die Beamtenschaft faul und die sogenannten „Experten“ Besserwisser, die von der Realität des kleinen Mannes im rauhen deutschen Alltag keine Ahnung haben.

Leute wie Matthias Golle aus Weimar hat man da zum Beispiel extra nach Nordhausen chauffiert damit er hier über seine BürgerEnergiegenossenschaft sprechen konnte. Die Vereinigung startete 2012 mit einer handvoll Mitglieder und vermietet heute Dachflächen für Solaranlagen, hat Lieferverträge mit der Stadt Weimar geschlossen und den Solarstrom auch in Ecken des Weimarer Landes gebracht, in denen die Kommunen diese Aufgabe nicht alleine schultern konnten.

Auch eine Frau Dr. Everding hat man da sprechen lassen, die sich an der städtischen Hochschule mit Optimierungspotentialen bei Wärmeversorgungssystemen, Müll, Strom und Kommunikation beschäftigt. Oder diesen Hans-Jürgen Weidt, Politiker, aus Werther. Da testen sie zusammen mit der Erfurter Hochschule ein Jahr lang ein einziges Elektroauto als soziale Mobilitätsergänzung auf dem Land auf Herz und Nieren und wollen dann was über die Machbarkeit von Energiewende und die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen erzählen. Abgehobene Intellektuelle voller Hirngespinste, die fröhlich Steuergeld, mein Geld, einfach so verpulvern anstatt die richtigen Probleme in der Stadt anzupacken. Für sowas haben sie ja Geld, aber nicht um die unansehnliche Dreckecke vor meiner Haustür mal auf Vordermann zu bringen. Wann kommt da endlich mal wer und macht was?

Denn hier geschieht ja schließlich nichts mehr. Totaler Stillstand seit Jahren schon. Nordhausen ist grau und öd wie eh und je. Die Straßen verfallen, die Busse zu spät, kein fließend Wasser mehr, ständige Stromausfälle, Obdachlose und Armut wohin das Auge blickt. Die Politik setzt sich ihre Denkmäler und der kleine Mann, er leidet schrecklich, schrecklich unter all der Inkompetenz.

Gut, das mit der Landesgartenschau und dem Umbau der Innenstadt, das war ja eine Ausnahme. Dafür hatte man sich ja nur bewerben müssen, Planer und Ideengeber, Entschuldigung „Experten“, bezahlen und lange Jahre planen müssen. Das war auch so eine sinnfreie Verschwendung von meinem guten, hart verdientem Geld, das ich doch viel, viel besser hätte anlegen können. In das schicke neue Technik-Gadget etwa, dass irgendwo in Asien unter beschissenen Bedingungen für ein paar Dollar produziert wird. Oder für die Last-Minute-All-Inclusive-Sparpaket-Reise an die griechische Mittelmeerküste.

Ach nee, da ist grad nicht so. Ach was, ein Auto hätte ich mir kaufen können, wenn der dumme Staat nicht wäre, so ein modernes, sparsames. Von VW vielleicht. Da tut man schon was für die Umwelt und für die Zukunft. Da braucht's dann auch die abgehobenen Weltverbesserer nicht, die nur nachdenken. Ein schöner Batzen meines guten Geldes landet dann bei ein paar Investoren, die sonstwo auf der Welt sitzen, verschwindet vielleicht sogar vorbei am fiesen Fiskus, in einer dieser schönen Oasen von denen man in letzter Zeit immer wieder hört. Das klingt doch schön, das hat doch was.

Aber diesen schmarotzenden Besserwissern die Kohle in den Rachen zu werfen! Diese mittelständischen Allerwelts-Existenzen bringen mein gutes Geld am Ende noch zum Bäcker um die Ecke. Oder zum Handwerker, dem Automechaniker oder vielleicht sogar in die Firma, bei der ich hart und schwer für mein Geld arbeite! Man stelle sich das nur vor! Da geht mein Geld einfach so zurück in den Wirtschaftskreislauf. Was soll das erst werden wenn die wirklich in diesem beknacktem Wettbewerb weiter kommen? Oder an Geld für die Internationale Bauausstellung rankommen?

Oder andere Fördertöpfe anzapfen? Dafür brauchen die dann ja wieder Konzepte. Sonst dürfen die da ja nicht mitmachen. Also wieder: zahlen, zahlen, zahlen. Am Ende kriegen die noch meine Kohle, um Sachen in der Stadt zu bauen, obwohl sie Pleite sind! Dass das Geld vom Bund kommt ist doch gehupft wie gesprungen. Mein Geld ist das. Meins. Damit muss man was sinnvolles machen. Für mich. Und zwar jetzt. Jetzt gleich und nicht erst in zehn Jahren.

Wär der Zeh halt mal zur Merkel gegangen, hätt auf den Tisch gehauen und die 30.000 für den Straßenbau verlangt. Rückgrat zeigen. Das Geld kommt vom Forschungsministerium? Das Forschung, Innovation, neue Ansätze fördern soll? So Zukunftsfragen? Vollkommen unnütz. Abschaffen und in die nächste Autobahn investieren. Freuen sich der Autofahrer und die Fahrzeughersteller. Die sind schließlich, für jetzt und immerda, das Rückgrat der deutschen Wirtschaftskraft. Elektromobilität, dezentrale Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen, gemeinschaftlich organisierte Alternativen zum Status Quo in einer Welt mit knapper werdenden und letztlich endlichen Ressourcen? Science Fiction und abgehobenes Gutmenschentum nenn ich das.

Aber mich fragen sie da ja bestimmt wieder nicht, stellen die mich bestimmt wieder vor vollendete Tatsachen. Seit Jahren forder ich: mehr Bürgerbeteligung! Die um sich greifende Inkompetenz ist doch einfach nicht mehr auszuhalten! Besser wäre es die Damen und Herren im Rathaus säßen Däumchen drehend in der Verwaltung. Haben doch eh kein Geld mehr, mit dem sie was machen könnten. Und wer nichts macht, macht bekanntermaßen auch nichts falsch. Aber nein, da versuchen die trotzdem irgendwie zu Geld zu kommen. Die machen ja eh was sie wollen da im Rathaus. Und der Bürger wird einfach übergangen, den fragt man nicht einmal! Man weiß doch wie der Hase läuft.

Also gut, bei der Sache mit den Zukunftsfragen, da hätt ich schon mitmachen können. Wie die rund 70 Leute, die im Schnitt bei den einzelnen Werkstätten jeweils dabei waren, Häppchen vertilgt und nachgedacht haben. War aber so spät am Abend, da kann ich nicht mehr. Beschissen gute Auftragslage zur Zeit, nur noch malochen. Kurzarbeit, das waren noch Zeiten. Außerdem läuft Sport im Osten und später dann noch das DSDS Finale.

Aber vorher sind noch Nachrichten. Die Banken zocken wieder, im Essen ist alle Nasen lang nur noch Skandal drin, in den Ozeanen schwimmt bald mehr Plastik als Fische und auf den Feldern haben wir bald Gen-Alles. Benzin wird auch wieder teurer, ach und Krieg ist auch noch. Und dann kommen die auch noch zu uns, wo doch auch alles nur noch Mist ist. Eine Scheiß Welt ist das.

Was soll's. Die wollen einen ja doch nur für dumm verkaufen. Wollen ans Geld. Mein Geld. Linksgrüne Sozial-Ökomafia. Die Welt bleibt wie sie ist. Das war schon immer so! Und selbst wenn sie doch recht haben sollten mit dem Klimawandel, Peak Oil, den Ozeanen voller Plastik, dem Endlagerproblem, der Armutsmigration, der steigenden Wasserknappheit, der modernen Sklaverei, der Korruption, der Gier - das kann ja noch Jahre dauern bis das soweit ist. Und bestimmt betrifft's mich hier im schönen Südharz nicht. Außerdem: bis dahin fällt uns schon was ein, da wird sich schon wer Gedanken machen.

Ah, gut. Jetzt ist Abendprogramm. Ist auch besser so. Am Ende hätt ich noch drüber nachgedacht wie man das alles anders, wie man's vielleicht ein bisschen besser machen könnte. Hier vor Ort. Vielleicht zusammen mit ein paar anderen Leuten, Nachbarn, Freunden. So Zukunftsfragen. Unnützes Zeug. Geldverschwendung. Zapp. Zapp. Zapp.
Angelo Glashagel
Autor: red

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