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Schüler arbeiten Zeitgeschichte auf

Bei Egon Krenz auf der Terrasse

Donnerstag, 26. Mai 2016, 18:00 Uhr
Drei Nordhäuser Schüler wollen ein Stück Zeitgeschichte aufarbeiten und beschäftigen sich ihrer Seminarfacharbeit mit der FDJ. Wer kennt sich mit dieser Jugendorganisation besser aus als Egon Krenz, dachten sich die Elftklässler des Herder-Gymnasiums, und baten den letzten Staatsratsvorsitzenden der DDR und einstigen Chef-FDJler um ein Interview…

ZU Besuch bei Egon Krenz (Foto: Max Triftshäuser) ZU Besuch bei Egon Krenz (Foto: Max Triftshäuser)
Diesen Vormittag im Januar wird Charlotte Herbst aus Niedersachswerfen so schnell nicht wieder vergessen. Als das Telefon klingelte, sollte die Geschichte ihren Lauf nehmen. „Egon Krenz war am Telefon“, berichtet die 17-Jährige Schülerin des Nordhäuser Herder-Gymnasiums.

Krenz hatte also tatsächlich den Brief gelesen, den sie gemeinsam mit Moritz Bellmann und Lena Schedwill dem früheren SED-Politiker nach Dierhagen an die Ostsee geschickt hatten. Und er hatte die Nummer gewählt, die als Kontakt in dem Schreiben vermerkt war. Über einige Umwege hatten die Schüler die Adresse von Krenz im Ostseebad auf dem Darß herausgefunden.

„Als Zeitzeuge scheinen Sie uns sehr geeignet, da Sie unter anderem 1. Sekretär der FDJ waren und die Wendezeit miterlebt haben“, heißt es in dem Brief. Sie ließen Krenz die Wahl: ein Interview oder aber Fragen schriftlich beantworten. „Ganz sicher war er sich zu Beginn noch nicht“, erinnert sich Charlotte. Krenz, mittlerweile 79 Jahre alt, bekundete zwar grundsätzlich sein Interesse an einem Interview während des Telefonates, aber er habe viele Termine, ließ er die Schülerin wissen. Es sollten noch einige Wochen vergehen, ehe der frühere SED-Spitzen-Politiker einem Treffen zustimmte.

Ende April ging dann plötzlich alles recht schnell: Ja, es wird diesen Interviewtermin geben, teilte Krenz den Schülern per E-Mail mit. „Er hatte uns den Freitag nach Christi Himmelfahrt angeboten. An dem Tag konnte er für uns Zeit einräumen“, berichtet die 17-jährige Lena. Sie organisierten also mit Freunden schnell die Fahrt an die Ostsee und buchten drei Übernachtungen in einer Jugendherberge in Born. Krenz hatten sie zu diesem Zeitpunkt schon ihre Fragen geschickt. Beantwortet hat er diese schriftlich. Das war Krenz wichtig.

In dem zweistündigen Treffen hatte der frühere Staatsmann immer noch genug zu erzählen. Er ist ein vielbeschäftigter Rentner, arbeite auch mit fast 80 Jahren noch recht viel. Es gebe immer wieder Interviewanfragen, erzählt Krenz, mittlerweile Autor mehrerer Bücher.

Er hatte die drei Jugendlichen zu sich nach Hause eingeladen. Bei Keksen und Getränken saßen die Schüler auf der Terrasse des kleinen mit Reet gedeckten Hauses, direkt hinter dem Deich. Die Ostsee in Hörweite. Seit 1945 kennt der in Kolberg geborene Krenz Dierhagen. Er lebe jetzt dort, wo andere Urlaub machen. Das sei schon ein Glück, erzählt er seinen Gästen.

Ob auch alle Eltern Arbeit hätten, will Krenz wissen. Was eine Seminarfacharbeit wäre? Wo sie untergekommen wären und was sie generell so vom Leben halten, fragt er die Jugendlichen. „Er war sehr freundlich, wie ein Opa. Es war ein sehr persönliches Gespräch“, berichtet der 16-jährige Moritz Bellmann, der die Idee hatte, Krenz zu interviewen. Ja, er sehe heute einiges kritischer als damals, sagt Krenz. „Die FDJ hätte mehr Offenheit gebraucht, mehr Dialog statt Monologe und größere Differenziertheit im einheitlichen Jugendverband.“

Für die heutige Jugend wäre eine Interessenvertretung gegenüber dem Staat wünschenswert, sagt Krenz. Und ja, er habe noch Kontakt zur FDJ, die es tatsächlich noch gibt, wenn auch nur mit wenigen Mitgliedern. Er bleibt ein Kommunist aus Überzeugung, ein DDR-Nostalgiker. Und, was war nun seiner Meinung nach das Beste an der FDJ, wollen sie von Krenz wissen. Der überlegt nicht lange: „Dass ich meine Frau Erika kennengelernt habe.“

Es könnte sogar sein, dass Krenz im kommenden Jahr nach Nordhausen kommt. Die Schüler haben ihn für das Kolloquium eingeladen, bei dem sie ihre Arbeit vorstellen. Noch hat er seine Teilnahme offen gelassen. Er wolle keine „Unruhe reinbringen“, wie er sagt. Aber vielleicht schickt er auch wieder kurzfristig eine E-Mail.
Susanne Schedwill
Autor: nnz

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