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Von Syrien nach Deutschland

Mr. Nabils Reise

Mittwoch, 02. September 2015, 10:57 Uhr
Er wohnt nur wenige Meter entfernt von ihrem Klassenraum, besitzt nicht viel mehr als die Sachen an seinem Leib und schläft auf einem Klappbett - Mr. Nabil, in seiner Heimat Englischlehrer, seit Montag in der Turnhalle des Berufsschulzentrums untergebracht, berichtete den Schülern vom Krieg in Syrien und von der Flucht nach Deutschland. Auch die nnz hat zugehört...

Am Nordhäuser Berufsschulzentrum berichtete der aus Syrien geflohenen Lehrer Nabil von seiner Reise (Foto: Angelo Glashagel) Am Nordhäuser Berufsschulzentrum berichtete der aus Syrien geflohenen Lehrer Nabil von seiner Reise (Foto: Angelo Glashagel)

Nabil O., vor einem halben Jahr geflohen aus Syrien, steht in einem deutschen Klassenzimmer und ist froh. Froh es bis nach Deutschland geschafft zu haben und froh lächelnde Gesichter zu sehen, die ihn willkommen heißen. Am Montag ist er zusammen mit 39 anderen Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Eritrea in Nordhausen angekommen. Die kurzfristige Ankunft einer größeren Gruppe Flüchtlinge hat den Landkreis vor Herausforderungen gestellt, die man bisher gut bewältigt hat.

Für seine eigenen Schüler war er "Mr. Nabil", in seiner kleinen Heimatstadt im Norden Syriens hat er seit 2008 Englisch unterrichtet. Heute helfen seine Sprachkenntnisse nicht nur ihm, sondern auch den anderen, mit denen er gekommen ist. Wen übersetzt werden muss, ist Nabil zur Stelle. Heute will er versuchen den Schülerinnen und Schülern deutlich zu machen, wie das Leben im Krieg und auf der Flucht aussieht, auch wenn es, wie er sagt nur schwer zu beschreiben ist.

Der Krieg

Der Krieg in Syrien begann 2012 mit den Protesten gegen das Assadregime. Auch Nabil war damals auf der Straße und mit ihm bis zu 500.000 Syrerinnen und Syrer, bis das Regime mit Härte zurückschlug. "Revenge" - "Rache" nennt Nabil das. Am Anfang habe es 10, 15 Tote am Tag gegeben, erzählt er, bald waren es 20, dann 100, dann 800 jeden Tag. Die Zahl der Tötungen und Entführungen habe immer weiter zugenommen. Die Option sich dem Konflikt zu entziehen war bald nicht mehr existent. "Es gibt heute keine Mitte mehr in Syrien. Entweder du tötest oder du wirst getötet", sagt Nabil. Sein Bruder leistete 2012 seinen Wehrdienst ab. Er weigerte sich, wie viele andere Soldaten, auf die eigenen Leute zu schießen, auf Freunde und Verwandte. Mit fünf anderen Verweigerern wurde Nabils Bruder noch 2012 vor die Wand gestellt und exekutiert.

Nabil aber blieb in seiner kleinen Stadt, bei seiner Schule. "Ich habe immer wieder gedacht "der Krieg wird bald vorbei sein". In einem oder zwei Monaten, in einem halben Jahr. Ich wollte nicht gehen und habe Freunde versucht davon abzuhalten zu fliehen. Wenn etwas zerstört wurde haben wir es wieder aufgebaut. Doch schließlich habe ich die Hoffnung verloren, das ich mein Land noch werde reparieren können." Vor sechs Monaten entschloss sich Nabil schließlich zur Flucht.

Auf dem Weg nach Europa

Frau und Kinder lässt Nabil zurück, sie wissen das die Reise gefährlich ist. Er will sie nachholen, wenn er in Deutschland Aufnahme gefunden hat. Nach der Veranstaltung wird er sagen, das er sich für Deutschland entschieden habe weil er meine das die Deutschen anders mit den Neuankömmlingen umgehen würden, als in den anderen Ländern, das es hier menschlicher zugehe und das hier die Chance ein neues Leben zu beginnen für ihn am größten sei.

Das erste Wegstück führt den jungen Kurden in Richtung Norden, das Gebiet zwischen Syrien und der Türkei sei die gefährlichste Grenze, sagt Nabil, er muss das Territorium der Regierungstruppen, der IS-Terroristen und anderer Gruppen durchqueren. Die türkischen Grenztruppen würden des öfteren auch auf Flüchtlinge schießen, immer wieder gibt es Verletzte, vor allem mit gebrochenen Gliedmaßen, sagt Nabil.

In der Türkei selber, in Ankara und Istanbul, ist die Lage zumindest für die Syrer besser und Nabil macht sich auf die Suche nach einem Schlepper, der ihn nach Griechenland, nach Europa bringt. "Die Route, die ich gewählt habe, war die sicherere, ich konnte das bezahlen und ich habe kein Problem damit lange Zeit zu laufen. Der Weg über das Meer ist billiger, aber gefährlicher. Viele ertrinken, das passiert jeden Tag."

Mazedonien, Serbien, Ungarn

Mit dem Bus gelangt Nabil nach Athen, von da aus soll es weitergehen nach Mazedonien. Wieder sucht er Schleuser, doch die lassen seine Gruppe vor der mazedonsichen Grenze sitzen. Hier müssen die Flüchtlinge lange ausharren. Wer sich nicht vorher ausreichend mit Wasser und Nahrung versorgt hat, ist gezwungen nach Griechenland zurückzukehren.

Mit dem Zug geht es schließlich weiter nach Serbien, sieben Stunden in völlig überfüllten Waggons. Man müsse dabei an die Bilder von Zügen aus Indien denken, bei denen die Leute schon auf dem Dach sitzen, sagt Nabil. "Wir haben keine Luft gekriegt, so voll war es, die Kinder haben wir hochgehoben, damit sie atmen konnten. Einige wurden bewusstlos und als wir auf dem Bahnsteig ankamen, brachen viele erschöpft zusammen", berichtet Nabil.

In Serbien heißt es wieder warten, wieder neue Schleuser finden. Der Weg nach Belgrad sei vor allem für Familien gefährlich, auf der Wegstrecke würden nicht nur Leute warten, die Geschäfte machen wollten in dem sie den Flüchtlingen das nötigste verkauften, den Weg zu Unterschlüpfen zeigten oder Busse organisierten, sondern auch Räuber.

In Belgrad wiederholt sich die Geschichte. Man sucht einen Schleuser und hofft, dass man nicht ausgeraubt wird. Wer sein Geld verliert, oder an wie ein Bekannter Nabils mehrfach an der Grenze scheitert, muss auf Hilfe von zu Hause oder auf Kontakte in anderen Ländern hoffen um wieder an Geld zu kommen.

Nabil selbst landet drei Tage in Ungarn im Gefängnis. Seine Gruppe hatte sich entschieden den nagenden Durst an einem Wassertank am Rande eines Getreidefeldes zu löschen, zehn Minuten später ist allen schlecht. Schließlich werden die entkräfteten Flüchltinge von der Polizei aufgegriffen. Wieder auf freiem Fuß beginnt die Suche nach einem Schlepper von vorn. Der neue Fahrer ist nervös, befürchtet geschnappt zu werden. Das überfüllte Fahrzeug fährt nahezu ohne Pause in Richtung Österreich. Mitten in der Nacht, angeblich nur zweihundert Meter von der Grenze entfernt, lädt der Fahrer die Gruppe aus, gibt ihnen eine grobe Richtung vor und verschwindet.

"Das war der gefährlichste Abschnitt der Reise", meint Nabil, "der Mann hatte uns an einem Waldstück im nirgendwo abgesetzt, von der vermeintlichen Straße keine Spur. Vier Stunden lang sind wir bei völliger Finsternis durch die Wälder gestapft, die Frauen hatten Angst, die Kinder haben geschrien und wir waren immer noch auf ungarischer Seite".

Angekommen

Der nächste Schleuser sollte der letzte sein. 17 Personen, darunter drei junge Mädchen und zwei Frauen, zwängen sich in einen Van, der es schließlich bis nach Deutschland schafft. "Das war ein Traum, ich habe es erst nicht geglaubt", sagt Nabil. Wieder versteckt man sich in den Bäumen, sieben Stunden lang. Schließlich wird die Gruppe doch von den Behörden entdeckt. Doch anders als in den anderen Länder scheucht man sie nicht zurück über die Grenze, sondern bringt sie in ein Aufnahmelager. "Meine wichtigsten Fragen waren jetzt: Bin ich hier willkommen? Wird mich die Gesellschaft hier akzeptieren? In Suhl und in Eisenberg hätte ich nicht mit "Ja" antworten können, dort habe ich viele Gesichter gesehen, die Ablehnung zeigten. Seit ich hier bin, habe ich kein einziges dieser Gesichter gesehen und ich denke, jetzt bin ich tatsächlich in Deutschland angekommen."

Nabil hofft, das er in der Zukunft etwas tun kann, um diesem Land zu helfen. Seine Landsleute seien bereit zu arbeiten, sagt er, viele hätten eine gute Ausbildung, manche wie er selbst auch Universitätsabschlüsse. "Wir wollen nützlich sein und helfen", sagt Nabil den Schülerinnen und Schülern der zwölften Klasse. Er habe Hilfbereitschaft selbst erlebt, damals als er studierte und im die Menschen aus dem Libanon gen Syrien flüchteten und er und seine Komillitonen die Wohnheime freimachten. "Das was ihr hier macht", sagt Nabil voller Dank, "ist 1000 mal größer".

In der Turnhalle will er solange bleiben und als Übersetzer helfen, bis für alle eine passende Unterkunft gefunden ist. Gestern konnten bereits 10 Personen die Halle verlassen, mit etwas Glück folgen heute 15 weitere, so die Sozialarbeiter des Verein Schrankenlos. Die Hilfsbereitschaft ist groß, man würde jeden Tag Anfragen und viele Sachspenden bekommen nur habe man zur Zeit nicht die personellen Kapazitäten diese auch zu sortieren und zu verteilen, die Betreuung der Flüchtlinge habe Vorrang. Hilfe ist jederzeit willkommen, wer beim sortieren helfen kann, der möge sich im Weltladen melden.

Nabils Reise ist an ihrem vorläufigen Ende. Sie in groben Zügen zu erzählen hat fast eine Stunde gedauert. Für die Fragen der Schüler ist da keine Zeit mehr. Aber morgen will der Englischlehrer wiederkommen und diesmal sollen die Schüler reden und er will antworten.
Angelo Glashagel
Autor: red

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