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Ein Tag, wie Tage des Gerichts

Sonnabend, 04. April 2015, 13:03 Uhr
Vor 70 Jahren kam ein Unglück über Nordhausen, das die Stadt in ein Feld rauchender Ruinen verwandelt hat. Seither wurde den Bombardierungen vom 3. und 4. April 1945 immer wieder gedacht. So auch heute. Zur 70. Wiederkehr der Katastrophe aber hat man versucht, dem zum Ritual gewordenen Gedenken neues Leben einzuhauchen...

70. Jahrestag der Bombardierung Nordhausens (Foto: Angelo Glashagel) 70. Jahrestag der Bombardierung Nordhausens (Foto: Angelo Glashagel)

Und das ist nötig. Denn 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges werden die Stimmen derer, die mit eigenen Augen erlebt haben was Krieg wirklich bedeutet, immer weniger. Es ist eine Zeit des Übergangs, von der gelebten Erinnerung hin zu einer Generation, die vom Weltenbrand bald schon nicht mehr aus dem Mund von Zeitzeugen hören wird, sondern lediglich aus der Überlieferung schöpfen kann.

"Die Erinnerung ist Notwendig, damit die gemachten Erfahrungen nicht vergessen werden. Dort wo die Erinnerung nicht stattfindet, ist die Gefahr der Wiederholung groß", sagte Oberbürgermeister Dr. Klaus Zeh in der Flohburg, einem der Orte, an dem man heute der Zerstörung der Stadt gedachte.

Entgegen der Tradition fand die zentrale Gedenkveranstaltung heute nicht vor der Stele am Rathaus statt, sondern im Ratssaal des Bürgerhauses. Die Entscheidung, von dem freien Platz in den geschlossenen Raum zu gehen, mag man mit Skepsis betrachten, doch wie sich zeigen sollte war der Ort gut gewählt, die andere Art des Gedenkens dem Anlass angemessen. Schließlich stand hier, vor 70 Jahren, die Stadtkirche St. Nicolai, die den Bomben zum Opfer fiel.

Anstatt also Blumenkränze niederzulegen, eine Rede zu hören und wieder nach Hause zu gehen, fanden sich viele Nordhäuser, jung und alt, im Ratssaal ein. Gemessen an anderen Jahren fasste sich der Oberbürgermeister in seiner Rede kurz, das sprechen sollten heute andere übernehmen.

Dr. Manfred Schröter berichtete nicht zum ersten und hoffentlich nicht zum letzten Mal von der Zerstörung der Stadt und ihren Ursachen (Foto: Angelo Glashagel) Dr. Manfred Schröter berichtete nicht zum ersten und hoffentlich nicht zum letzten Mal von der Zerstörung der Stadt und ihren Ursachen (Foto: Angelo Glashagel) Sein Amtsvorgänger Dr. Manfred Schröter etwa, der sich als Zeitzeuge und als Chronist der jüngeren Stadtgeschichte unermüdlich gegen das Vergessen stemmt. Als nunmehr alter Mann, berichtet Schröter, würden ihm die Bilder von damals immer öfter vor Augen treten. Es ist beileibe nicht das erste Mal, das Schröter über die letzten Kriegstage spricht, aber dieses Mal will er nicht ins Detail gehen, befürchtet die Emotionen, die mit der Erinnerung einhergehen, nicht länger beherrschen zu können.

Ruth Böhm, ebenfalls Zeitzeugin, spart nicht mit Details, berichtet vom Feuer, vom beben der Bomben, von den Schreien der Verbrennenden, von den Bildern, die sich boten, als sie das sichere Versteck verlässt und in das Chaos tritt. Wie sie ihren Bericht beendet, sagt sie den Satz, der gesagt werden muss an so einem Tag und sie richtet ihn an die Jugend, die neue Generation: "Baut weiter an diesem einigen Haus Europa. Es gibt keine Alternative. Und es möchte keiner, das später noch Menschen sind, die solche Berichte vorlesen müssen".

Mahnwache an der Stele vor dem Nordhäuser Rathaus - eine Sache der Zivilcourage (Foto: Angelo Glashagel) Mahnwache an der Stele vor dem Nordhäuser Rathaus - eine Sache der Zivilcourage (Foto: Angelo Glashagel)

Michelle Decker und Luise Buchardt gehören zur dieser jungen Generation. Die Schülerinnen der zehnten Klasse der Regelschule Käthe-Kollwitz tragen im Ratssaal Augenzeugenberichte vor. "Der Bericht von Frau Böhm ging mir schon sehr unter die Haut", sagte Luise, "jeder junge Mensch sollte an so einer Veranstaltung teilhaben, es geht uns ja alle was an".

Neben Blumen und Kerzen stehen ihre Mitschüler an der Stele vor dem Rathaus und halten Mahnwache. Immer zwei Schüler und zwei Erwachsene, jeweils zehn Stunden lang über zwei Tage. Nach einer Stunde wird gewechselt. Die Idee dazu kam in der Arbeitsgruppe Gedenkkultur auf, bei der auch der Geschichtslehrer Alexander Gauck mitarbeitet. Gut 30 seiner Schüler hat er nach langen Gesprächen über das Thema für die Mahnwache gewinnen können, freiwillig. Bessere Noten gäbe es dafür nicht. "Das ist eine Sache der Zivilcourage", sagt der Lehrer.

Ausstellungseröffnung in der Flohburg - damit die gesammelten Erfahrungen nicht verloren gehen (Foto: Angelo Glashagel) Ausstellungseröffnung in der Flohburg - damit die gesammelten Erfahrungen nicht verloren gehen (Foto: Angelo Glashagel)

Mit der Aktion hat man auch verhindert, das Nordhausens extreme Rechte den Platz für die Inszenierung des eigenen Geschichtsbildes nutzen kann. Sie kommen trotzdem, am Abend, doch da gehen auf dem Rathausplatz die Lichter aus. Der Umdeutung des Schreckens soll keine Bühne geboten werden.

"Im Interesse der historischen Wahrheit und deren ehrlicher Vermittlung an die nachgeborenen Generationen müssen wir, in eigenen familiären Gesprächen mit Jugendlichen wie auch im Geschichtsunterricht, diese unsere Erkenntnis vermitteln: das damalige Deutsche Reich trägt den größten Teil der Schuld und damit die Verantwortung für den furchtbarsten aller Kriege in Mitteleuropa", erklärte Dr. Schröter in seiner Rede.

Was der Krieg aus Nordhausen gemacht hat, das kann man sich seit heute auch in der Flohburg ansehen. Im Anschluss an die zentrale Gedenkveranstaltung wurde hier die Ausstellung "70 Jahre danach" eröffnet. Gezeigt werden viele bekannte wie auch unbekannte Bilder der Stadt vor und nach dem Angriff, zahlreiche Objekte und Dokumente.

Jung und Alt im Gespräch - die Gedenkkultur Nordhausens befindet sich im Umbruch (Foto: Angelo Glashagel) Jung und Alt im Gespräch - die Gedenkkultur Nordhausens befindet sich im Umbruch (Foto: Angelo Glashagel) Zur Eröffnung sind es auch hier wieder Jugendliche, die auf der Bühne vor einem vollem Haus stehen und berichten. Nicht die Emotion steht hier im Vordergrund, sondern die Zahlen und Fakten. Sie berichten wie es war in den letzten Kriegstagen in Nordhausen zu leben, was genau geschah, als die Bomber kamen und was sie vernichteten, sie berichten was danach kam. Eingestreut werden Gedichte und Musik.

Zur Eröffnung sind auch Zeitzeugen gekommen, und während die ersten Besucher die Ausstellung erkunden, sieht man die Jungen und die Alten beieinander sitzen und reden.

Dieser 70. Jahrestag, er war anders, weniger rituell als man das aus der Nordhäuser Gedenkkultur gewohnt ist. Dafür gebührt den Organisatoren, den Rednern und den Schülerinnen und Schülern großer Dank. Es bleibt zu hoffen, das der Übergang von der Generation der Zeugen auf die Nachgeborenen, zudem man heute einen ersten und wertvollen Schritt gehen konnte, nicht im Sande verläuft. Denn nicht nur heute sondern auch in den kommenden 70 Jahren sollten wir uns noch daran erinnern, warum dieser Kontinent dereinst in Blut und Feuer versank. Nicht weil es unsere Schuld wäre, für die wir Buße zu tun müssten. Sondern weil es in unserer Verantwortung liegt, das sich die Katastrophe, die Nordhausen und so viele andere Städte in ganz Europa damals ereilt hat, niemals wiederholt.
Angelo Glashagel
Autor: red

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