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Feminismus 2.0

Dienstag, 03. März 2015, 18:00 Uhr
Die gesellschaftliche Position der Frau hat sich in den vergangenen einhundert Jahren radikal gewandelt. Möglich wurde das dank des Engagements zahlreicher Frauen, die sich nicht den Konventionen ihrer Zeit fügen wollten. Wie Feminismus heute aussieht und wofür sich Frau einsetzt, konnte man heute im Bürgerhaus erfahren...

Was ist moderner Feminismus - im Nordhäuser Bürgerhaus wurde heute dazu diskutiert (Foto: Angelo Glashagel) Was ist moderner Feminismus - im Nordhäuser Bürgerhaus wurde heute dazu diskutiert (Foto: Angelo Glashagel)

Frauen haben, zumindest in der westlichen Welt, heute mehr Rechte und Freiheiten als jemals zuvor. Braucht es also noch einen modernen Feminismus? Wenn man heute den Ausführungen von Anne Wizorek im Nordhäuser Bürgerhaus lauschte, war man geneigt, die Frage zu bejahen.

Als vor gut einem Jahr der wenig professionelle Umgang des FDP-Vorsitzenden Rainer Brüderle mit der Stern-Reporterin Laura Himmelreich den deutschen Blätterwald bewegte, startete Wizorek den Hashtag "#Aufschrei". Unter der Schlagzeile sollten Nutzerinnen des Social Media Dienstes Twitter ihre eigenen Erfahrungen mit Alltagssexismus an die Öffentlichkeit bringen. In zwei Wochen kamen 60.000 Einträge zusammen und wieder rauschte es im Pressewald.

Für die Aktion erhielt Wizorek 2013 den Grimme Online Award. Im Herbst des vergangenen Jahres veröffentichte Wizorek ihr Buch "Weil ein #Aufschrei nicht reicht - für einen Feminismus von heute". Der Wind im Wald ist seitdem größtenteils verebbt, zumindest in der Presselandschaft. Ganz anders sieht das im Internet aus, hier formiert sich der neue, der "Netzfeminismus". Was das ist und womit sich die feministische Netzgemeinde beschäftigt, das erklärte Anne Wizorek heute im Nordhäuser Bürgerhaus.

Autorin und Netzaktivistin  - Anne Wizorek sprach über modernen Feminismus in der Zeit der Social Media (Foto: Angelo Glashagel) Autorin und Netzaktivistin - Anne Wizorek sprach über modernen Feminismus in der Zeit der Social Media (Foto: Angelo Glashagel)

Blogs, Twitterhashtags, Facebook-Kampagnen und YouTube Videos sind die modernen Mittel, um Themen in Umlauf zu bringen, die von der Presse übersehen werden, Mittel um eine Gegenöffentlichkeit zu etablieren, berichtet Wizorek und hat viele Beispiele mitgebracht. Seit 2008 etwa ist der Blog "Mädchenmannschaft" aktiv und gehört damit zu den Veteranen der Szene. Hier wird derzeit auf Aktionen zum anstehenden "Frauenkampftag" am kommenden Sonntag aufmerksam gemacht. Der Blog "Kleinerdrei", an dem Wizorek selbst mitarbeitet, befasst sich aktuell mit der Darstellung weiblicher Charaktere in Film und Fernsehen und auf "Gleicherlohn.de" kann man sehen, wieviel weniger Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen verdienen. Bei einer Konditorin sind das zum Beispiel 87 Cent für jeden Euro, den ein Mann im selben Beruf verdient. Macht 264 € weniger im Monat und 3168 € weniger im Jahr.

Die Vielfalt des Netzes bringt es mit sich, das nicht nur bierernst oder trocken akademisch berichtet wird, sondern auch Humor und praktische Anwendung ihren Platz finden. Unter dem Hashtag "#wiesmarties" machte sich die Twitter-Community über Äußerungen lustig, die Hermann Gröhe, seines Zeichens Bundesgesundheitsminister, in Bezug auf die "Pille danach" getätigt hatte und unter "Speakerinnen.org" findet sich eine lange Liste an Fachfrauen, die gerne zu Diskussionsforen geladen werden.

Vom Nutzen und der Effektivtät der neuen Medien ist Online-Aktivistin Wizorek überzeugt. "Diese Netzwerke können sehr stark sein. Man kann Menschen sensibilisieren und über niedrigschwellige Angebote an die Themen heranführen", sagte Wizorek. Zahlen und Statistiken seien nur schwer fassbar, so die Bloggerin. Die Themen, wie Alltags- oder Onlinesexismus, Rassismus, LGBTQI* und Diskriminierung oder auch Lohnunterschiede, könnten aber fassbar gemacht werden, wenn man von konkreten Erlebnissen lese.

Das Engagement der Netzgemeinde endet nicht im digtialen Raum. Die neuen Medien werden auch genutzt, um sich über Aktionen auf dem laufenden zu halten und zu Demonstrationen oder ähnlichem zu verabreden. Zudem suchten Aktivistinnen wie sie selbst auch Anschluss an Parteien und Politik um ihre Positionen in den öffentlichen Diskurs zu tragen, berichtete Anne Wizorek.

Allerdings wohl nicht bei allen Parteien und auch nicht auf allen Demonstrationen. In Wahlprogrammen wie dem der AfD oder in einigen Aussagen der Pegida-Bewegung sieht Wizorek Bestrebungen zum "konservativem Backlash", dem zurückdrehen von feministischen Errungenschaften, etwa auf dem Gebiet der körperlichen Selbsbestimmung. "Feminismus ist immer noch relevant und größere Aufmerksamkeit für diese Themen ist immer noch wichtig. Wir dürfen uns nicht auf den Errungenschaften ausruhen, denn diese können auch wieder verloren gehen", sagte Wizorek.
Angelo Glashagel

*Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Questioning and Intersex
Autor: red

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