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Betrachtet: Pegida, der Islam und Neukölln

Donnerstag, 15. Januar 2015, 14:51 Uhr
Plötzlich will man mit den Leuten der Pegida-Bewegung reden. Intensiv. Vertrauensvoll. Jetzt sind es keine verblendeten, in die Irre geleiteten Menschen mehr, die Rattenfängern auf den Leim gingen. Heiko Mass, der SPD-Bundesjustizminister, und Grünen-Chef Özdemir hatten sie gestern noch so gesehen. Sie geißelten die Bewegung als zutiefst undemokratisch, weshalb man mit ihr nichts zu besprechen habe. Woher der plötzliche Sinneswandel, fragt nnz-Autor Kurt Frank...


Die Studie der TU Dresden mag sie dazu bewogen haben. Die stellte fest: Die Menschen, die da in der Metropole an der Elbe sich der Pegida angeschlossen haben, sind Mittelständler, gut ausgebildet, verdienen gut, weisen keine Parteiverbundenheit auf und sind im Schnitt 48 Jahre alt.

Sie dominieren die Demonstrationen, wenngleich auch einige Glatzköpfige zu sehen waren. Auch Maas und Özdemir sind klug genug, die Gesamtheit nicht weiter als „Abschaum“ der Gesellschaft zu bezeichnen.

In erster Linie, besagt die Studie, ist es die Unzufriedenheit mit der Politik, die diese Menschen auf die Straße treibt. Es folgt die Kritik an den Medien. Schließlich sind es die Ressentiments gegenüber Zuwanderungen und Asylbewerbern. Vorbehalte gegen Muslime seien besonders ausgeprägt. Womit ich bei Berlin-Neukölln und Heinz Buschkowsky bin.

Buschkowsky ist Bezirksbürgermeister in einem Stadtteil mit 320000 Menschen, von denen 140000 aus allen Himmelsrichtungen zusammengeweht wurden. Der Chef ist ein geachteter und beliebter Mann, bekannt auch aus Gesprächsrunden und Talkshows im Fernsehen. Ohne Umschweife redet er Klartext. Auch im “Der Hauptstadtbrief“. Der hat es in sich.

„Ein Teil der Gesellschaft wendet sich ab“, überschreibt er seinen Brief und fügt als Unterzeile hinzu: “Wir erleben eine allmähliche Veränderung, die darauf abzielt, eine andere Gesellschaft zu schaffen als die, die wir westliche Demokratie nennen“. Was er äußert, belegt er. Einleuchtend. Überzeugend. Tagtäglich erlebe er sie, die Veränderungen. Vor der eigenen Haustür.

„Wir sind Einwanderungsland, und Einwanderungen bringen neue Einflüsse – das ist nun einmal so. Aber wie verändert sich unser Land? Wie verändern sich unsere Lebensregeln?“, fragt er. Und fügt an: „Wenn ich heute aus dem Fenster sehe im Rathaus Berlin-Neukölln, dann dominiert bei den Passantinnen unten auf Donau- und Karl-Marx-Straße traditionell muslimische Kleidung, sprich: Verschleierung.“

Ein Straßenbild, findet der Bürgermeister, mit völlig verhüllten Frauen entspreche nicht dem, was er sich unter allgemeinen Verhaltensregeln für den öffentlichen Raum in Mitteleuropa vorstelle. Selbst Muslime, weiß der Bürgermeister, die sich gut integriert haben und mit ihm sprachen, mahnen: Ihr tut Menschen, die nach Deutschland kommen, keinen Gefallen, wenn ihr sie einfach machen lasst, was sie wollen.

Das sind Muslime, hebt Buschkowsky hervor, die mit einem hohen Maß an gesundem Menschenverstand und Sinn dafür, was die Pflicht eines Menschen für seine Familie und Umgebung ist und dafür, was richtig und was nicht richtig ist. Diese Menschen, die den Weg nach Deutschland fanden und Teil unserer Gesellschaft wurden, seien eine Bereicherung.

Sie bemühten sich, auch andere zu mehr Integration zu bewegen – und die damit, bedauert Buschkowsky, zunehmend gegen Wände laufen. Und auf aggressive Reaktionen stoßen. Wie der türkische Elternvertreter und all jene, die wollen, dass es ihren Kindern besser geht, die verkrustete Strukturen ihrer Herkunftsumgebung hinter sich lassen wollen, stießen zusehends auf eine Mauer des Schweigens. Aus Frust und Verzweiflung würden jetzt immer mehr Konsequenzen ziehen und Neukölln hinter sich lassen.

Diese Familien wollen sich nicht täglich im Supermarkt fragen lassen, warum ihre Töchter mit 12 Jahren immer noch keine Kopftücher, aber Jeans tragen, die sie auch davor bewahren wollen, in der Schule angefeindet zu werden, weil das alles Sünde sei. Wir dürfen nicht einfach zusehen, mahnt Heinz Buschkowsky, wenn vor unseren Schulen allmorgendlich Flugblätter verteilt werden, mit denen junge Mädchen unter Druck gesetzt werden

Der Bürgermeister schlussfolgert: Wenn man weiterhin Lehrer, Rektorinnen, integrierte Migranten mit sozialem Engagement, die sich vor Ort nicht hinnehmbaren Entwicklungen alltäglich entgegenstellen, dabei alleine lassen und der Meinung sind, na ja, die paar Quertreiber, das gibt sich wieder, dann werden wir das früher oder später bitter bereuen.

Die armen Menschen, Frauen und Kinder, die dem barbarischen IS-Terror entfliehen, weil sie um Leib und Leben fürchten, schließen wir in die Arme. Es kommen aber auch andere. Mit für die Gesellschaft gefährlichen Absichten. Heinz Buschkowsky spricht von 40000 bis 50000 aktiver Islamisten in Deutschland.

Nach den Terroranschlägen auf das französische Satiremagazin in Paris gebären sich hierzulande Politiker wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen. Von schärferen Gesetzen, Passentzug, Überwachungen und dergleichen mehr ist jetzt die Rede. Jetzt, nachdem religiöse Fundamentalisten ihre Brutalität zeigten. Vorher ließ man in Moscheen Hassprediger gewähren, Salafisten als Scharia-Polizei durch Köln am helllichten Tag patrouillieren.

Buschkowsky spricht von einer schleichenden Landnahme. Neukölln sei überall. Noch vor fünf Jahren habe es deutlich anders ausgesehen. Was ist denn nur mit Neukölln passiert?, fragten ihn immer mehr Menschen. Er schließt mit den Sätzen: „Auch wenn es so aussehen mag: Wir sind kein Gottesstaat . Und ich werde tun, was ich kann, damit es auch nicht dazu kommt.“

Dagmar Becker ist kein Siegertyp. Das ist bekannt. Aber SPD-Landtagsabgeordnete und Kreischefin ihrer Partei. Auch sie ist besorgt. Sehr sogar. Nicht wegen Berlin-Neukölln. Wegen „Pegida“. Die will in Nordthüringen Fuß fassen. Man müsse unmissverständlich sagen, was sich dahinter verbirgt. Wir halten Dagmar Becker zugute, weder die Studie der Technischen Universität Dresden noch den Brief ihres Parteigenossen Heinz Buschkowsky gelesen zu haben.

Unsere Zeitung war eine der ersten, die offizielle Darstellungen über religiöse Fundamentalisten und Pegida nicht kommentarlos abschrieben hat. Sollten Dagmar Becker „Der Hauptstadtbrief“ und die Studie der TU mittlerweile bekannt sein, räumen wir ihr gern den Platz ein, auch darüber einmal ihre Meinung kundzutun.
Kurt Frank
Autor: red

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