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Blende auf und zu: PEGIDA oder mehr?

Dienstag, 13. Januar 2015, 10:00 Uhr
Die Medien und deren Macher reden über Pegida. Die wenigsten waren bei den mittlerweile zwölf Märschen in Dresden wirklich vor Ort. Dabei wäre dies gerade wichtig, um sich selbst ein Bild zu machen...

In Berlin gibt es einen Informations- und Hintergrunddienst, den sogenannten Hauptstadtbrief. In der Nummer 126 - erschienen am 17. Dezember vergangenen Jahres - beschreibt Heinz Buschkowski die Veränderungen, die sich in seinem Stadtbezirk, es ist Neukölln, seit einigen Jahren vollzogen haben. Überschrieben ist der Brief mit "Ein Teil der Gesellschaft wendet sich ab".

Blende: An einem schönen Sommertag sitzt eine Gruppe von Nordhäusern im mittleren Alter irgendwo an einem Ende dieser Welt und schaltet mal ab von Alltag, Termindruck, Gewinnmaximierung und Stress. Schön soll er werden dieser gemeinsame Urlaub. Wenn da die Tabletts nicht wären, über die man die Nachrichten aus unserem Ende der Welt quasi in die Hängematte serviert bekommt.

Diese Nachrichten, vor allem aber deren Wichtung, deren Ausrichtung, deren gefühlte Steuerung - all das machte den Nordhäusern nicht wirklich Spaß. Sie fühlten sich zum Beispiel von der Berichterstattung der deutschen Elitemedien verar..... Genauso deftig drückten sie es aus. Es war für sie nicht mehr zu ertragen - dort die bösen Russen, hier die guten Westukrainer. Hier der Schurke Putin, dort die friedliebende EU und dazu noch eine USA, die, so suggeriert als Hort der Bürgerrechte, überhaupt kein Interesse an den Entwicklungen in der Ukraine hätten. Diese Wut fühlten jene, die im Hier und Heute angekommen sind, die von materiellen Existenzängsten Lichtjahre entfernt sind.

Blende: Dresden. Zum zwölften Mal sind Menschen in dieser Stadt spazieren gegangen. Ich war nicht dabei, muss mich auf Quellen verlassen können. Und deshalb die immer wieder gestellte Frage: Waren das alles Nazis in Nadelstreifen? Waren das alles Menschen, die eine Schande für dieses Land darstellen? Die Antworten darauf muss jeder selbst finden. Wenn in einer Masse von 20.000 oder 30.000 Spaziergängern vielleicht auch Mitglieder der NPD auszumachen sind, muss dann der "Rest" in Sippenhaftung genommen werden, nur weil es polemisch und propagandistisch passt?

Ein Kommentator in dieser Zeitung fragte unlängst, ob alle Teilnehmer einer Kundgebung in Geiselhaft genommen werden, weil auch Demonstranten aus der linken, gewaltbereiten Szene mit demonstrierten? Sind dann alle Teilnehmer der Demo als gewaltbereit einzustufen?

Die Schriftstellerin Monika Maron besuchte die Pegida-Demo in Dresden vor Weihnachten. Anfang dieses Jahres schrieb sie in der "WELT" unter dem Titel "Pegida ist keine Krankheit, sondern das Symptom" unter anderem: "An diesem Montag vor Weihnachten, als ich in Dresden war, fiel mir auf, dass im Gegensatz zu den Fernsehbildern und Zeitungsberichten über frühere Pegida-Demonstrationen sehr viele junge Männer den Platz bevölkerten. Vielleicht lag es ja daran, dass die Mütter und Großmütter mit den Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt waren.

Vielleicht aber führt die reflexhafte Unterstellung, es handele sich bei Pegida nur um eine Ansammlung von Rassisten und fremdenfeindlichen Subjekten, Nazis eben, die es unter den Demonstranten zwar auch gibt, aber nicht in der Mehrzahl, vielleicht führen gerade diese Abwehrkanonaden dazu, dass die Menschen, die keine Rassisten sind, schon gar keine Nazis, sich solchem Verdacht nicht länger aussetzen wollen und statt ihrer dann andere, wirkliche Rassisten und Fremdenfeinde auf dem Platz demonstrieren.

Bei der Heimfahrt, auf der Ausfallstraße in Richtung Berlin fielen uns die vielen Autos mit Berliner und Brandenburger Kennzeichen auf, und an der Tankstelle sahen wir sie dann, die Nazis mit Glatzen und Thor-Steinar-Jacken. Die waren also auch da. Denen und ihren weniger auffälligen Geistesbrüdern keinen Platz und keine Stimme zu geben, ist die einzige richtige Antwort.

Mit allen anderen aber müssen wir reden. Wir müssen wieder lernen, andere Meinungen zu ertragen, ohne in ihren Vertretern nur Feinde und Abschaum zu sehen. Wir preisen die offene Gesellschaft und verweigern die offene Diskussion. Pegida ist nicht die Krankheit, Pegida ist nur ein Symptom.
"

Das Fatale: Jene Islamisten schlagen jenen die Tür vor dem Kopf zu, die auch aus arabischen Ländern nach Deutschland kommen, allerdings aus einem triftigen Grund: Ihr Leben ist bedroht, durch den Bürgerkrieg in Syrien beispielsweise. Diesen Menschen – kämpfend um die nackte Existenz – müssen wir Asyl gewähren! Das ist Deutschlands menschliche und ethische Verpflichtung. Und diese Differenzierung sollte bei den Pegida-Demonstrationen auch klar gemacht werden.

Ja, da wird in Dresden oder jetzt auch in Leipzig vor einer schleichenden Islamisierung gewarnt. Und ja, in Mitteldeutschland leben tatsächlich die wenigsten Muslime. Vielleicht aber schauen immer mehr Menschen dorthin, wo der Anteil der Muslime sehr viel größer ist. Zum Beispiel nach Berlin und sie lesen, was der Bezirksbürgermeister von Neukölln schreibt: "Wir haben es, alltägliche Beispiele aus dem Umfeld Schule machen das exemplarisch deutlich, mit einer schleichenden Landnahme zu tun: Wenn etwa eine Klasse mit drei muslimischen Mädchen eine Klassenreise macht, dann muss mittlerweile eine Person mitfahren, um sie auf der Reise muslimisch zu betreuen. Nun haben wir ja bei uns Klassen mit 95 Prozent Muslimen und vielleicht drei katholische Mädchen. Käme jemand auf die Idee, ein Pastor müsse mitfahren, um die drei Mädchen unterwegs katholisch zu betreuen? Nein. Weil ein solches Hineintragen religiöser Dinge in den Alltag bei uns nicht üblich ist. Weil wir nicht unter der Vorstellung leben, jede Banalität könne verwerflich sein und zur Verweisung aus dem Paradies führen. Oder dass ein Schuljunge Anlass haben könnte, der Schulstadträtin nicht die angebotene Hand zu schütteln mit der Begründung: Wenn ich dir die Hand gebe, ist das Sünde, dann bin ich beschmutzt.

Es geht hier nicht um Kleinigkeiten, die Rede ist von der Existenz einer Parallelgesellschaft – und vom Versuch einer allmählichen Landnahme des Fundamentalismus mit dem Ziel, eine andere Gesellschaftsordnung zu schaffen als die, die wir westliche Demokratie nennen. Noch ein Beispiel aus einer Schule in Neukölln: Dort werden 700 Grundschulkinder betreut, und wir haben da einen sozialen Brennpunkt. Unser Ziel ist also, die Eltern zu erreichen. An der Schule wird ein Elternzentrum gebaut, Kosten und Mühen nicht gescheut. Der einzige Mangel, den dieses Elternzentrum hat: Es sind keine Eltern da. Keinen halben Kilometer Luftlinie entfernt steht die salafistische Al-Nur-Moschee. Die haben auch ein Elternzentrum – und das ist voll, brechend voll. Sie haben auch eine Koranschule mit 400 Plätzen, die ebenfalls täglich bis auf den letzten Platz besetzt ist. Das macht mir Sorgen. Denn da verfestigen sich die entgegengesetzten Pole zu unserem Bildungssystem, zu unserem Rechtssystem, zu unserem Wertesystem. Da finden Veränderungen statt, die die Grundlagen unserer Gesellschaft betreffen.

Wir dürfen nicht einfach zusehen, wie Kinder, junge Männer, ganze Familien, die unter uns leben, zu den islamistischen Rattenfängern gehen und nicht wiederkommen. Wir müssen klar und deutlich sagen: Das ist etwas, das uns nicht gefällt. Wir dürfen nicht einfach nur zusehen, wenn vor unseren Schulen allmorgendlich Flugblätter verteilt werden, mit denen junge Mädchen unter Druck gesetzt werden, die in Jeans oder mit Make-up zur Schule kommen: Warum trägst du Lidschatten, Schwester? Weißt du, dass das Sünde ist?
".

Vielleicht wollen die Menschen, die in Dresden oder anderswo für oder mit Pegida auf die Straße gehen, diese "Zustände" nicht. Vielleicht fürchten Sie sich wirklich davor? Vielleicht trauen sie der Politik in diesem Land nicht mehr zu, sich ihrer Probleme anzunehmen, ihnen zuzuhören? Vielleicht haben sie es satt, immer wieder das Wort "alternativlos" zu hören und zu lesen? Vielleicht sind sie es überdrüssig gesagt zu bekommen, dass die Welt derart komplex ist, dass nur Frau Merkel oder Herr Maas sie noch verstehen? Und vielleicht wollen sie die 20-Sekunden-Plattheiten von Politikern in "Tagesthemen" oder "heute journal" nicht mehr ertragen?

Und man spürt in Dresden noch mehr: Ein diffuses Unbehagen mit der Politik, das Gefühl des Grabens zwischen „denen da oben“ und „uns“, der nicht nur immer breiter zu werden scheint, der breiter geworden ist.

In Nordhausen kann man das wie unter einem Brennglas verfolgen. Auch hier macht seit Jahrzehnten eine „Eliten“ Kaste von geschätzten hundert Leuten Politik – parteiübergreifend. Innerhalb dieses Netzwerkes werden öffentliche Gelder gelenkt und Pöstchen vergeben; innerhalb dieses Netzwerks wird die vermeintliche öffentliche Meinung geprägt, denn man hat das Privileg des Medienzugangs; hier werden private Hobbies und geschäftliche Interessen aus dem Topf der Allgemeinheit finanziert. Und ab und an, je nach Großwetterlage, wird per Antrag mal „Bürgerbeteiligung“ gerufen, werden „Freiwillige“ als Marionetten vor die Kamera geschoben, als „Giganten“ betitelt, die für einen Hungerlohn oder gar ganz für umsonst die Prestigeprojekte der “Elite“ umsetzen.

Das spüren die Menschen auch in Nordhausen, und das Gefühl des Unbehagens mit diesem Politiktheater ist mit den Händen zu greifen. Und es wird sich Stimme verschaffen, in den kommenden Monaten, wenn das überlebenswichtige Spardiktat für Vereine, Verbände, Freie Träger schmerzhaft spürbar wird. Das prophezeihe ich.

Vielleicht sollten auf diese oben gestellten Fragen endlich mal Antworten gegeben werden. Tut es endlich, liebe Politiker! Auch dafür haben wir euch eventuell mal gewählt, vielleicht ein letztes Mal. Gewiss, dass ist schwerer als die da "im Tal der Ahnungslosen im Osten" zu beschimpfen, auszugrenzen, sie der sozial absturzgefährdeten Schicht dieser Bevölkerung zuzuordnen.

Vielleicht auch konnte Pegida nur im Osten dieses einigen Deutschlands geboren werden? Vielleicht haben die Menschen hier eine besondere Antenne für kaum spürbare Veränderungen in diesem Gemeinwesen, das wir Gesellschaft nennen. Fakt ist: Sie hatten es schon einmal - vor mehr als 25 Jahren.
Peter-Stefan Greiner

Quellen:
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article135973630/Pegida-ist-keine-Krankheit-Pegida-ist-das-Symptom.html

http://www.derhauptstadtbrief.de/cms/index.php/105-der-hauptstadtbrief-126/677-ein-teil-der-gesellschaft-wendet-sich-ab
Autor: red

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