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nnz-Betrachtung: Gott sei Dank

Freitag, 12. September 2014, 08:02 Uhr
Was waren das für Wochen, was war das für ein Wahlkampf? Da wurde geredet, gepöbelt, um jede Stimme "gekämpft", getalkt. Letztlich müssen sich die Kämpfer die Frage gefallen lassen: Wem nutzt es...


Das I-Tüpfelchen des diesjährigen Wahlkampfes war die Nutzung eines neuen Mediums - des sozialen Netzwerkes. Was trieben die Aktivitäten zum Beispiel in Facebook nicht alles für Blüten? Da wurden Kandidaten von Freuden angehimmelt, von Gegnern niedergemacht. Und dann die Krönung: Es kippten sich im normalen Leben normale Menschen einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf und ließen sich dabei filmen.

Vermutlich wären einige Kandidatinnen und Kandidaten auch nackt durch die Rautenstraße gerannt, wenn es ihnen den Erfolg am Sonntag garantiert hätte. Auf solch niedrigem Niveau befand sich kein bisheriger Wahlkampf. Und das wird erst der Anfang sein, denn die Möglichkeiten der modernen Informationsübermittlung und damit versuchten Manipulierung sind noch lange nicht ausgeschöpft.

Doch bleiben wir in der Gegenwart. Vielleicht wird heute und morgen noch einmal ein Stand aufgebaut, wird an die eine oder andere Haustür bettelnd geklopft. Innerlich werden die wahlkämpfenden Männer und Frauen froh sei, dass der Irr- oder Wahnsinn vorüber ist. Zehntausende von Euro machten allein die lokalen Parteizentralen und ihre jeweiligen Sponsoren locker: Für verhangene Brückengeländer, für riesige Plakate mit sinnhaften, meist aber von jeglichem Sinn befreiter Parolen, für Standard-Plakate an irgendwelchen Masten. Meist drei bis vier übereinander. Ob das den Wähler beeindruckt oder beeinflusst, das hat noch niemand bestätigen oder negieren können. Und so wird munter mit- und höchstwahrscheinlich auch weitergemacht.

Die nächste Wahlgeheimwaffe: Es werden Promis eingeflogen oder eingefahren. Die CDU versuchte es mit Wolfgang Schäuble, der in seiner einstündigen Rede dem Wahlkampf und dessen christdemokratischen Kandidaten vielleicht gerade mal zehn Sätze widmete. Vielleicht war das auch und gerade bauernschlau? Die CDU hatte auch noch den Herrn Mohring zu bieten. Beim Sommerfest. Dessen Auftritt war indiskutabel. Denn Gästen des Sommerfestes brauchte er nicht zu erklären, dass bei einer rot-roten Regierung sich die Welt von Thüringen abwenden werde.

Die SPD ließ es da ruhiger angehen, wie im gesamten Wahlkampf überhaupt. Kann sie auch, denn Dagmar Becker ist so gut wie im Landtag und Andreas Wieninger so gut wie nicht. Dafür besuchte Carsten Schneider das Sommerfest am Tauchersee und Heike Taubert grillte in Görsbach.

Die verzweifelte FDP hatten neben einer völlig aus den Bahnen geratenen Plakatkampagne in dieser Woche ihren Bundesvorsitzenden Christian Lindner zu bieten. Herr Lindner konnte die Weltuntergangsstimmung der Liberale nur für Momente aufhellen. Das war schon der Mut der Verzweifelten, was so zu spüren war.

Die Bündnisgrünen kamen mit mobilen Angeboten. Mal brachten sie ein kurioses Fahrrad mit, mal luden sie zu Wanderungen ein und waren doch meist unter sich.

Die LINKE zog den Trumpf mit Gregor Gysi, der seine Rolle perfekt abspulte. Man stelle sich nur mal vor, der Herr Riexinger hätte in Nordhausen eine Rede gehalten? Einige Genossinnen und Genossen hätte ihm - ob seiner "Kunst", die Massen zu begeistern - parteischädigendes Verhalten unterstellt. Nein, das kann nur der Gysi, der wirklich alle Facetten aller möglichen Politiksphären durchkämmte. Von der UNO bis hin zu der Straße, in der Wolfgang Schäuble vermutlich wohnt. Und der minutenlang aufzählte, was seine Partei alles besser kann. Warum nur kommt sie in diesem Deutschland nicht auf ein zweistelliges Ergebnis?

Bleibt noch die Partei, die in Nordhausen und Umgebung kaum zu hören war und die vermutlich den Thüringer Landtag in den nächsten vier Jahren "beleben" wird - die AfD. Die ist momentan zum Beispiel dem Herrn Lindner derart verhasst, dass er nicht in der Lage ist, die drei Buchstaben hintereinander auszusprechen. Lieber Herr Lindner, das hatten wir schon mal in diesem Land. Nur: es waren damals die Buchstaben P-D-S. Und was hat es gebracht?

Diese Alternative für Deutschland, über deren Ziele, Programm oder Inhalte man sich trefflich streiten kann, hat nur einen Existenzgrund: Das Versagen der sogenannten bürgerlichen Volksparteien, die sich dieses Prädikat immer noch umhängen, obwohl sie vom Volk Lichtjahre entfernt sind.

Und die alle (zumindest eine Partei) sollen wir am Sonntag wählen? Ja, verdammt noch mal! Gehen Sie zur Wahl und ich glaube, es würde ein böses Erwachen für alle Parteien geben, die am Sonntag auf dem Wahlschein zu finden sind, wenn die Wahlbeteiligung bei 90 Prozent liegen würde.

Das wäre ein Spaß, denn dann hätte dieser so friedliche Freistaat, in dem es sich manche Parteien seit fast einem Vierteljahrhundert gemütlich gemacht haben, seine wirkliche politische Revolution.

Ich gehe am Sonntag wählen. Auch weil Revolutionen immer auch die Chance für einen Neubeginn in sich bergen. Machen auch Sie bitte übermorgen Ihr Kreuz, bitte aber nicht bei extremistischen Parteien. Sie müssen dazu nicht unbedingt ein Revolutionär sein.
Peter-Stefan Greiner
Autor: red

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