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Heimatgeschichte: Das Nadelöhr

Dienstag, 04. März 2014, 12:29 Uhr
Das unmittelbare Südharzvorland des Landkreises Nordhausen reicht von der Stadt Ellrich über Sülzhayn und Ilfeld bis nach Neustadt. Von hier aus beginnen zahlreiche Wanderwege in den Harz. Zentrum dieses Harzvorlandes ist Ilfeld. Gleich hinter Ilfeld befindet sich der Eingang zum Harzgebirge, die sogenannte Porta Ilfeldensis...


Bizarre Klippen umrahmen rechts und links das Tal in Richtung Netzkater, das von der Behre durchflossen wird. Das Gestein besteht aus dem rotbraunen Ilfelder Porphyrit mit unterschiedlicher Festigkeit und bildet durch die Verwitterung skurrile Felsenformen, die die Phantasie der Menschen anregt. So haben die besonders markanten Felsen fast alle einen eigenen Namen.

Zu ihnen gehören hier im Ilfelder Tal das Nadelöhr, der Mönch und der Gänseschnabel. Die schöne Sage vom „Nadelöhr“ hat Horst Rasemann aufgespürt und möchte sie den Lesern der nnz nicht vorenthalten.

In Ilfeld in der Nähe des ehemaligen Klosters ragt aus einem hohen Berg ein eigenartiges Felsgebilde eines Porphyrblockes hervor, dem der Volksmund den Namen „Das Nadelöhr“ gegeben hat. Diese Felspartie nahe der Talsohle, besteht aus zwei Blöcken und ist so geschichtet, dass sie einen länglichen Schlitz, etwa wie das Öhr einer Nadel, bildet (siehe Foto). Dieser Stein soll im früheren Brauchtum der Harzer Fuhrknechte eine etwas derbe Rolle gespielt haben. So mussten alle Knechte aus Nordhausen und den umliegenden Orten dreimal durch dieses Nadelöhr kriechen, wenn sie das erste Mal in den Harzforst nach Brennholz fuhren. Beim Ein – und Auskriechen wurden sie dabei mit Peitschenhieben tüchtig geschlagen. Wollten sie das nicht, so mussten sie sich mit Geld loskaufen. Der Dichter A. Kopisch hat das Nadelöhr in einem Poem so besungen:

Bei Ilfeld, da liegt ein Stein, hat durch und durch ein Öhr:
Da ist ein Brauch, der ist nicht fein, und doch lustiert er sehr.
Der Amtmann will, er soll nicht sein; allein, was hilft ihm Drohn und Schrein?

Kaum fährt ein neuer Knecht ins Holz, flugs greifen die anderen ihn.
Er muss sich, sei er noch so stolz, durch dieses Öhr bemühn.
Er kriecht, sie haun und schreit der Knecht, so ist`s den anderen eben recht.

Kauft er sich aber los mit Geld, so braucht er nicht hinein.
Doch tut er`s nicht, dann muss der Held dreimal so durch den Stein.
Dann ist er ein gemachter Mann, der andre wieder hauen kann.

Sucht man in diesem Stück Moral, so sucht man sich nicht tot.
Es geht damit wie überall, wer reich ist, wehret Not.
Beim Nadelöhr zu Ilefeld, kommt man vorbei mit barem Geld.

Allein, es kommt ein ander Öhr, das enger ist als das.
Da drehen andre Knechte sehr, und wehrt kein Geld den Spaß.
Wer da nicht durch kann, bleibt in Pein, und sollt es auch ein König sein.

Das ist das Nadelöhr im Ilfelder Tal (Foto: Archiv Rasemann) Das ist das Nadelöhr im Ilfelder Tal (Foto: Archiv Rasemann) Auch die neuen Scholaren (Schüler) von der Schule in Ilfeld mussten zum Scherz durch das Nadelöhr kriechen. Erst wenn dem Scholaren dies gelang, wurde er von der Schülerschaft als einer der Ihrigen anerkannt. Da das Nadelöhr aber so eng war, konnte von einem freiwilligen Hindurchkriechen nicht die Rede sein. Nur besonders fragile Schlangennaturen bereitete dies Freude.

In der Regel konnte auf Grund der Enge des Öhrs, der neue unglückliche Schüler von einem älteren Mitschüler nur unter Schwierigkeiten hindurchgezogen bzw. gedrückt werden, wobei nicht nur die Kleidung großen Schaden nahm, sondern auch die Haut lädiert wurde. Dem Direktor der Schule blieben zur Unterbindung dieses pennälerhaften Verhaltens drei Möglichkeiten, entweder die Sprengung des Naturdenkmals oder die Einschließung desselben durch eine Vergitterung oder auch die Erweiterung des Schlitzes und zwar so groß, dass ein normaler Junge bequem hindurchkriechen konnte. Der letztere Weg wurde begangen und damit die Naturmerkwürdigkeit und zugleich die schöne alte Sitte erhalten.

Eine andere Mär erzählt über den Stein, das Nadelöhr:
Als die Riesen noch im Harze hausten, für die die Berge und Täler nur kleine Wegunebenheiten waren, machte ein junger Riese eine Wanderung. Er blieb am Brocken eines Felsens mit der Schuhspitze hängen und brach dabei ein paar Stückchen vom Gestein ab. Eines davon kollerte in seinen Schuh. Die hatte er sich als bequeme Reiseschuhe anfertigen lassen. Gleich bemerkte er das Felsenstückchen nicht, aber nach einer Weile fing er an, auf seinen Schuster zu schimpfen, ward immer ärgerlicher und sagte: „Der Kerl müsste nur selber darin laufen!“ – setzte sich auf den nächsten Berg und zog den Schuh aus, um nachzusehen. Er entdeckte den Stein, „Na ja,“ sagte der Riese, „der soll mich nicht mehr drücken! Da hätte ich mir ja eine Blutblase laufen können“ und schüttelte den Schuh aus. Der Stein kollerte ein Stückchen und blieb dann liegen. So liegt er heute noch bei Ilfeld und ist gestaltet wie ein großes Nadelöhr.

Eine weitere Sage berichtet von den Bielsteiner Grafen Elger, der auf dem Burgberg in Ilfeld um 1100 die Ilburg erbaute, deren spärliche Überreste noch heute zu sehen sind. Dieser Graf, der durch Raub- und Mordtaten in der ganzen Gegend gefürchtet war, überfiel nun eines Tages den friedlich daherziehenden Konrad von Beichlingen und um dessen Geldes habhaft zu werden, tötete er ihn.

Doch kaum war diese Untat geschehen, als plötzlich alle Wald- und Berggeister aus ihren Verstecken, Klüften, den dunklen Wäldern und Höhlen hervorkamen, mit einem furchtbaren Getöse Felsenbrocken in das Tal wälzten, so dass nun die hier im Tal fließende Behre anschwoll und die Räuberburg vernichtete. Graf Elger selbst, dem nun alle Wege versperrt waren, gelang es noch in letzter Minute, durch eine sich im Felsen bildende Öffnung, das später sogenannte Nadelöhr, auf die andere Seite des Tales zu kriechen, um seinem wohlverdientem Tode zu entrinnen.

Vor seiner Rettung aber hatte er gelobt, zur Sühne für seine Mordtat an der Stelle, wo er den Beichlinger erschlagen, eine ewige Lampe zu stiften und aufzustellen. Später öffnete sich das Tal wieder und der Fluss trat ruhig in sein Bett zurück. Graf Elger ward aber von Stund an ein in sich gekehrter, friedfertiger und wohltuender Mann. Sein Sohn Elger II. ließ 1189 am Ausgang des Behretales, wo auf einem Pfeiler die ewige Sühnelampe brannte, nach einer glücklich beendeten Wallfahrt nach Jerusalem ein Kloster errichten, das von Prämonstratenser- Möchen bewohnt wurde. Aus dieser Stiftung ging später die zu hohen Ansehen gelangte Gelehrtenschule unter Michael Neander hervor.
Horst Rasemann
Autor: red

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