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Die Kirchenglocken von Kleinfurra

Dienstag, 28. Januar 2014, 13:42 Uhr
Um dieses geschichtsträchtige Glockengeläut rangen sich noch immer sagenhafte Geschichten. In diesem Beitrag wurde von Horst Rasemann die Geschichte und Geschichten der Glocken nachgespürt und zusammengetragen...

Die Glocken von Kleinfurra (Foto: Archiv Rasemann) Die Glocken von Kleinfurra (Foto: Archiv Rasemann)

Kirchen sind markante, weithin sichtbare Punkte, ehrwürdige Zeugen einer längst entschwundenen Zeit. Über ein Jahrtausend Geschichte verlebendigt sich zu einem beachtlichen Teil in den Kirchenbauten. In der großen Mehrzahl sind sie Kunstwerke, geschmückt mit Bilderzeugnissen und Glocken fast aller Geschichtsepochen. Auch die Glocken, die hoch oben im Kirchenstuhl hängen, haben ihre Geschichte.

Sie waren in allen Hochkulturen der Menschheitsentwicklung ein Instrument religiöser und weltlicher Rituale und sie sind es bis heute geblieben. Über Jahrhunderte haben Glocken die Menschen vor Feuer, vor Sturm und Hochwasser und vor Feinden gewarnt, haben Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen begleitet, wurden Tieren und armen Sündern umgehängt, haben die Stunden angezeigt und zum Gottesdienst gerufen.

Einige der Glocken, werden von Sagen und Geschichten, von Dichtung und Wahrheit reichlich verbrämt. So ist die Lektüre über sie, in denen zum Beispiel Glocken den Menschen in seinem Dasein begleiten, sonder Zahl. Es bedurfte nicht erst der berühmten Ballade von Friedrich Schiller, um die Glocke zu verklären. Der Sinn der Glocke ist z.B. nicht allein der Klang. Sie vermittelt auch Botschaften, hält Erinnerungen fest, ja, ihre äußere Gestalt ist ein weites Feld für religiöse oder weltliche Mitteilungen.

Ein gutes Beispiel hierfür sind die Glocken der St. Annenkirche zu Kleinfurra, die am östlichen Ortsrand in der Nähe des ehemaligen Wurbschen Rittergutes steht. Aus ruinösen Gründen musste leider das Rittergut 1998 abgerissen werden. Die St. Annenkirche ist die Patronatskirche des ehemaligen Rittergutsbesitzergeschlechtes. Diese ursprünglich romanische Kirche wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein umgebaut und vergrößert. Der Turm ist als ältestes Bauteil aus regelmäßigen Muschelkalkquadern errichtet und hat früher einmal als Wachturm des Gutes gedient.

Später wurde das Langhaus angebaut und dann beides erhöht. Von Anno 1315 stammt die älteste Glocke mit einem Durchmesser von 98 cm. Sie enthält zwischen zwei Paar glatten Reifchen die die rechtsläufige Inschrift in Majuskeln (Großbuchstaben): „FVSA.COPANA.ANO.DNI.MCCCXV.VII.KAL.JULII“. Die Schrift lautet in der Übersetzung: „Gegossen ist diese Glocke im Jahre des Herrn 1315 am Vortage der Iden des Juni“. (Iden ist lateinisch und entspricht den 13. oder 15. Monatstag des altrömischen Kalenders.) Die Schrift ist linksläufig in den Mantel der Glockenform eingeritzt worden.

Die zweite Glocke im Glockenstuhl ist die größere von 1,13 m Durchmesser. Sie trägt das Wurmbsche Wappen und die Jahreszahl des Gusses 1662. Der Name des Gießers ist wegen eines Gussfehlers nicht zu entziffern. Das dritte und kleinste Feld des Holzglockenstuhls ist leer. Vielleicht hat hier ganz früher einmal eine kleine Bauernglocke gehangen.

Jedes mal, wenn im vergangenen Jahrhundert Mars sein Haupt erhoben hat, kamen auch für die Glocken gefährliche Zeiten. Die Glocken der St. Annenkirche zu Kleinfurra hatten großes Glück, denn immer nach den beiden Weltkriegen kehrten sie auf den Kirchturm zurück, im Gegensatz zu vielen ihrer klanggewaltigen Kolleginnen, die zu Kanonen umgegossen wurden. Vom Kirchturm oben haben sie dann in guten und bösen Zeiten, in Monarchien, in Diktaturen, in fetten und mageren Jahren geläutet.

So musste z.B. auch die große, die Wurmbsche Glocke, aus Kleinfurra im 2. Weltkrieg aufgrund der Abgabepflicht zum Einschmelzen abgegeben werden. Doch sie hatte Glück und überlebte die Kriegswirren. 1945 wurde sie vom Fuhrunternehmer, Eduard Riedel, dem damaligen Wippermühlenbesitzer von Kleinfurra und einigen Kirchenratsmitgliedern mit einem Lkw aus einem Sammellager in Apolda wieder heimgeholt. Die Kirchenglocke wurde von der dankbaren Kirchengemeinde festlich und feierlich empfangen.

Vom Dorfanger bis hin zur Kirche war alles geschmückt. Mit Flaschenzügen wurde sie dann in den Glockenstuhl auf den Kirchturm gehievt. Als ihr dumpfer Ton das erste Mal wieder nach so vielen Jahren der Abwesenheit beim Probeläuten über die Dächer des Dorfes, weit über die Fluren der angrenzenden Felder hin erscholl, standen so manchem Kleinfürscher Bürger die Tränen der Freude in den Augen. Diese Glocke mit dem Wurmbschen Wappen von1662 wurden vom Rittergutsbesitzer, Herrn von Wurmb, für seine Patronatskirche hier in Kleinfurra gestiftet.

Das früher hier vis- a´-vis von der Kirche stehende Rittergut, wurde etwa Anno Tobak 1470 vom Rittergutsbesitzer von Wurmb erbaut. Dieses adlige Geschlecht war 200 Jahre Besitzer des Gutes. Danach ging es an die Telemanns über, deren Epitaph noch auf den Kleinfürscher Friedhof steht, und seit 1870 gehörte es dem nächsten, letzten Besitzer, der Familie Herrmann. Im Altarraum der St. Annenkirche zu Kleinfurra befindet sich noch das Grabmal eines zwölfjährigen Jungen aus dem Geschlecht derer von Wurmb.

Der durch die Gründung der „Franckischen Stiftungen“ (Waisenhaus, Buchdruckerei, verschiedene Schulen usw.) in Halle berühmte evangelische Theologe und Pädagoge Professor August Herrmann Francke, steht in näherer Beziehung zu Kleinfurra, denn seine spätere Frau ist eine Anna Magdalena geb. von Wurmb zu Kleinfurra. Das Kirchbuch bzw. das Geburtsregister von Kleinfurra birgt folgende Eintragungen: „Anno 1670, den 08. November, ist dem Junker Otto Heinz Wurmbs Tochter Anna Magdalena geboren und den 11. August getauft worden“.

In diesem Zusammenhang rankt sich um das Glockengeläut der sogenannten Wurmbschen Glocke von Kleinfurra folgende Geschichte. So wird berichtet, dass August Herrmann Francke, der später der Hauptvertreter des Halleschen Pietismus war und der aufgrund dessen im Unterricht seiner Schulen in Halle die zu seiner Zeit neue naturkundlichen und neusprachigen Unterrichtsstoffe aufnahm und als einer der ersten eine geregelte Lehrerausbildung organisierte, im Rahmen seines Praktikums auch in Kleinfurra gewesen ist und hier Anna Magdalena von Wurmb kennen gelernt hat.

Die Familie von Wurmb hatte sich zum Pietismus bekannt. Anna Magdalena fand Francke sympathisch und verliebte sich in ihm. Als Francke sie dann einmal in Halberstadt sah, wo sie bei Verwandten weilte, wusste er: „Die oder Keine!“ (Wie er später in seinen Memoiren bekannte) Trotz Widerstandes der Familie von Wurmb und Enterbung, heirateten sie. Die Familie von Wurmb hat sich später wieder mit dem jungen Paar versöhnt. Aus Dankbarkeit für die Treue und auch für die Stütze, die Magdalena ihrem Ehemann war, soll nun der Überlieferung nach Francke diese Wurmbsche Glocke, die in Kleinfurra hängt, gestiftet haben.

Dies kann aber nicht sein, da der Guss der Glocke mit dem Wurmbschen Wappen bereits 1662 erfolgte Anna Magdalena von Wurmb aber erst 1670 geboren wurde. Diese Glocke ist eindeutig, wie in der Prämisse schon genannt, eine Patronatsschenkung der Familie von Wurmb.
Horst Rasemann
Autor: red

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