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Zum Umgang mit der Bombardierung

Dienstag, 03. April 2012, 08:00 Uhr
Wie wurde und wie wird der Bombardierung Nordhausens gedacht? Dass diese Frage ein breites Spektrum an Themen berührt und auch nach über 70 Jahren noch wahrhaft raumfüllend sein kann, das haben gestern die Zuhörer einer Podiumsdiskussion erlebt...


Erinnerung als Gradmesser der Gegenwart (Foto: Angelo Glashagel) Erinnerung als Gradmesser der Gegenwart (Foto: Angelo Glashagel) Anhand des doch eher mäßigen Andrangs zum Gedenken an die Bombardierung vor der Stele am Rathaus in den letzten Jahren, hätte man erwarten können das sich eine Veranstaltung die sich mit eben diesem Gedenken kritisch auseinandersetzt, keinen großen Andrang finden würde. Zur Überraschung der Veranstalter, dem Nordhäuser Bündnisses gegen Rechtsextremismus, war das Gegenteil der Fall und mit rund 200 Personen kamen in etwa doppelt so viele Besucher wie erwartet.

Ein Grund für den Andrang mag sein, das in der Vergangenheit Neonazistische Gruppen die Gedenkfeiern immer wieder missbraucht haben, um sie (ähnlich wie in Dresden) im Sinne ihrer Ideologie umzudeuten.

Der Historiker Martin C. Winter zeigte in seinem Eingangsreferat auf, dass Geschehnisse des 3. und 4. April 1945 und insbesondere die Fragen nach der Schuld und dem Sinn der Angriffe, immer wieder unter anderen, auch ideologischen, Gesichtspunkten gedeutet wurden. Waren die Schuldigen in den ersten Nachkriegsjahren eindeutig die Nationalsozialisten und ihre lokalen Vertreter, so wandelte sich dieses Bild in der sozialistischen Diktatur. Hier wurden die Angriffe zum Zeichen der „Kulturbarbarei“ und der „imperialistischen Machtgier“ der Westalliierten, insbesondere der Amerikaner.

Mit der Wende kam der Wandel hin zu einer differenzierteren Sichtweise, mehr Zeitzeugenberichten und einem verstärktem Engagement der Kirchen. Seit dem Jahr 2000 habe sich zudem eine Sichtweise entwickelt, welche die eigene Schuld nicht mehr in Frage stellt und sich zugleich vermehrt dem Gedenken an eigene Opfer widmet, was allerdings auch der Relativierung und der Aufrechnung der Opferzahlen Vorschub geleistet habe, bemerkte Winter.

Das Audimax der Fachhochschule voll besetzt (Foto: Angelo Glashagel) Das Audimax der Fachhochschule voll besetzt (Foto: Angelo Glashagel)

Der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Historikers hielt Oberbürgermeisterin Barbara Rinke (SPD) entgegen, dass die Erinnerung in ihrer Generation mit mehr Emotionen behaftet sei und nicht allein rational begriffen werden könne.

Denn noch gibt es Menschen die nicht allein anonymen Opfern eines lange vergangenen Schreckens gedenken, sondern um Angehörige trauern die sie in jenen Apriltagen verloren haben und die selber dem Inferno mit knapper Not entkommen konnten. In diesem Sinne muss aufrichtige Trauer möglich sein ohne sich dem Vorwurf der Relativierung aussetzen zu müssen.

Damit Relativierung verhindert und der Toten angemessen gedacht werden kann, braucht es vor allem Wissen und ein kritisches Geschichtsbewusstsein, bemerkte der Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora, Dr. Jens-Christian Wagner. „Wer von Nordhausen spricht, darf Coventry und Rotterdam nicht verschweigen“ unterstrich Dr. Wagner. Das Wissen um die „Kausalität von Ursache und Wirkung“ sei entscheidend für den kritischen Umgang mit der Geschichte.

Denn die Angriffe auf Nordhausen brachen nicht wie eine Naturkatastrophe über die Bewohner her. Bereits seit 1944 fallen immer wieder Bomben auf die Stadt. Ob es nun die nähe zur Waffenproduktion im nahen Konzentrationslager, die deutschen Gräueltaten im Krieg oder das herannahen der Front waren: die militärischen Beweggründe sind bis heute nicht einwandfrei geklärt. Gleiches gilt für die genaue Zahl der Toten.

Von links: Katja Fiebinger, Dr. Jens-Christian Wagner, Martin C. Winter, Sebastian Voigt, Babara Rinke, Pfarrer Richard Hentrich (Foto: Angelo Glashagel) Von links: Katja Fiebinger, Dr. Jens-Christian Wagner, Martin C. Winter, Sebastian Voigt, Babara Rinke, Pfarrer Richard Hentrich (Foto: Angelo Glashagel)

Nun kann sich aber Nordhausen im Gegensatz zu Dresden keine Historikerkomission leisten, die den Spekulationen ein wissenschaftlich begründetes Ende bereiten könnte. Auch die Ausstellung des neuen stadthistorischen Museums wird diese Aufgabe in absehbarer Zeit nicht bewältigen können.

Was letztlich zu der Frage zurückführt wie das Gedenken in Zukunft gestaltet werden kann. Das traditionelle Erinnern mit Kranzniederlegung und Reden reicht nicht mehr aus, um auch die jüngere Generation für die Vergangenheit zu sensibilisieren, hierin waren sich die Diskustanten einig. Die traditionelle und würdevolle Form des Gedenkens kann aber auch nicht aufgegeben und durch Diskussionen und wissenschaftliche Debatten ersetzt werden, denn das hieße das Feld der extremen Rechten zu überlassen.

Mehr Veranstaltungen wie die gestrige und Einrichtungen wie die Gedenkstätte Mittelbau-Dora oder die Flohburg sind hier von Nutzen, um die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht abreißen zu lassen und auch den jüngeren Nahe zu bringen. Nicht zuletzt tragen dazu auch Programme des Bundes wie "TOLERANZ FÖRDERN - KOMPETENZ STÄRKEN", durch das die gestrige Veranstaltung finanziell gefördert wurde, zur Sensibilisierung der gesamten Gesellschaft bei und unterstützen diejenigen, die sich seit langem gegen Rechtsextremismus und für Demokratie engagieren.

Die NPD und die „freien Kräfte“ wird das nicht davon abhalten, den Tag für ihre Propaganda nutzen zu wollen. Aber eine informierte und kritische Öffentlichkeit wird sich dem braunen Sumpf unserer Gesellschaft eher entgegenstellen können. Einigkeit herrschte denn auch bei der Feststellung, dass man mutig Gesicht zeigen müsse auch gerade an Tagen wie dem 3.April.

Denn die Parolen der Neonazis „entwürdigen die Toten“ wie Dr. Wagner feststellte und für Katja Fiebinger von der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus ist bei Gedenkveranstaltungen „das Ende der Toleranz“ erreicht.

Ein erster Anfang wird heute bereits gemacht. Statt Kränzen mit Spruchbändern werden um zehn Uhr weiße Rosen als Zeichen der Trauer vor der Stele am Rathaus niedergelegt. Den geistigen Nachkommen der Nationalsozialisten soll es so schwerer gemacht werden, das Gedenken für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Die weiße Rose, in dessen Zeichen sich die Geschwister Scholl gegen die Nazis auflehnten, ist auch in Symbol für aufrechten, demokratischen Widerstand.

Es bleibt zu hoffen dass zur heutigen Gedenkveranstaltung ebenso viele Interessierte und aufrechte Bürger erscheinen, wie zur gestrigen Podiumsdiskussion. Bereits um 9:30 Uhr wird es in der Blasii-Kirche einen ökumenischen Gedenkgottesdienst geben, bevor um 10 Uhr vor dem Rathaus Blumen niedergelegt werden.
Angelo Glashagel
Autor: agl

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