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Caroline und die Madonna

Montag, 26. März 2012, 18:13 Uhr
Raffaello Santi, einer der berühmtesten Künstler der Renaissance, erhielt 1512 in Rom den Auftrag zum Malen der „Sixtinischen Madonna“. Dieses Gemälde gehört heute zu den berühmtesten Kunstwerken der Welt.

Briefmarkenblock (Foto: privat) Briefmarkenblock (Foto: privat) Eine große Jubiläumsausstellung vom 26. Mai bis zum 26. August 2012 in der Gemäldegalerie Alte Meister im Semperbau am Zwinger wird die Entstehung dieses Meisterwerks feiern und seine Geschichte bis in die Gegenwart verfolgen. Zum Jubiläum haben Deutschland und der Vatikan eine Briefmarke als Gemeinschaftsausgabe herausgegeben. Der deutsche Block kostet 55 Cent, der des Kirchenstaates 2,40 Euro.

Auch Caroline von Humboldt, deren Todestag sich heute zum 183. Mal jährt, hat dieses Gemälde intensiv erlebt. Sie konnte von sich sagen: “Ich habe mit den Kunstsachen auf das Vertrauteste gelebt.” Sie war in Erfurt mit Kunst aufgewachsen. Neben der umfänglichen Kupferstichsammlung ihres Vaters, die ihre Kunstkenntnis schulte, war es Karl Theodor von Dalberg, der das Kunstinteresse der Heranwachsenden spürte und es durch Kunstunterricht theoretisch und praktisch schulte. Nach ihrem Aufenthalt in Auleben in der Goldenen Aue lebte die sich beständig erweiternde Familie von Humboldt seit 1794 in Jena in engem Kontakt mit Goethe und Schiller.

Das Sehnsuchtsland der Humboldts war Italien, wo man der Antike sehr nahe sein würde. Im Juni 1797 brach Caroline mit der Kindern, der Kinderfrau Emelie, aus Auleben stammend, ihrem Schwager Alexander von Humboldt u.a. nach Dresden auf. Von dort sollte es über Prag und Wien nach Rom gehen. Ihr Mann kam aus Berlin dazu, wo er den Nachlass seiner verstorbenen Mutter geregelt hatte. Man hielt sich mehrere Wochen in der Stadt an der Elbe auf, das Wetter war ihnen gewogen. Bekannte, die man in Dresden traf, empfanden Caroline verändert. „Ich sei nicht mehr wieder zu erkennen, so viel munterer sei ich.“

Collage (Foto: Heidelore Kneffel) Collage (Foto: Heidelore Kneffel) Caroline von Humboldt in einer Collage von Heidelore Kneffel

Nach Dresden hin zur Kunst pilgerten damals die gebildeten deutschen Zeitgenossen, die Literaten, Künstler, Gelehrten. Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck, zwei Wegbereiter der frühromantischen Geisteshaltung, waren 1796 dort gewesen. Wackenroder hatte Tieck in der Elbestadt Aufsätze und Erzählungen überlassen, die dieser mit eigenen Beiträgen erweiterte und 1797 in Berlin als „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ anonym herausgab. Diese Schrift gilt als eines der Manifeste der Frühromantik. An den Beispielen Michelangelos, Raffaels und Dürers wird für eine sakrale Rezeption der Kunst geworben.

Die Humboldts hatten einen anderen Zugang zur Literatur und Kunst, die von ihrer klassischen Antikenrezeption gemeinsam mit Friedrich August Wolf, Goethe und Schiller geprägt wurde. Dennoch hatten sie natürlich Kenntnis von dieser Haltung, zumal einige Frühromantiker in Jena in der Nachbarschaft lebten. Der Bruder des Dichters Ludwig Tieck, Friedrich, reiste mit den Humboldts und wurde ein enger Freund, denn die Humboldts werden zukünftig junge Künstler fördern.

Caroline besaß eine besonders enge Bindung zu den Kunstwerken Raffaels. „Mit Ehrfurcht und der innigsten Rührung neigt sich der menschliche Geist ... vor dem genialischen Wesen, das all diese Gestalten in sich trug“, empfand sie angesichts seiner Werke. Besonders seine Madonnendarstellungen hatten es ihr angetan. So verwundert es nicht, das die „Sixtinische Madonna“ in Dresden ein großer Anziehungspunkt für sie war.
Wo befand sich in dieser Zeit die Königliche Galerie in Dresden? Bis 1855 war sie im umgebauten Stallgebäude am Jüdenhofe untergebracht, am Neumarkt. Dieser Renaissancebau (Johanneum), beherbergt heute das Museum für Verkehrsgeschichte. Im Erdgeschoss, wo einst die Pferde und Kutschen standen, war von 1794 bis 1857 das „Churfürstlich Mengische Museum der Gypsabgüsse“ beheimatet.

Dieses Gebäude unweit der Frauenkirche und der Synagoge wurde, so schreibt es Caroline, von ihr möglichst täglich aufgesucht. „Gestern war ich in der Galerie und nachmittags bei den Mengschen Abgüssen. Ach, wie geht mir die Seele wieder auf, umgeben von diesen Bildern und diesen hohen Gestalten. Ich sehe sie noch mit viel anderem Blick wie sonst, mit weit höherem Genuß, und verstehe sie besser. Täglich von nun an werde ich da sein ... Gesehen habe ich von den Promenaden noch nichts als den Brühlschen Garten.“

Die „Sixtinische Madonna“ von Raffael, die 1754 in Italien im Auftrag des sächsischen Kurfürsten August III. von Sachsen, auch König von Polen, erworben worden war und in einem abenteuerlichen Transport über die Alpen gebracht wurde, war in Dresden nicht gleich die Attraktion gewesen. Noch hatten die barocken Gemälde das Sagen.
Die Reisegesellschaft der Humboldts sah die „Sixtinische Madonna“ noch mitten in einer Bild an Bild gehängten Schau, anstrengend also das Betrachten. Die eine Wand maß 33 m, die andere 29 m, auch zwischen den Fensternischen sah man Bilder. Es herrschte das Prinzip der flächendeckenden Hängung an umlaufenden Wänden.

Diese waren grün gestrichen und schlossen oben mit Rankenwerk ab. Erläuterungstafeln und ein Katalog ermöglichten es, Wandfeld für Wandfeld zu erkunden. Die Gemälde waren in Abteilungen, in Divisionen, gegliedert.
Die Sixtina hing in der Division 30. Die Anordnung war nicht dem Zufall überlassen, sondern sie sollte Kunsterkenntnisse vermitteln. Ein Kunstwerk sollte helfen, dass andere zu verstehen. Historische, formale, ikonografische Gesichtspunkte spielten eine Rolle. So hing zum Beispiel unter der Sixtina ein kleines Gemälde, das man Perugino, dem Lehrer Raffaels, zuschrieb. Die „Sixtinische Madonna“ war damals Zentrum einer Gesamtkomposition, die zur „imatio pietatis“ wurde.

Die Humboldts gelangten 1797 nicht nach Rom. Napoleons Eroberungspolitik verhinderte dies. Aber nach Paris konnte man reisen und dort leben und Bilder Raffaels und anderer Künstler sehen, die Napoleon aus den besetzten Ländern raubte, um in Paris ein modernes Museum einzurichten.
Heidelore Kneffel
Autor: nnz

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