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Sa, 17:30 Uhr
09.11.2024
NNZ-FORUM zum 9. November 1989 von Hans Georg Backhaus

Der Tag, als die Mauer fiel

Das deutsche Volk hat eine turbulente Woche hinter sich. Aus den USA erreicht uns die Nachricht vom Wahlsieg Donald Trumps. Am selben Tag wirft Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Finanzminister Christian Lindner aus der Regierung. Weitere FDP-Minister folgen...

Der entscheidende Moment im Bild. Schabowski: "Sofort, unverzüglich!" (Foto: HG Backhaus) Der entscheidende Moment im Bild. Schabowski: "Sofort, unverzüglich!" (Foto: HG Backhaus)


Die Ampel-Koalition, die sich selbst als „Fortschritts-Koalition“ bezeichnete, läutet in der Folge ihr Ende ein. Der Ruf nach umgehenden Neuwahlen wird immer lauter. Nicht weniger turbulent ging es vor 35 Jahren im damals noch geteilten Deutschland zu...

Die Ereignisse in der DDR im Herbst 1989 überstürzten sich. Auf einem Plenum des Zentralkomitees der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) am 18. Oktober 1989 wurde Erich Honecker als Partei- und Staatschef abgesetzt. Sein Nachfolger wurde Egon Krenz. Unmittelbar nach seiner Wahl sprach Krenz im Fernsehen zu den Bürgern der DDR. Hier verwendete er in mehreren Passagen erstmals das Wort Wende. Die Ansprache ging später als sogenannte Wende-Rede in die Geschichte ein. Das ist der Grund, weshalb auch heute bei Rückblicken noch oft die Rede von „Seit der Wende...“ ist.

Zur größten Protestveranstaltung in Ost-Berlin kam es am 4. November. Künstler hatten dazu aufgerufen und weit über eine Million Menschen nahmen daran teil. Am 7. November schließlich trat die gesamte Regierung unter Ministerpräsident Willi Stoph zurück. An diesem Tag hatten sich wieder ungezählte Menschen (Schätzungen zufolge waren es zwischen Zwanzig- und Dreißigtausend) aus dem gesamten Kreis Nordhausen auf dem August-Bebel-Platz zur Kundgebung eingefunden, die u. a. den Rücktritt der Regierung bejubelten.

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Nur einen Tag später folgte geschlossen das Politbüro des ZK der SED, jenes Organ, das das eigentliche Machtzentrum in der DDR gebildet hatte. Ein neues Politbüro wurde gewählt. U.a. gehörte Günter Schabowski wieder diesem Gremium an und fungierte zugleich als dessen Pressesprecher.

Auf einer tags darauf einberufenen und bezüglich der Themen eher belanglosen Pressekonferenz, die sich bereits ihrem Ende zuneigte, fragte der italienische Journalist Riccardo Ehrman, der vermutlich über Insiderwissen verfügte, nach dem Stand der Ausarbeitung eines neuen Reisegesetzes. Schabowski schien auf diese Frage nicht vorbereitetet gewesen zu sein. Sichtlich verunsichert griff er in seine Jackentasche, holte einen Zettel heraus und überraschte die anwesenden Vertreter der internationalen Presse – sich noch fragend umsehend – mit folgenden Worten:

„Ich habe da noch etwas, aber das ist sicher schon bekannt? - Nach reiflicher Abwägung haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über bestehende Grenzübergangspunkte auszureisen...“ Und fuhr fort: „Privatreisen ins Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen beantragt werden.“ Auf die Nachfrage des selben Journalisten, ab wann das denn gelte, antwortete Schabowski etwas zögerlich: „Nach meiner Kenntnis ab sofort, unverzüglich.“

Die Nachricht des Jahrhunderts verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Und niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, welche Welt verändernden Auswirkungen die Äußerungen Schabowskis auf dieser legendären Pressekonferenz alsbald haben würden. Denn eigentlich war alles anders geplant:

Die Bekanntmachung des neuen Reisegesetzes war nämlich mit einem Sperrvermerk versehen. Die DDR-Nachrichtenagentur ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst) sollte diese Meldung erst am folgenden Tag – also am 10. November 1989 um 4.00 Uhr morgens – verbreiten. Gerhard Lauter, zu dieser Zeit Abteilungsleiter im DDR-Innenministerium, hatte gemeinsam mit weiteren Kollegen die Aufgabe erhalten, binnen weniger Stunden ein verändertes Reisegesetz zu erarbeiten, nachdem ein bereits erstellter Entwurf in der Öffentlichkeit auf massive Ablehnung gestoßen war.

Der Auftrag dazu kam von DDR-Innenminister Friedrich Dickel. Der wiederum hatte ihn vom SED-Politbüro erhalten. Doch die verständliche Neugier eines Journalisten kurz vor dem Ende einer Pressekonferenz und ein unüberlegter Griff eines Pressesprechers in seine Jackentasche ließen den Gang der Geschichte (wieder einmal) völlig anders verlaufen als ursprünglich geplant. Und so bescherte dieser Abend der Welt, insbesondere aber dem deutschen Volk, ein neues Wunder - das Wunder des 9. November.

Die Mauer wurde geöffnet, Schlagbäume gingen auf. Deutsche aus Ost und West begegneten sich in dieser Nacht und an den folgenden Tagen und feierten gemeinsam. Alle Hände voll zu tun hatten tags darauf republikweit die Volkspolizei-Kreisämter. Das Nordhäuser VPKA am Kornmarkt (an dieser Stelle steht heute das Einkaufszentrum „Echte Nordhäuser Marktpassage“) blieb da nicht verschont. Den Bürgern wurden in ihre Personalausweise ein Stempeleintrag mit dem Vermerk „Halbjahresvisum zur mehrmaligen Ausreise“ gedrückt.

Schlangen bildeten sich ebenso vor den Filialen der Staatsbank, warteten doch auf jeden Westreisewilligen 15 DM Reisegeld. Noch mehr gab es im anderen Teil Deutschlands. Jeder DDR-Bürger wurde hier mit 100 DM Begrüßungsgeld empfangen. Die bundesdeutschen Behörden hatten in Windeseile operative Auszahlstellen eingerichtet. Wichtigste Ziele der Südharzer in den ersten Wochen der Grenzöffnung waren die Ortschaften Walkenried, Hohegeiß, Tettenborn sowie die Städte Bad Sachsa, Bad Lauterberg, Duderstadt, Herzberg und Göttingen.

Jubel und Freude, Aufgeschlossenheit und Herzlichkeit überwogen überall. Vielerorts luden eingerichtete Tee- und Kaffeestuben zur Begegnung ein. Firmen aus dem Südharzer Raum bauten faktisch über Nacht auf der Westseite - zunächst provisorisch – Straßen und Wege in Richtung Grenze aus. Die Deutsche Reichsbahn bat die Deutsche Bundesbahn um Züge, denn auf den grenznahen Bahnhöfen – auch auf dem Nordhäuser – wimmelte es von Menschen, die geduldig darauf warteten, erstmals gen Westen reisen zu dürfen. Auf Autobahnen und Fernverkehrsstraßen rollen – mitunter nur im Schritttempo – endlose Fahrzeugkolonnen in jene Richtung, die über Jahrzehnte für die Mehrheit der DDR-Bürger versperrt gewesen war.
Hans-Georg Backhaus
Autor: red

Anmerkung der Redaktion:
Die im Forum dargestellten Äußerungen und Meinungen sind nicht unbedingt mit denen der Redaktion identisch. Für den Inhalt ist der Verfasser verantwortlich. Die Redaktion behält sich das Recht auf Kürzungen vor.
Kommentare
Agricola
10.11.2024, 12.01 Uhr
Das Wunder der Berliner Maueröffnung kann ein solch "Wunder" nicht gewesen sein, denn
wie ist nachvollziehbar, dass bereits in der Nacht darauf neue Übergänge/Breschen in der Mauer gefahrlos passierbar wurden? Wo war der mehrstufige Aufbau der Grenzanlagen so plötzlich hin, wer schaffte in h die neuen Löcher? Haben die Grenzsoldaten mit Waffe Befehle gehabt, welche? War Schaboswki s Einlassung ein Flirt mit der Geschichte? Ja, Wunder und Realität gehen auseinander, hier aber beinah egal, war es doch das wichtigste Ereignis unseres Erlebens.
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