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Sa, 08:59 Uhr
18.11.2017
Die „zweite Karriere“ des Nordhäuser Ex-OB in Bad Lauterberg

Bürokratie triumphierte über Kriegswirren

Ein Paradebeispiel deutscher Bürokratie lieferte das Land Thüringen mit der formellen Entlassung des Nordhäuser Oberbürgermeisters Dr. jur. Herbert Meyer nach dem Kriegsende 1945. Manfred Neuber hat dazu recherchiert...


Nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen seiner Funktion im Dritten Reich amtierte Meyer zehn Jahre lang – vom 1. Januar 1954 bis zum 29. Februar 1964 – dann als Kur- und Stadtdirektor in seiner Heimatstadt Bad Lauterberg. Das Landesamt des Inneren in Thüringen entließ Meyer mit einem Schreiben vom 25. September 1945 aus dem Beamtenverhältnis.

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Tatsächlich hatte er seinen Aufgabenbereich bereits nach den britischen Luftangriffen am 3. und 4. April 1945 auf Nordhausen aufgegeben, flüchtete mit anderen NS-Amtsträgern in den Harz, wurde von den Amerikanern inhaftiert und bei deren Abzug aus Mitteldeutschland in den Westen mitgenommen.

Vor der Spruchkammer 74 des Internierungslagers Ludwigsburg-Ossweil muss-te sich Meyer für sein Handeln während der NS-Diktatur verantworten. Im Zuge der „Entnazifizierung“ wurde ihm eine Freiheitsstrafe auferlegt, die er im Lager Staumühle zwischen Bielefeld und Paderborn in der britischen Besatzungszone verbüßte. Nach der Entlassung am 3. April 1948 kehrte er ins Elternhaus am Postplatz 4 in Bad Lauterberg heim. Die Villa Meyers in der Oberstadt Nordhausens war durch Bomben zerstört worden. Deshalb konnte die thüringische Entlassungsurkunde ihm nicht zugestellt werden.

Diese basierte auf dem „Gesetz über die Reinigung der öffentlichen Verwaltung von Nazi-Elementen“ vom 23. Juli 1945 in der sowjetischen Besatzungszone. Sie landete im Nordhäuser Rathaus. Dort liegt sie als einziges Dokument in der Personalakte Dr. Meyer. Umfangreicher sind seine Unterlagen im Stadtarchiv Mühlhausen, wo Meyer als Oberbürgermeister von 1934 bis 1943 fungiert hatte.

Als Sohn des Rektors Hermann Meyer (1876-1954) und dessen Ehefrau Gret-chen, geb. Schlösser (1876-1949), kam er am 19. Februar 1899 in Bad Lauter-berg zur Welt, besuchte dort die Volks- und Realschule, anschließend das Realgymnasium in Goslar (Abitur 1917). Im Ersten Weltkrieg diente er bei der Feldartillerie im Regiment 102 und wurde verwundet. Nach 1918 beteiligte sich Meyer an den Kämpfen des Hessisch-Thüringischen Freikorps.

Von 1919 bis 1921 studierte er Jura und Volkswirtschaft an der Universität Göttingen, wo er 1922 zum Dr. jur. promoviert wurde. Die praktische Ausbildung im Justizdienst erfuhr Meyer von 1922 bis 1924. Im folgenden Jahr legte er die Große juristische Staatsprüfung im Justizministerium in Berlin ab und
begann seine kommunale Tätigkeit als Assessor bei der Stadtverwaltung in Bad Lauterberg. Danach wirkte er als Gerichtsassessor in Saarbrücken. Im Jahre 1927 wechselte er als Stadtrechtsrates nach Olbernhau im Erzgebirge.

Es folgte 1928 seine Wahl zum Zweiten Bürgermeister der Stadt Prenzlau. Dort stellte er von 1929 bis 1934 den Ersten Bürgermeister. Ein Höhepunkt seiner Amtszeit war die 700-Jahrfeier von Prenzlau. Nach der Verlegung der Prenzlau-er Garnison nach Neuruppin bemühte er sich um die Wiederbelebung der Wirt-
schaft dieser Stadt. So erreichte er die Einrichtung eines Flugversuchsinstituts und eines Flugplatzes (später Fliegerhorst der Luftwaffe). Nach einer Auseinandersetzung mit Landrat Dr. Silvio Conti wurde Meyer im September 1934 zwangspensioniert.

Zum Konflikt zwischen Bürgermeister Dr. Herbert Meyer und Landrat Dr. Silvio Conti heißt es in einem Artikel „Prenzlau in der Weimarer Republik und unter dem Nationalsozialismus (1918 bis 1945)“ im Buch „Geschichte der Stadt Prenzlau“, herausgegeben von der Stadt Prenzlau, erschienen im Geiger-Verlag,
Horb am Neckar (2009): „Für die kreisangehörige Stadt wechselte die Kommunalaufsicht zum 1. Januar 1934 von der Regierung in Potsdam auf das Landratsamt in Prenzlau. Entsprechend dem Führerprinzip wurde der Landrat damit direkter Vorgesetzter des Bürgermeisters... Im Gegensatz zur Stadt wechselte schon 1933 die Spitze des Landratsamtes. Anstelle des in den Ruhestand versetzten Konservativen von Lettow-Vorbeck wurde Dr. Silvio Conti, Mitglied der NSDAP und der SS, Landrat, der sehr ehrgeizig sein Amt wahrzunehmen begann.

Zu spüren bekam dies bald der Prenzlauer Bürgermeister Dr. Meyer, dem Conti als „alter Kämpfer“ nicht nur seinen politischen Opportunismus und insbesondere seine zur Schau getragene Mitgliedschaft in der SS verübelte. Vielmehr hielt Conti dem Bürgermeister vor, in nahezu allen die Stadt betreffenden Fragen versagt zu haben sowie – was noch schwerer wog – eine passive Resistenz gegen die staatliche Aufsicht und die Zusammenarbeit mit den
städtischen Aufsichtsbehörden zu zeigen. Contis Beschwerden an den Gauleiter und an den Potsdamer Regierungspräsidenten verfehlten nicht ihr Ziel. Ende
September wurde Dr. Meyer in den Ruhestand versetzt, allerdings nur für kurze Dauer.“

Durch Erlass des Reichs- und Preußischen Innenministers wurde er mit Wirkung vom 3. Dezember 1934 zum Oberbürgermeister von Mühlhausen/Thüringen berufen. Seine Amtseinführung durch den Regierungspräsidenten Friedrich Bachmann erfolgte am 10. Dezember 1934. In dieser Funktion war er mit Unterbrechungen durch erneute Einberufung zum Militärdienst (1940/42) als Oberleutnant der Artillerie bis zum 8. Mai 1943 tätig. Seit Anfang 1940 vertrat er auch den Landrat des Kreises Mühlhausen und war Leiter der Rotkreuz-Kreisstelle und des Luftschutzes.

Seit 1939 gehörte Meyer der NSDAP und weiterer NS-Organisationen an. Vom 9. Mai 1943 bis zur Besetzung Nordhausens durch die US-Armee am 11. April 1945 war er Oberbürgermeister der tausendjährigen, ehemals Freien Reichsstadt im Südharz. In der kurzen Amtszeit während des Zweiten Weltkriegs waren die Versorgung der Bevölkerung, der Bau von Luftschutzanlagen und die Unterbringung von Evakuierten und Flüchtlingen die größten Probleme. Meyer ließ ein „Ehrenbuch“ mit den Namen der gefallenen Nordhäuser anlegen. Bis Anfang 1945 enthielt es mehr als 500 Eintragungen. Der Stadtkommandant der US Army, Captain William A. McElroy, berief Otto Flagmeyer am 15. April 1945 zum neuen Bürgermeister.

Dr. Meyer ging von 1951 bis 1953 einer selbständigen Tätigkeit als Verwaltungsrechtsrat nach. In Bad Lauterberg fungierte er 1952/53 für die FDP als ehrenamtlicher Bürgermeister, und er wurde in den Kreistag des Landkreises Osterode am Harz gewählt. Zehn Jahre lang war er Kur- und Stadtdirektor in Bad Lauterberg, in den folgenden Jahren gehörte er noch dem Rat der Stadt Bad Lauterberg an. Meyer und seine Ehefrau Edelgard, geb. Lohse (Heirat am 20. Juli 1929 in Olbernhau), hatten zwei Söhne.

Im „Südharz-Kurier“, in der letzten, der Not-Ausgabe vom 10. April 1945, so ist im Heft „Nordhausen unter dem Sternenbanner“ von Peter Kuhlbrodt, herausgegeben 1995 vom Archiv der Stadt Nordhausen, zu lesen: „… riefen Kreisleiter Nentwig, Landrat von Wolffersdorf und Oberbürgermeister Dr. Meyer letztmalig zum Durchhalten auf“. Zitat: „Wir müssen jetzt mehr denn je in eiserner Haltung zusammenstehen. Weiße Fahnen sind Schandfetzen.“

Kuhlbrodt schrieb: „Zu diesem Zeitpunkt hielten sich die Drei bereits in den Bergen des Südharzes versteckt.“ Nach Berichten von Zeitzeugen in dem erwähnten Heft sollen OB Dr. Meyer und sein Stellvertreter Sturm bereits in den letzten März-Tagen die Mitarbeiter der Stadtverwaltung angewiesen haben, alle Geheimsachen der verschiedenen Dienststellen, die Karteien des Einwohnermeldeamtes und die Personalakten der Bediensteten zu vernichten. Nach einer Darstellung hielt sich Dr. Meyer beim zweiten Luftangriff am 4. April noch im Keller des Stadthauses auf, nach einer anderen bereits am Nachmittag des 3. Aprils in der Befehlsstelle in der Zichorienfabrik mit Major Quelle, dem Standort-Ältesten – „dort auch die Nacht über und während des zweiten Angriffs“.

Der Zeitzeuge Dr. Hans Silberborth urteilt später: „Oberbürgermeister Dr. Meyer, Major der Schutzpolizei Dettmann und der Arbeitsstab der Stadtverwaltung
hatten schon während des (Luft-)Angriffs völlig versagt und hilflos in einem Keller der Zichorienfabrik am Ausgang der Stolberger Strasse gesessen. Beim Herannahen der US-Armee erfolgte die Flucht des Kreisleiters, der Behörden und der Polizei.“ NSDAP-Kreisleiter Hans Nentwig hat später behauptet, er sei Dr. Meyer nach den Luftangriffen nicht mehr begegnet. Dr. Meyer gab an: „Ich habe Nentwig an einem Tag vor den Angriffen in einer Luftwaffen-Uniform mit den Rangabzeichen eines Unteroffiziers gesehen.“

Eine andere Version stammt von Fritz Güntsche, der mit Otto Witzel, Kreisabschnittsleiter der NSDAP, in Haft des sowjetischen Geheimdienstes im GPU-Keller in der Karolinger Strasse saß: „Dr. Meyer und sein Polizeichef gehörten dem Stab des Kreisleiters Nentwig an, der nun glaubte, dass die Zeit reif sei, alle Zelte abzubrechen und sich eine neue bürgerliche Identität zu verschaffen, um dem Zusammenbruch möglichst wohlbehalten zu überstehen.“

Wie aus anderen Berichten hervorgeht, setzte sich Nentwig mit seinem Stab über die Napola im Kloster Ilfeld und Benneckenstein nach Stiege ab. „Zum
Stab des Kreisleiters sollen noch immer Dr. Meyer und von Wolffersdorf gehört haben. . . Als es Nentwig gelang, in einer Kampfgruppe unterzutauchen, suchten auch die anderen das Weite“, schrieb Peter Kuhlbrodt in der Schriftenreihe heimatgeschichlicher Forschungen des Stadtarchivs Nordhausen. Nentwig lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg.
Manfred Neuber
Autor: red

Kommentare
Crimderöder
18.11.2017, 10.13 Uhr
Korrektur Herbert Meyer
Ich forsche auch schon seit längerer Zeit zu den Nordhäuser Bürgermeistern im 20. Jahrhundert. Dabei habe ich eine kleine Korrektur: Herbert Meyer war seit März 1933 Mitglied der NSDAP, nicht erst 1939. Wahrscheinlich konnte er vorher auch nicht Parteimitglied werden, da in der Regel bis März 1933 Beamten und staatlichen Angestellten ein Beitritt bis dahin verboten war. Diese Neumitglieder, wurden bekanntlich für ihren Opportunismus als "Märzgefallene" bezeichnet. Um ihren Einfluss klein zu halten, erließ die NSDAP im April 1933 eine Aufnahmesperre. Dies dürfte auch die "Säuberung" durch den Landrat Conti erklären. Interessant wäre noch, welche Ämter Meyer innerhalb er NSDAP und SS bekleidete.
Vielen Dank für den Artikel! - P. Fideles
Crimderöder
18.11.2017, 16.14 Uhr
Nachtrag Herbert Meyer
Ich verweise auf das Buch des bekannten Archivars Klaus Neitmann (Hrsg.): Geschichte der Stadt Prenzlau. Geiger, 2009. auf Seite 248 wird von einer NSDAP und SS-Mitgliedschaft Meyers für März 1933 gesprochen. Gruß!
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