Fr, 10:00 Uhr
22.09.2017
Rechtsextreme Strukturen im Freistaat
Thüringens neue Nazis
Kahle Köpfe, Bomberjacke und Springerstiefel - das Bild vom klassischem Neonazi gilt schon lange nicht mehr. Die rechte Szene hat sich nicht nur äußerlich gewandelt, in den letzten drei Jahren zeigen sich auch Verschiebungen in der Organisation. Die Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss warf im Bürgerhaus gestern ein wenig Licht auf die Entwicklungen...
Eigentlich sollte es um "rechte Organisationen in Thüringen" gehen, die Jugendorganisation der Nordhäuser Linken hatte die Abgeordnete eingeladen. "Am Ende reden wir hier über Neonazis, zum Teil über neue Rechte und klassische Faschisten", erkläte König-Preuss. Die Dame weiß wovon sie spricht, für die Linke arbeitete sie im Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), die Beschäftigung mit der extremen Rechten gehört zum Alltag.
Anderthalb Stunden spricht sie sachlich und knapp über rechtsextreme Strukturen in Thüringen und wie sich die Situation seit 2014 verändert hat. Neonazis gebe es in jeder Stadt und jedem Dorf, meint König, die müssten nicht immer in Erscheinung treten, spätestens seit 2015 könne man aber sehen das dass Potential, das der Thüringen Monitor lange vermuten ließ, tatsächlich auch in Erscheinung trete.
Dort wo Neonazis Einfluss gewännen, seien die Abläufe meist ähnlich. Es wird eine Immobilie erworben von der aus Strukturen aufgebaut werden und die Freiräume für Veranstaltungen bieten, es wird sich weiter vernetzt, zum Teil Anschluss an rechtsextreme Parteien gesucht die zusätzliche organisatorische Stabilität versprechen. Die Kontakte der Neonazi-Szene enden dabei nicht an der Grenze des Freistaates, man ist international aktiv, von Russland bis in die USA.
Ein Novum sei das alles noch nicht, erklärte König-Preuss, ähnliche Entwicklungen habe man schon in den 90er sehen können. Die "alten" Neonazis von damals würden heute aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft heraus agieren und als Selbstständige und Unternehmer die rechte Szene weiter ausbauen.
In Thüringen habe man "alles was es nur gibt" im Rechtsextremismus, Parteien, Verbände und Organisationen, eigene Musiklabels und Bands, Versandhandel und mehr. Auf einige Gruppierungen ging König-Preuss genauer ein.
Katharina König-Preuss referierte im Bürgerhaus zu rechten Strukturen in Thüringen (Foto: Angelo Glashagel)
Die Naziband "SKG", benannt nach einer Sondereinheit der SS, die für ihre Kriegsverbrechen bekannt war, tritt hier immer wieder auf. Konzerte führt man auch im Ausland, unter anderem in der Schweiz durch. Bis zu 5000 Neonazis nehmen teil, die Organisation Veranstaltungen wird aus Thüringen gestemmt, hierhin fließen die Einnahmen zurück. Eine sechsstellige Summe sei das zuletzt gewesen, so König-Preuss. Was mit dem Geld geschieht sei nicht bekannt, erklärte die Abgeordnete, vermutlich unterstütze die Szene Ralf Wohlleben im NSU Prozess.
Die "Thügida" gibt es so heute nicht mehr, statt Demonstrationen auf die Beine zu stellen hat man einen Verein gegründet. "Ein Volk hilft sich selbst" sammelt Spenden für bedürftige Deutsche, erklärte König-Preuss, allerdings gehe es dabei nicht nach Staatsbürgerschaft sondern nach biologischen Kriterien, Hilfe gebe es nur für "Blutsdeutsche".
Das Netzwerk habe die Struktur für die Untergrundexistenz des NSU gegeben, erklärte die Abgeordnete, das es Nachfolgeorganisationen gebe habe inzwischen auch der Verfassungsschutz bestätigt. Eine B&H CD mit dem Titel "Trotz Verbot nicht tot" kursierte jüngst in der Szene.
Auch hier fänden sich Verbindungen nach Ballstädt und in die Schweiz. Bei den Bundgenossen gebe es für den militärischen Drill der Szene ein eigenes Trainingsgelände, für mitgereiste Frauen werde ein gesondertes Programm angeboten während die Männer an der Waffe ausgebildet würden. Über das "Objekt 21" habe es auch Verbindungen zur organisierten Kriminalität gegeben, die Rede ist von Drogen-, Waffen-, und Menschenhandel.
In Thüringen existiert die Identitäre Bewegung auch, fiel bisher eher peinlich auf. Ein Haus wollte man besetzen, in dem Flüchtlinge hätten untergebracht werden sollen. Das Problem: man setzte sich im falschen Haus fest. In den Schlagzeilen waren die "Identitären" zuletzt auch wegen dem Versuch mit einem eigens gemieteten Schiff die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer zu unterbinden. Finaziert hatte man das mit Spendenaufrufen, Unterstützung kam auch aus den USA, vom Ku-Klux-Klan.
Hinzu kommen in Thüringen diverse kleinere und größere Gruppen auf die König-Preuss ebenfalls kurz einging. Die "Artgemeinschaft" propagiere ein "rassenreines Familienleben", gepaart mit Holocaustleugnung. Die Fanszene im Fußball sei per se nicht rechtsextrem, es gebe aber Vereine bei denen Neonazis leichteres Spiel hätten als anderswo. Die Gruppe "C38/Hammerskins" ist in Thüringen nach Behördenmeinung nur durch Einzelpersonen vertreten, für König-Preuss eine Fehleinschätzung, es habe "Offizierstreffen" im Freistaat gegeben die eine weitere Struktur vermuten ließen.
Und dann sind da noch die Parteien. Synonym mit der rechten Szene war einmal die NPD. Die hat seit 2014 einen "massiven Bedeutungsverlust" hinnehmen müssen, sagte die Abgeordnete, sie ist aber nicht die einzige offen rechtsextreme Partei im Freistaat. "Der 3. Weg" propagiere ein "klassisch faschistisches" Programm, das sich nahezu eins zu eins mit dem der NSDAP vergleichen ließe. Man tritt für gewöhnlich in uniformierten Outfit mit Trommeln und Fackeln auf. "Die Rechte" unterhält Stützpunkte in Erfurt und Weimar.
Die AfD sorge für zusätzliche Strukturen in der Szene, mehrere Neonazis hätten inhaltlich bei der AfD "angedockt", sagte König-Preuss, Mitglieder inzwischen vebotener rechtsextremer Organisationen wie der "Viking Jugend" fänden sich in den Reihen der Partei wieder. Zudem fahre die AfD eine Strategie der "Normalisierung" und versuche bewusst die "Grenze des Sagbaren" zu verschieben. "Entscheidend ist, das es gesagt wurde. Es ist gesagt und das gesagte bleibt im Raum", sagt König-Preuss, so werde eine Resonanzboden für die Mehrheitsgesellschaft geschaffen, ähnlich wie in den 90er Jahren. Man traut sich wieder.
Wenn die AfD am Sonntag in den Bundestag einziehe, werde das noch zunehmen, warnte die Abegordnete, "das wird Auswirkungen bis hinunter in die Kommunen haben". Ihre Antwort: Ruhig bleiben, Panik helfe nicht. Man müsse "erkennen, recherchieren, sich vernetzen, das Material aufbereiten und veröffentlichen". Neonazis könne man nicht nur auf Demonstrationen entgegentreten, Aufklärung, auch im eigenen Umfeld, helfe ebenso.
Angelo Glashagel
Autor: redEigentlich sollte es um "rechte Organisationen in Thüringen" gehen, die Jugendorganisation der Nordhäuser Linken hatte die Abgeordnete eingeladen. "Am Ende reden wir hier über Neonazis, zum Teil über neue Rechte und klassische Faschisten", erkläte König-Preuss. Die Dame weiß wovon sie spricht, für die Linke arbeitete sie im Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), die Beschäftigung mit der extremen Rechten gehört zum Alltag.
Anderthalb Stunden spricht sie sachlich und knapp über rechtsextreme Strukturen in Thüringen und wie sich die Situation seit 2014 verändert hat. Neonazis gebe es in jeder Stadt und jedem Dorf, meint König, die müssten nicht immer in Erscheinung treten, spätestens seit 2015 könne man aber sehen das dass Potential, das der Thüringen Monitor lange vermuten ließ, tatsächlich auch in Erscheinung trete.
Dort wo Neonazis Einfluss gewännen, seien die Abläufe meist ähnlich. Es wird eine Immobilie erworben von der aus Strukturen aufgebaut werden und die Freiräume für Veranstaltungen bieten, es wird sich weiter vernetzt, zum Teil Anschluss an rechtsextreme Parteien gesucht die zusätzliche organisatorische Stabilität versprechen. Die Kontakte der Neonazi-Szene enden dabei nicht an der Grenze des Freistaates, man ist international aktiv, von Russland bis in die USA.
Ein Novum sei das alles noch nicht, erklärte König-Preuss, ähnliche Entwicklungen habe man schon in den 90er sehen können. Die "alten" Neonazis von damals würden heute aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft heraus agieren und als Selbstständige und Unternehmer die rechte Szene weiter ausbauen.
In Thüringen habe man "alles was es nur gibt" im Rechtsextremismus, Parteien, Verbände und Organisationen, eigene Musiklabels und Bands, Versandhandel und mehr. Auf einige Gruppierungen ging König-Preuss genauer ein.

Turonen und Garde 20
Elitäre Rocker-Nazis: Die "Turonen" gibt es seit 2016 und bewegen sich in der Nähe des Rockermilieus. Das "Gelbe Haus" in der 700 Einwohner Gemeinde Ballstädt dient als Stützpunkt, man versucht das Konzept der "national befreiten Zone" umzusetzen. Von hier aus griffen Neonazis 2014 eine Kirmesgesellschaft im Ort an, der Vorfall ging durch die Medien.Die Naziband "SKG", benannt nach einer Sondereinheit der SS, die für ihre Kriegsverbrechen bekannt war, tritt hier immer wieder auf. Konzerte führt man auch im Ausland, unter anderem in der Schweiz durch. Bis zu 5000 Neonazis nehmen teil, die Organisation Veranstaltungen wird aus Thüringen gestemmt, hierhin fließen die Einnahmen zurück. Eine sechsstellige Summe sei das zuletzt gewesen, so König-Preuss. Was mit dem Geld geschieht sei nicht bekannt, erklärte die Abgeordnete, vermutlich unterstütze die Szene Ralf Wohlleben im NSU Prozess.
Thügida - Ein Volk hilft sich selbst
Strohmänner und Blutsdeutsche: Die "Thügida" sorgte im Herbst 2015 zunächst unter dem Namen "Sügida" für Aufsehen. Angelehnt war der Name an die "Pegida" aus Sachsen. Die Strategie sei damals gewesen Strohmänner zu nutzen um Demonstrationen anzumelden und so die eigentlichen Organisatoren zu verschleiern. Den Bürgern sei aber ziemlich schnell klar geworden mit wem man da demonstriert habe, erklärte König-Preuss, die Teilnehmerzahlen sanken rasant. Eine Entwicklung, die man damals auch in Nordhausen beobachten konnte. Hier war es nicht die "Thügida" sondern die "Volksbewegung Nordthüringen", die Demonstrationen organisierte. Zur ersten Demo marschierte man die NPD-Plakaten auf, deren Ursprung man in der Folge zu verstecken suchte in dem man nur die von den Plakaten ausgeschnittenen Parolen durch die Straßen trug. Auch hier waren Stadtbekannte Neonazis an der Organisation beteiligt.Die "Thügida" gibt es so heute nicht mehr, statt Demonstrationen auf die Beine zu stellen hat man einen Verein gegründet. "Ein Volk hilft sich selbst" sammelt Spenden für bedürftige Deutsche, erklärte König-Preuss, allerdings gehe es dabei nicht nach Staatsbürgerschaft sondern nach biologischen Kriterien, Hilfe gebe es nur für "Blutsdeutsche".
Blood and Honour
Trotz Verbot nicht tot: Die Internationale Organisation "Blood and Honour" ist in Deutschland seit 2001 verboten aber nicht verschwunden. Das Netzwerk vertreibt unter anderem Musik und organisiert über ihren militärischen Arm "Combat 18" Wehrsportübungen für Neonazis, bei denen Kampfszenarien trainiert werden, auch mit scharfer Waffe.Das Netzwerk habe die Struktur für die Untergrundexistenz des NSU gegeben, erklärte die Abgeordnete, das es Nachfolgeorganisationen gebe habe inzwischen auch der Verfassungsschutz bestätigt. Eine B&H CD mit dem Titel "Trotz Verbot nicht tot" kursierte jüngst in der Szene.
Auch hier fänden sich Verbindungen nach Ballstädt und in die Schweiz. Bei den Bundgenossen gebe es für den militärischen Drill der Szene ein eigenes Trainingsgelände, für mitgereiste Frauen werde ein gesondertes Programm angeboten während die Männer an der Waffe ausgebildet würden. Über das "Objekt 21" habe es auch Verbindungen zur organisierten Kriminalität gegeben, die Rede ist von Drogen-, Waffen-, und Menschenhandel.
Identitäre Bewegung
Jung, hip und braun:Die "Identitäre Bewegung" nutzt moderne Methoden, man arbeitet mit Bildern und Aktionismus, was vor allem bei jüngeren Anklang finde. Eigentlich stammt die Bewegung aus Frankreich, wo sie 2014 erstmals auftrat. König-Preuss zeigt ein Video der Franzosen, eine "Kriegserklärung", von "Blut und Erbe" ist da die Rede, man sieht sich in einer Reihe mit den Spartanern der Antike.In Thüringen existiert die Identitäre Bewegung auch, fiel bisher eher peinlich auf. Ein Haus wollte man besetzen, in dem Flüchtlinge hätten untergebracht werden sollen. Das Problem: man setzte sich im falschen Haus fest. In den Schlagzeilen waren die "Identitären" zuletzt auch wegen dem Versuch mit einem eigens gemieteten Schiff die Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer zu unterbinden. Finaziert hatte man das mit Spendenaufrufen, Unterstützung kam auch aus den USA, vom Ku-Klux-Klan.
Europäische Aktion
Dachverband der Holocaustleugner: Die "Europäische Aktion" war in Thüringen bei fast allen Demonstrationen der rechten Szene dabei und galt als "Dachverband der Holocaustleugner", erklärte König-Preuss. Nach einer großen Razzia bei der auch die GSG9 zum Einsatz kam löste sich die Gruppe auf.Hinzu kommen in Thüringen diverse kleinere und größere Gruppen auf die König-Preuss ebenfalls kurz einging. Die "Artgemeinschaft" propagiere ein "rassenreines Familienleben", gepaart mit Holocaustleugnung. Die Fanszene im Fußball sei per se nicht rechtsextrem, es gebe aber Vereine bei denen Neonazis leichteres Spiel hätten als anderswo. Die Gruppe "C38/Hammerskins" ist in Thüringen nach Behördenmeinung nur durch Einzelpersonen vertreten, für König-Preuss eine Fehleinschätzung, es habe "Offizierstreffen" im Freistaat gegeben die eine weitere Struktur vermuten ließen.
Und dann sind da noch die Parteien. Synonym mit der rechten Szene war einmal die NPD. Die hat seit 2014 einen "massiven Bedeutungsverlust" hinnehmen müssen, sagte die Abgeordnete, sie ist aber nicht die einzige offen rechtsextreme Partei im Freistaat. "Der 3. Weg" propagiere ein "klassisch faschistisches" Programm, das sich nahezu eins zu eins mit dem der NSDAP vergleichen ließe. Man tritt für gewöhnlich in uniformierten Outfit mit Trommeln und Fackeln auf. "Die Rechte" unterhält Stützpunkte in Erfurt und Weimar.
Die AfD sorge für zusätzliche Strukturen in der Szene, mehrere Neonazis hätten inhaltlich bei der AfD "angedockt", sagte König-Preuss, Mitglieder inzwischen vebotener rechtsextremer Organisationen wie der "Viking Jugend" fänden sich in den Reihen der Partei wieder. Zudem fahre die AfD eine Strategie der "Normalisierung" und versuche bewusst die "Grenze des Sagbaren" zu verschieben. "Entscheidend ist, das es gesagt wurde. Es ist gesagt und das gesagte bleibt im Raum", sagt König-Preuss, so werde eine Resonanzboden für die Mehrheitsgesellschaft geschaffen, ähnlich wie in den 90er Jahren. Man traut sich wieder.
Wenn die AfD am Sonntag in den Bundestag einziehe, werde das noch zunehmen, warnte die Abegordnete, "das wird Auswirkungen bis hinunter in die Kommunen haben". Ihre Antwort: Ruhig bleiben, Panik helfe nicht. Man müsse "erkennen, recherchieren, sich vernetzen, das Material aufbereiten und veröffentlichen". Neonazis könne man nicht nur auf Demonstrationen entgegentreten, Aufklärung, auch im eigenen Umfeld, helfe ebenso.
Angelo Glashagel