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Di, 08:02 Uhr
22.11.2016
Volksleiden Rückenschmerzen:

Mehr reden statt röntgen

Jeder fünfte gesetzlich Versicherte geht mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen zum Arzt – 27 Prozent davon suchen sogar vier Mal oder öfter einen Arzt auf. Von den jährlich mehr als 38 Millionen rückenschmerzbedingten Besu­chen bei Haus- oder Fachärzten und den dabei veranlassten sechs Millionen Bildaufnahmen wären viele vermeidbar. Zu diesem Schluss kommt die Studie Faktencheck Rücken der Ber­telsmann Stiftung...

Grafik (Foto: Bertelsmann Stiftung) Grafik (Foto: Bertelsmann Stiftung)
Wenn es um Rückenschmerzen geht, ist jeder Zweite (52 Prozent) überzeugt davon, dass man immer einen Arzt aufsuchen muss. 60 Prozent der Bevölkerung erwarten außerdem schnells­tens eine bildgebende Untersuchung. Und mehr als zwei von drei Personen (69 Prozent) sind der Meinung, dass der Arzt durch Röntgen-, Computertomografie- (CT) und Magnetreso­nanztomographie-Aufnahmen (MRT) die genaue Ursache des Schmerzes findet. Ein Trug­schluss: Ärzte können gerade einmal bei höchstens 15 Prozent der Betroffenen eine spezifi­sche Ursache für den Schmerz feststellen. Die meisten Bilder verbessern oft also weder Diag­nose noch Behandlung von Rückenschmerzen.

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Die falschen Erwartungen der Patienten rücken Ärzte häufig nicht zurecht. Dadurch kommt es neben übermäßig vielen Arztbesuchen auch zu unnötig vielen Bildaufnahmen. Allein 2015 ha­ben Ärzte über sechs Millionen Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen vom Rücken veranlasst. „Oft werden die Befunde der Bildgebung überbewertet. Dies führt zu unnötigen weiteren Un­tersuchungen und Behandlungen, zur Verunsicherung des Patienten und kann sogar zur Chro­nifizierung der Beschwerden beitragen“, so Prof. Dr. Jean-Francois Chenot von der Universi­tät Greifswald und medizinischer Experte für den Faktencheck.

Die bildgebende Diagnostik erfolgt zudem oft vorschnell. Bei 22 Prozent wurde eine Aufnahme vom Rücken bereits im Quartal der Erstdiagnose angeordnet. Bei jedem zweiten Betroffenen wurde ein Bild veran­lasst, ohne vorher einen konservativen Therapieversuch, zum Beispiel mit Schmerzmitteln oder Physiotherapie, unternommen zu haben.

Fakt ist: 85 Prozent der akuten Rückenschmerzen gelten als medizinisch unkompliziert und nicht spezifisch. Ärztliche Leitlinien empfehlen bei Rückenschmerzen ohne Hinweise auf ge­fährliche Verläufe (beispielsweise Wirbelbrüche oder Entzündungen), körperliche Aktivitäten so weit wie möglich beizubehalten, Bettruhe zu vermeiden und keine bildgebende Diagnostik durchzuführen. Ärzte weichen von diesen wissenschaftlichen Empfehlungen jedoch häufig ab.

So wird 43 Prozent der Betroffenen Ruhe und Schonung empfohlen. Zudem verstärken Ärzte oft das Krankheitsgefühl der Betroffenen, anstatt sie zu beruhigen. 47 Prozent der Betroffe­nen wird vermittelt, dass der Rücken „kaputt“ oder „verschlissen“ sei. „Ärzte müssen falsche Kenntnisse und Erwartungen von Patienten korrigieren. Nur so werden sie ihrem eigenen An­spruch als vertrauenswürdige Experten gerecht“, so Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.


Erhebliche regionale Unterschiede

Betroffene mit Rückenschmerzen gehen in Berlin oder Bayern viel häufiger zum Arzt als in Hamburg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz. Die Zahl der Behandlungsfälle pro 1.000 Versicherten und Jahr variiert auf Bundeslandebene zwischen 370 in Hamburg und 509 in Berlin. Auf Kreisebene gibt es Unterschiede um mehr als das Doppelte: So betrug die durch­schnittliche Anzahl von Behandlungsfällen je 1.000 Versicherten in den Jahren 2009 bis 2015 in den Kreisen Ostprignitz-Ruppin (BB) und Rotenburg/Wümme (NI) nur 306, im Werra-Meiß­ner-Kreis (HE) dagegen 711 und in Dingolfing-Landau (BY) sogar 730 Fälle. Auch Ärzte agie­ren regional sehr unterschiedlich: Zwischen den Bundesländern variieren die Verordnungen von Röntgen-, CT-, und MRT-Aufnahmen um bis zu 30 Prozent. In manchen Stadt- und Land­kreisen werden sogar doppelt so viele Aufnahmen veranlasst wie anderswo.

Mehr reden statt röntgen

„Die gründliche körperliche Untersuchung und das persönliche Gespräch zwischen Arzt und Patient müssen wieder mehr Gewicht erhalten“, fordert Mohn. Dafür bedarf es Korrekturen im ärztlichen Vergütungssystem. So müssen Gespräche im Verhältnis zu technikbasierten Un­tersuchungen besser bezahlt werden.

Internationale Beispiele zeigen des Weiteren, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, unnötige und im Zweifelsfall gesundheitsschädliche Aufnahmen zu reduzieren: In Teilen Kanadas erhal­ten Ärzte seit 2012 keine Vergütung mehr, wenn sich herausstellt, dass Bildaufnahmen veran­lasst wurden, obwohl kein gefährlicher Verlauf der Rückenschmerzen erkennbar war. In den Niederlanden setzt man auf striktere Zugangsbeschränkungen zu Röntgen-, CT- und MRT-Geräten.

Zusatzinformationen

Im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hat das Institut für angewandte Gesundheitsforschung (InGef) Analysen zu Behandlungsfällen und zum Ausmaß der Bildgebung aufgrund von Rü­ckenschmerzen durchgeführt. Datengrundlage sind anonymisierte, repräsentative Daten von mehr als sieben Millionen Versicherten aus circa 70 gesetzlichen Krankenversicherungen. Zu­dem wurde mit TNS EMNID eine repräsentative Befragung zum Thema Rückenschmerzen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im aktuellen Faktencheck Rücken zusammengeführt.
Grafik (Foto: bert)
Grafik (Foto: bert)
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Autor: red

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