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nnz-Forum: Autonome Nationalisten in NDH

Mittwoch, 03. August 2011, 15:01 Uhr
Am vergangenen Samstag sind Nazis lauthals demonstrierend durch Nordhausen gezogen. Interessiert hat das kaum jemanden. Aber diese Entwicklung ist alles andere als positiv, meint das Bündnis gegen Rechtsextremismus. Ein Diskussionsbeitrag zum Umgang mit der Rechtsextremen Szene in Nordhausen...


Es waren knapp sechzig Mann, die am vergangenen Samstag lauthals grölend durch die weiträumig abgesperrten Straßen Nordhausens zogen. Wem es überhaupt gelang, dem Krach der aus dem Lautsprecher drang, artikulierte Sätze zu entnehmen, der bekam die üblichen platten Parolen zu hören. Der Gegenprotest hielt sich in Grenzen und vom Lärm einmal abgesehen, wird der Demonstrationszug kaum mit dem normalen Bürger in Kontakt gekommen sein. Die meisten Nordhäuserinnen und Nordhäuser werden wohl nicht einmal gewusst haben, dass Personen aus der extrem rechten Szene, unterstützt durch die NPD, zum Protestmarsch aufgerufen hatten. Nordhausen hat weggeschaut und den Spuk vorüberziehen lassen.

Vor knapp zwei Monaten sah das noch ganz anders aus. Da drohten bis zu 1000 Neonazis aus der ganzen Bundesrepublik in der beschaulichen Rolandsstadt einzufallen, um dem „Thüringentag der nationalen Jugend“ beizuwohnen, einem der größten Events der rechten Szene in Thüringen. Dank dem engagierten Einschreiten von Verwaltung und Bürgergesellschaft fand der „Thüringentag“ letztlich nicht in Nordhausen, sondern im benachbarten Sondershausen statt. Wie die Nordhäuser am vergangenen Samstag entschied man sich in Sondershausen am 4. Juni dafür, die Nazis zu ignorieren und verbannte ihre Veranstaltung in das Industriegebiet. Auch hier zog der Spuk vorüber.

Zwei Schlussfolgerungen scheinen sich nun aufzudrängen. Zum einen war der 4.Juni wie auch der vergangene Samstag für die extrem rechte Szene vor allem eines: eine ordentliche Blamage. Zum anderen erweist sich das Konzept, „Ignorieren“ als einfach, bequem und vermeintlich erfolgreich.

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Die Einordnung dieser und ähnlicher Ereignisse fällt innerhalb der rechten Szene meist ganz anders aus, da die Zielsetzungen und der Zweck solcher Veranstaltungen sich nicht mehr mit den in der Öffentlichkeit gängigen Interpretationen decken. Vorstellungen vom typischen Nazi, mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel sind längst überholt. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich die Szene visuell wie auch strukturell neu erfunden. Neben der NPD haben sich die „freien Kameradschaften“ etabliert, Organisationen die wie Vereine funktionieren aber ohne offizielle oder formale Strukturen auskommen und so nur schwer verboten werden können.

Aus den Kameradschaften gingen zuletzt die Autonomen Nationalsozialisten (AN) hervor, die bewusst Kleidungsstil und Symbolik linker Subkulturen adaptiert haben, von diesen, zumindest äußerlich, oft kaum noch zu unterscheiden sind und als besonders gewalttätig gelten.

Verschiedene Studien haben sich mit dem Wandel der Rechtsextremen Szene befasst. Zuletzt versuchten sich Alexander Häusler und Jan Schedler mit ihrer Untersuchung „Neonazismus in Bewegung“ an einer wissenschaftlichen Einordnung des Phänomens „AN“. Die Polizei hat die Subkultur der Rechtsextremen Sphäre als Grund für „eine neue Qualität der Gewalt“ ausgemacht und zuletzt warnte selbst Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CDU) vor der erklärten Gewaltbereitschaft der AN.

Mit Versatzstücken aus Jugendkulturellen Strömungen, Musik und modernen Kommunikationsformen ist es der rechten Szene gelungen, das biedere Glatzkopf-Image nach und nach abzulegen. Zusammen mit den visuellen und strukturellen Veränderungen änderten sich so auch Sinn und Zweck der öffentlichen Aktionen. Auf Demonstrationszügen geht es dem Großteil der extremen Rechten nicht mehr darum „den Bürger“ anzusprechen oder sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren und die eigenen politischen Inhalte zu vermitteln.

Konzerte, Festveranstaltungen und auch kleinere Demonstrationszüge zielen zu allererst auf das eigene Klientel ab und dienen neben der inneren Festigung der Szene auch dazu, potentiellen neuen Mitgliedern den neuen rechten „Lifestyle“ schmackhaft zu machen.

Die Nazis in spe sind bei ihrem Eintritt meist jung, unpolitisch und „erlebnisorientiert“ wie es im Szenejargon heißt. Flugblatt- und Transparentaktionen, Angriffe auf vermeintlich linke Szenekneipen oder Abgeordnetenbüros der verhassten Demokraten, Reviermarkierung mit Aufklebern und Graffiti, gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei und anderen ausgemachten Feinden und eben auch Konzerte und Demozüge gehören zum rechtsextremen Alltag und haben die Ideologische Grundprägung samt biologistischen Menschenbild und nationalistischen Volksgemeinschaftsverständnis als maßgebenden Faktor der Zusammengehörigkeit auf den zweiten Platz verdrängt. Action ist gefragt.

Mit der Inszenierung als Parias die außerhalb des Systems stehen, sich dem gesellschaftlichen Mainstream im Alltag und auf der Straße aggressiv entgegenstellen und dem Glauben vor niemanden außer den eigenen „Kameraden“ Rechenschaft ablegen zu müssen, wird die junge und desillusionierte Generation gelockt. Die tatsächliche politische Indoktrination ergibt sich im Laufe der Szenezugehörigkeit von ganz alleine.

Betrachtet man die Ereignisse vom Samstag und die Aktionen des rechten Milieus im vergangenen Jahr, wie zum Beispiel das Auftreten der Neonazis zur Kranzniederlegung am 3.April oder die Angriffe auf Beamte, Bürger und Kneipen im Herbst und Winter 2010 aus diesem Blickwinkel, ändern sich auch die Schlussfolgerungen. Die NPD mag sich am Samstag, zumindest politisch betrachtet, lächerlich gemacht haben.

Die lokalen „freien Kräfte“ hingegen, zu denen auch der Hauptanmelder der Demonstration gehörte, verbuchen den Tag wohl eher als weiteren Erfolg. Nordhausen wird zur ehemaligen „Antifaschistischen Hochburg“ stilisiert in der sich die Nordthüringer Szene nunmehr frei und ohne nennenswerte demokratische Gegenwehr bewegen, inszenieren und weiter etablieren kann.

Es ist auch nicht von Bedeutung ob Anwohner oder Passanten verstanden haben, was da am Samstag aus den Boxen schallte. Die Lautstärke zählt. Wenn ein Zug von gerade einmal sechzig Personen die halbe Stadt beschallt, dann erzeugt das Beklemmung bei der Bevölkerung. Als Bedrohung wahrgenommen zu werden befördert den selbstgewählten Mythos der Autonomen Nationalisten und bestärkt das Selbstverständnis der Gruppe.

Das Konzept „Ignorieren“ ist somit alles andere als erfolgreich, im Gegenteil, es spielt den Rechtsextremen in die Hände. Die Nazis betrachten sich nicht als versprengtes Häufchen radikaler, fehlgeleiteter junger Männer, die einsam durch leere Straßen ziehen und wenig bis gar keine Aufmerksamkeit erregen können, sondern als Platzhirsche, denen sich niemand in den Weg stellt, da sich niemand traut die Auseinandersetzung zu suchen.

Die Diskussion welchen Weg die Politik im Umgang mit den Rechtsextremen beschreiten sollte ist in Nordhausen mit dem Einzug der NPD in den Stadtrat und den Kreistag bereits einmal geführt worden. Die rechtsextreme Szene hat sich jedoch gewandelt und die bewährten Vorstellungen von „dem Nazi“, die den öffentlichen Diskurs bestimmt haben und nach wie vor bestimmen, sind überholt. Es ist daher dringend notwendig, dass sich Politik und Gesellschaft auf die veränderten Verhältnisse einstellen. Eine wehrhafte Demokratie bedarf engagierter, sensibilisierter und aufgeklärter Politiker und Bürger.

Deswegen muss die Debatte um den Umgang mit rechtsextremen Phänomenen noch einmal geführt werden, wenn unsere Demokratie wachsam und wehrhaft bleiben soll. Sie muss nicht nur auf Bundesebene geführt werden, sondern auch hier, vor Ort, in den Parteien, den politischen Gremien und Sitzungen und in der bürgerlichen Mitte, in der Schule, zu Hause, am Arbeitsplatz und in der Freizeit. Nur so kann auf lange Sicht verhindert werden, das sich Rechtsextremes Gedankengut und diejenigen, die es propagieren, weiter in Nordthüringen festsetzen können.

Der SprecherInnenkreis des Bündnis gegen Rechtsextremismus Nordhausen
Anmerkung der Redaktion:
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Autor: nnz

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