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Grundsatzfragen am Schern

Sollte es ein Grundrecht auf Trinkwasser geben?

Freitag, 14. September 2018, 14:00 Uhr
Man dreht den Hahn auf, und was herauskommt, das kann unbedenklich genutzt werden. Global betrachtet ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser ein Privileg, hierzulande ist es eine Selbstverständlichkeit. Aber ist es auch ein Grundrecht? Wer sollte das sicherstellen und wie weit muss dabei gegangen werden? Grundsatzfragen, mit denen man sich heute zum wiederholten Male in Werther befasst hat...

Grundsatzfragen am Schern bei Werther (Foto: Angelo Glashagel) Grundsatzfragen am Schern bei Werther (Foto: Angelo Glashagel)

Seit zwei Jahren lebt Familie Teiler anders als der Rest des Landes. Ein Glas Wasser trinken, Zähne putzen, duschen oder die Schürfwunden des Nachwuchses schnell mit Wasser auswaschen - all das geht nicht so ohne weiteres auf dem Schern bei Werther. Denn das Wasser aus dem Hahn ist für Menschen nicht mehr ohne weiteres nutzbar.

In der kleinen Siedlung leben aktuell 15 Personen, jedes Wohnhaus hat einen eigenen Brunnen, mit dem man sich über Jahre hinweg mit Trinkwasser versorgen konnte. Seit 2016 ist klar das die Nitratwerte im Wasser zu hoch sind, das Gesundheitsamt musste die Reißleine ziehen. Seit dem heißt es für Familie Teiler und die anderen Anwohner: Wasser schleppen. Versorgen kann man sich nur noch mit Trinkwasser aus dem Supermarkt. Die Bewohner wandten sich an die Gemeinde, die verwies an den Wasserverband, der gab zu verstehen das ein direkter Anschluss an das bestehende Versorgungssystem wirtschaftlich nicht zu machen sei. Immerhin, im nahen Großwechsungen wurde eine Entnahmestelle für die Anwohner geschaffen um die Problematik wenigstens einzudämmen.

Viel weiter ist man heute scheinbar nicht gekommen, im Streit um die Wasserversorgung wurde schon früh der Petitionsausschuss des Thüringer Landtages eingeschaltet. Nach einem vor Ort Besuch im Mai des vergangenen Jahres kam man heute wieder in Werther zusammen, die unterschiedlichen Standpunkte sollten noch einmal angehört werden.

Grundrecht Trinkwasser?

Zu Beginn der öffentlichen Sitzung des Ausschusses stellten sich deren Vertreter deutlich auf die Seite der Anwohner. Trinkwasser gehört zur Daseinsvorsorge, die Gemeinden müssen dafür sorgen das ihre Bewohner Zugang zu sauberem Wasser haben. Da die Gemeinde Werther, wie viele anderen Kommunen des Kreises, diese Verantwortung an den Wasserverband abgegeben hat, sei dieser am Zug. So sehen es die Bewohner und so sieht man es auch im Petitionsausschuss, der Verband müsse zumindest eine tragbare Lösung anbieten.

v.l.: Carmen Lis, Hans-Jürgen Weidt und die Familie Teiler (Foto: Angelo Glashagel) v.l.: Carmen Lis, Hans-Jürgen Weidt und die Familie Teiler (Foto: Angelo Glashagel)

Wirtschaft und Recht

So einfach ist es dann aber doch nicht. Zumindest nicht aus Sicht des Verbandes und der Gemeinde Werther. Zum einen argumentiert der Verband das er nach geltendem Recht eben nicht dazu verpflichtet sei, die Versorgung in jedem Fall sicherzustellen. Der Schern liege im sogenannten "Außenbereich", zwei Kilometer ist die nächste Leitung des Wasserverbandes entfernt, der Abstand zwischen den einzelnen Gebäuden der Siedlung beträgt noch einmal rund einem Kilometer. Das macht die Sache für den Verband schwierig, ohne eine ordentliche rechtliche Grundlage könne man nicht handeln, sagte Carmen Lis, Geschäftsführerin des Nordhäuser Wasserverbandes.

Der Verband führt auch wirtschaftliche Fragen ins Feld. Als einzig realistische Option kristallisiere sich die Schaffung eines zentralen Brunnens mit Aufbereitungsanlage und einem kleinen Versorgungsnetz für die gesamte Siedlung heraus, erläuterte Lis. Geschätzter Kostenpunkt: rund 444.000 Euro. Ein Anschluss an das bestehdene Netz bei Großwechsungen würde rund 509.000 kosten. Für die Versorgung von 15 bis 25 Personen. Alleine eine entsprechende Probebohrung würde mit rund 50.000 Euro zu Buche schlagen. Geld das weder die Anwohner noch die Gemeinde Werther aufzubringen Willens oder im Stande sind.

Der Verband hingegen ist wirtschaftlich gesund, argumentiert der Ausschuss, hat man doch erst vor kurzem eine beachtliche Gewinnausschüttung an die Mitgliedskommunen in Höhe von 2,6 Millionen Euro ausgezahlt. Ein nicht ganz unumstrittener Schritt, aber einer der von den 23 Mitgliedern des Verbandes abgesegnet wurde, meint der Verband, die abschließende rechtliche Bewertung der Ausschüttung steht noch aus, in erster Instanz hatte der Verband recht bekommen. Auch Werther hat Gelder aus diesem Topf bekommen, 37.000 Euro, nicht genug um siginifkante Investitionen am Schern durchzuführen.

Präzedenzfall Wasserversorgung

Letztlich dürfte man beim Wasserverband befürchten das bei einer Entscheidung "pro Anwohner" ein Präzendenzfall geschaffen würde. Man wisse von mindestens 150 Grundstücken im "Außenbereich" des Verbandesgebietes die man aktuell nicht versorge und die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben dürften, erkärte Geschäftsführerin Lis. In ganz Thüringen könnte die Situation über 2.500 Haushalte betreffen, hieß es am Mittag in der Ausschussitzung im Werther'schen Hof. Ausmaße, in denen es auch für wirtschaftlich gesunde Verbände schwer werden könnte, den Anforderungen an eine gerechte Trinkwasserversorgung zeitnah Genüge zu tun.

In die ohnehin verfahrene rechtliche Lage zwischen Daseinsvorsorge, Wirtschaftlichkeit, Verbandsrecht und Haushaltsvorschriften bringt Werthers Bürgermeister Hans-Jürgen Weidt, ebenfalls Mitglied im Vorstand des Wasserverbandes, einen weiteren Punkt ein, der nicht unbeachtet bleiben kann: das Verursacherprinzip. Das die Anwohner am Schern das Wasser ihrer Brunnen nicht mehr nutzen können, liegt an der gestiegenen Nitratbelastung im Grundwasser. Die Gebäude der alten Geflügelmast sind nicht weit, rund um den Schern werden Felder bewirtschaftet. Die Landwirtschaft als potentiellen Trinkwasserverschmutzer auch zur Verantwortung zu ziehen liegt da zunächst nahe, den tatsächlichen Ursacher aber einwandfrei zu identifizieren ist wiederrum nicht so leicht wie es klingen mag und könnte viel Zeit in Anspruch nehmen. Zeit die man am Schern eigentlich nicht mehr hat. Nach zwei Jahren Diskussionen ist die Geduld am Ende, es soll endlich etwas passieren. Das sich die Schadstoffsituation rasant ändern könnte, ist allerdings nicht wahrscheinlich, immerhin werden die Brunnen der Anwohner werden inzwischen vom Wasserverband regelmäßig auf ihre Schadstoffbelastung überprüft. Es besteht die vage Hoffnung vielleicht doch einen der bestehden Brunnen noch einmal zu ertüchtigen.

Die Situation bleibt indes festgefahren, der Petitionsausschuss ließ schon zu Beginn der Sitzung verlauten das man heute keine endgültige Entscheidung treffen werde. Die Anwohner wollen nach den Standards leben, die in Deutschland üblich sind. Man kann es ihnen nicht verdenken. Die Außeinandersetzung am Rande des Freistaates wirft jedoch ein Schlaglicht auf ein grundsätzlicheres Problem: steht jedem Bundesbürger der Zugang zu sauberem Trinkwasser zu? Sollte der Zugang zum Wasser ein Grundrecht sein?

In der großen Politik wurde dieses Problem nicht abschließend geklärt, nicht im Land, dem Bund oder der EU. Ohne eine deutliche Grundlage sind Diskussionen wie die rund um den Schern unvermeidlich und werden in Zukunft noch öfter geführt werden. Eine Grundsatzentscheidung wäre zu begrüßen, es wäre nicht das erste mal das eine Streitfrage in der "Provinz" Auswirkungen auf den Rest des Freistaates hätte.
Angelo Glashagel
Autor: red

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