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Ein Minister zu Besuch bei den Problemen

Willkommen in der Realität

Montag, 16. April 2018, 13:00 Uhr
Das Reden und Diskutieren im Landtag und dessen Ausschüssen ist auch für Kultusminister Helmut Holter die eine Seite. Sie sind meist wohlfein geschliffen und meist von theoretischer Natur. Heute traf Holter in Ellrich auf die Realität und auf frustrierte Eltern…

Minister Holter (rechts) zu Besuch in der Ellricher Oberschule (Foto: nnz) Minister Holter (rechts) zu Besuch in der Ellricher Oberschule (Foto: nnz)
Für Robert Hoffmann, den Schulelternsprecher ist es mittlerweile „5 nach 12“, er konstatierte vorab gegenüber der nnz einen Stundenausfall von 30 Prozent. Seit er vor etwa 20 Monaten diese Funktion übernahm, habe sich die Situation in der Ellricher Oberschule immer weiter verschlechtert. Gemeinsam mit Ruben Schädlich ist er der Auffassung, dass der Freistaat Thüringen hier in Ellrich gegen bestehende Gesetze verstößt, zum Beispiel gegen die Schulpflicht. Briefe der Eltern an das verantwortliche Ministerium blieben unbeantwortet, nur politischer Druck machte es dann möglich.

Ruben Schädlich schickt seit einigen Wochen seinen Sohn zur Nachhilfe. Nicht etwa, weil er intellektuelle Defizite aufweise, sondern, weil er Opfer des Lehrerausfalls ist. Die Rechnung dafür überreichte er. Der Sohn von Katrin Becker ist behindert, er soll inklusiv beschult werden. Soll, denn personell kann das nicht realisiert werden, es fehlen schlicht und ergreifend die Fachkräfte dafür. Noch schlimmer, es ist niemand in Aussicht.

Dafür kennen die Ellricher fünf junge Lehrer, die nicht vom Land Thüringen eingestellt wurden und die nun im benachbarten Bad Sachsa, also in Niedersachsen, unterrichten. Referendare wären gern geblieben, doch das Nachbarbundesland war schneller und die Angebote (bis zum 500 Euro netto Unterschied) verständlicherweise lukrativer.

Willkommen in der Realität: Helmut Holter besuchte in Ellrich kurz mehrere Klassen, ihm wurden Aufgabenblätter überreicht: mit Forderungen und mit Wünschen. Danach kam es zum Austausch im Musikzimmer der Schule, wo Schulleiterin Carola Böck zunächst die Situation erläuterte. Unter den 266 Schülerinnen und Schülern gibt es 47 mit nichtdeutscher Herkunft sowie 56 mit speziellem Förderbedarf. Fazit: Planmäßig gekürzt werden pro Woche 115 Unterrichtsstunden, heute waren 25 Vertretungen mit acht Ausfallstunden die Realität, morgen sieht es noch schlimmer aus.

„Also, Herr Minister, wie wollen Sie geltenden Recht hier in Ellrich durchsetzen“, frage Schulelternsprecher Robert Hoffmann in Richtung Holter. Der sagte, dass er sich über den Besuch freue und konstatierte, dass der Lehrermangel nicht das Ergebnis der aktuellen Politik sei. Die statistischen Angaben zum Durchschnittsalter der Thüringer Lehrerschaft, die Holter vorbrachte, nutzten den Ellrichern wenig. Aber: „Die Oberschule Ellrich ist das Spiegelbild der gesamten Thüringer Schullandschaft“, referierte der Minister und führte dann die Maßnahmen an, wie Thüringen für Neulehrer attraktiver werden kann. Verbeamtungen und Zulagen seien eine notwendige Möglichkeit, denn „der Wettbewerb um Lehrer tobt in Deutschland.“

Bei allen Maßnahmen, die von der rot-rot-grünen Landesregierung in die Wege geleitet wurden oder noch geleitet werden sollen, kamen die besänftigenden Worte des Herrn Holter in Ellrich nicht an. Schulelternsprecher Hoffmann, meinte, dass er das alles bisher in der Zeitung zu lesen gewesen sei. Verstehen könne er das nicht, denn es helfe den Ellricher Kindern und Eltern nicht.

Konkret heißt das: auch im kommenden Jahr wird es an der Oberschule keinen Lehrer für Wirtschaft, Recht und Technik geben. Bereits komplett gestrichen sind Religion, Sozialkunde und Medienkunde. Das ist die Realität und die verlangt vermutlich erst einmal nach Kompromissen – dem Nordthüringer Schulamt schwebt dafür die neue Kooperation zwischen einzelnen Schule vor. Letztlich wird es trotz Neueinstellungen keinen zusätzlichen Lehrer im Freistaat geben, weil erst einmal diejenigen Pädagogen ersetzt werden müssen, die vom Alter her ausscheiden.
Peter-Stefan Greiner
Autor: red

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