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FANGSCHUSS IM MORGENGRAUEN

Die Wildsau als Sündenbock?

Sonntag, 21. Januar 2018, 13:57 Uhr
„Fangschuss im Morgengrauen“, lautete die Schlagzeile. Wortmeldungen über Wortmeldungen folgten. Von „Widerlich“ bis „Notwendig“ und die Meinung, da werde das falsche Schwein gejagt, reichen die Ansichten. Kurt Frank hat sich mit den Reaktionen und Meinungen noch einmal auseinandergesetzt...

Südharz. Ist es widerlich, einen Jäger neben einem erlegten Keiler zu zeigen? Widerlich, ein angeschossenes Stück Wild mit einem Schweißhund zu verfolgen, um es mit einem Fangschuss von seinen Qualen zu erlösen? Viele Leser sehen da nichts Widerliches. Der Streit hält an: Die einen sehen im Jäger einen Schießer, andere die Notwendigkeit der Jagd.

70 Prozent weniger Schwarzwild! Wegen der Schweinepest. Eine Leserin kann sich damit nicht anfreunden. Selbst hochträchtige Bachen und Frischlinge dürften jetzt bejagt werden. Sei das nicht widerlich? Tierquälerische Bedingungen der industriellen Tierhaltung seien der ideale Nährboden für Seuchen, wird betont. Und: Massentierhaltung bringe das schnelle Geld. Profit bestimme heute das Heft des Handelns.

Zusatz und -aufbaustoffe für die schnelle Mast, Gülle und Glyphosat auf die Felder. Als Folge Insekten -und Vogelsterben. Wasser, wie für die Bewohner am Schern bei Werther, das nicht mehr trinkbar ist – das sei das Widerliche, entnehmen wir weiteren Wortmeldungen. Mais -und Rapsschläge soweit das Auge blickt, und dann rufe der Bauernverband: Feuer frei auf Keiler, auch Muttersau und Frischling! Kein Wort hingegen zu grundlegenden Änderungen in der Landwirtschaft. Heuchelei pur.

Abscheulich, wenn Greifvögel wie Rotmilan oder Seeadler vergiftet oder abgeschossen werden, die dem Bau weiterer und immer größerer Windräder in der Flur im Wege stehen. Die Jagd habe mit diesen Machenschaften nichts am Hut, versichern Jagdverbände. Auch Tierarzt und Jäger Dr. Kurt Glatz schwört: Das macht kein Weidmann! Wer immer das tut: Widerlich! Letztlich bestimmt auch hier Profit das Handeln.

Jäger seien Naturschützer, beugten Wildschäden vor, regulierten den Wildbestand, sorgten für hochwertiges Wildbret und für ein Gleichgewicht in der Natur. So bezeichnen die Jagdoberen die Motive ihre Jagd ausübenden Frauen und Männer. Ist dem so? Viele unserer Leser bezweifeln es. Unterstützung erhalten sie von Prominenten.

Wer das so darstelle, lüge. Sagt der 2016 verstorbene Tiroler Landesjägermeister Ernst Rudigier in seinem Buch „Warum jagen wir?“ Er schreibt: „Wir Jäger und Jägerinnen sollten uns ehrlich und aufrichtig dazu bekennen, wofür wir unser Geld ausgeben und warum wir soviel Zeit und auch Arbeit in die Jagd investieren; nämlich das wir jagen und unsere Jagdleidenschaft ausleben können!“

Rudigier bemerkt weiter: „Auch sollten wir ganz offen dazu stehen, wie wir die Jagd für uns einschätzen: als Lebenseinstellung, Berufung, Leidenschaft, Trophäensammelleidenschaft und sonst wie noch und uns nicht unnötigen Rechtfertigungslügen bedienen, die als unglaubwürdig erkannt werden.“

In seinem Buch „Jagen, Sex und Tiere essen: Die Lust am Archaischen“ räumt Jäger und Rechtsanwalt Dr. Florian Asche ebenfalls mit einer gängigen Begründung auf: „Jäger als Ersatz für Großraubwild, Bekämpfung von Wildschäden, Waidgerechtigkeit – wer das als Gründe für die Jagd angibt, lügt.“

Auf den Nenner gebracht: Die wirkliche Jagd sei ohne vorsätzliche Tötung nicht zu haben. Leidenschaftlich Jagende wollen töten. Es sei, betonen sie, die Lust, der Genuss, das Abenteuer, die Pirsch, die innere Befriedigung, die Menschen zur Jagd bringen. Wenn die Jägerschaft keine Nachwuchssorgen kennt, mag das die Begründung dafür sein.

Das sind harte Worte. Von Leuten, die es wissen müssten. Ist der Jäger kein Naturschützer? Er ist es, wenn er so handelt wie Hartmuth Bauer aus Kleinfurra, den wir unter „Ein Leben gegen das Artensterben“ vorstellten.

Er ist es nicht, wenn er nur auf dem Hochsitz sitzt und auf Bock, Hirsch oder Schwein lauert, aber nichts für das Anpflanzen von ganzjährig blühenden Sträuchern für Insekten, Beerensträuchern und Schutzhecken für Vögel, den Greifvogelschutz und den Schutz seltener Arten unternimmt. Oder gar Netze spannt, um Schwalben davon abzuhalten, unterm Dachfirst Nester zu bauen.

Ulrich Tischer erlegte einen angeschossenen Keiler, den seine Schweißhündin aufspürte. Ein Fangschuss erlöste ihn von seinen Qualen. Was soll bei diesem Anblick widerlich sein? Es ist die Realität, weidgerecht (Foto: privat) Ulrich Tischer erlegte einen angeschossenen Keiler, den seine Schweißhündin aufspürte. Ein Fangschuss erlöste ihn von seinen Qualen. Was soll bei diesem Anblick widerlich sein? Es ist die Realität, weidgerecht (Foto: privat)

Ulrich Tischer erlegte einen angeschossenen Keiler, den seine Schweißhündin aufspürte. Ein Fangschuss erlöste ihn von seinen Qualen. Was soll bei diesem Anblick widerlich sein? Es ist die Realität, weidgerecht. Foto: privat

Die Jagd bleibt umstritten. Aber: Immer mehr Länder schränken sie ein oder verbieten sie gänzlich. In Griechenland gibt es seit Dezember 2013 ein generelles Jagdverbot, was auf der Insel Tilos bereits seit 1993 herrscht. In Holland gilt ein weit reichendes Jagdverbot. In Israel ist es stark eingeschränkt, auch in Albanien. In Costa Rica ist ein umfangreiches Jagdverbot erlassen worden.

Im Schweizer Nationalpark ist die Jagd total verboten – ein erfolgreiches Modell, das beweist: Ohne Jagd finden Tiere und Natur in ein Gleichgewicht. Im Schweizer Kanton Genf ist die Jagd seit 40 Jahren tabu. Es entstand eine einzigartige Wildoase, eine Vielfalt, die ihresgleichen sucht.

Und hierzulande? Wenn auch eingeschränkt, so darf sogar in einigen Naturschutzgebieten gejagt werden. Einige Bundesländer streben allerdings eine Novellierung der Jagdgesetze an, die Einschränkungen vorsieht. Wie in Thüringen. Nicht nur die zuständige Ministerin Birgit Keller will es: Generelles Jagdverbot in Naturschutzgebieten, die Zahl vieler als jagdbar eingestufter Tiere aus der Liste streichen. Wäre das nicht längst überfällig?
Kurt Frank
Autor: red

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