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Analyse zur Causa Kreisstadt

Was ist los in Erfurt?

Donnerstag, 20. April 2017, 16:20 Uhr
Seit der gestrigen Ankündigung des Thüringer Innenministers Holger Poppenhäger, in einem zukünftigen neuen Kreis Sondershausen den Sitz der Kreisstadt zuzugestehen kochen die Gemüter in Nordhausen hoch. Zeit für eine ruhige Bestandsaufnahme. Was ist da eigentlich los in Erfurt und wie kann es weiter gehen?

Was ist los in Erfurt? (Foto: Angelo Glashagel) Was ist los in Erfurt? (Foto: Angelo Glashagel)

Über Nordthüringen tobt ein veritabler Proteststurm. Nordhausen, einst freie Reichsstadt, seit Jahrzehnten Kreissitz und als einzige ernstzunehmende größere Stadt im Umkreis von gut 100 Kilometern das unbestreitbare Zentrum des Thüringer Nordens soll nicht länger Sitz der regionalen Verwaltungsspitze sein. Die einst so stolze Stadt, degradiert zu einer einfachen Landkreisgemeinde. Oh Schmach, oh Schande.

So oder so ähnlich lassen sich die Ankündigungen verstehen, mit denen Innenminister Holger Poppenhäger gestern die Region schockte, zumindest aus der Nordhäuser Perspektive. Fast möchte meinen, die Landesregierung lege es geradezu darauf an, sich im Norden unbeliebt zu machen.

Eine Demontage der Stadt wittert da mancher, politisch motivierte Repressalien, der SPD-Minister straft den ungebührlichen Norden und die CDU geführte Stadt ab. Ein anderer sieht wahltaktische Großmanöver, in dem Poppenhäger den jetzigen Landrat und Parteifreund als zukünftiger Retter des Kreisstadtstatus in Position bringt und der damit sein Profil im ringen um die Stadt stärkt.

Politische Kurzsichtigkeit?

Vielleicht trifft aber auch weder das eine noch das andere zu. Aus Sicht des Verwaltungsbeamten Poppenhäger macht es nämlich, abseits aller Emotion, überhaupt keinen Unterschied ob nun Nordhausen oder Sondershausen Kreisstadt ist. Folgt man den bisherigen Erläuterungen der Landesregierungen zur Verwaltungsreform, dann stimmt das wahrscheinlich sogar.

Demzufolge soll den Gemeinden ohnehin mehr Verantwortung zugesprochen werden und die grundsätzliche Strukturen vor Ort, Ämter und Anlaufstellen für den Bürger, erhalten bleiben. Einfach ausgedrückt: aus Poppenhägers Sicht wird nur das Büro des Landrates/der Landrätin verlegt. Die Argumentation über Größe, kulturelle Bedeutung, Geschichte und Wirtschaftskraft ist nach dieser Logik obsolet, da sich aus dieser Perspektive de facto so gut wie nichts ändern würde.

Die Ankündigung Poppenhägers kann im Lichte der Betrachtung eher als Geschenk an seine Parteifreundin Antje Hochwind, aktuell Landrätin im Kyffhäuserkreis, als an Parteifreund Matthias Jendricke verstanden werden. Jendricke bekommt die von ihm favorisiert Variante des Doppelkreises, verliert aber Nordhausen als Sitz der Verwaltungsspitze. Hochwind wiederum verliert zwar die von ihr präferierte Option der Achse Nordhausen-Kyffhäuser-Sömmerda, gewinnt dafür aber den Kreissitz für "ihre" Stadt Sondershausen. Egopflege unter Parteikollegen, gepaart mit politischer Kurzsichtigkeit.

Gut möglich also, dass man im Innenministerium gar nicht mit dem Sturm des Entsetzens gerechnet hat, der da gerade am Südharz tobt. Schließlich hat man, in der Gesamtheit betrachtet, eher noch Konzessionen gemacht und den bisherigen Vorschlag zu den neuen Kreiszuschnitten zu Gunsten des "IHK-Vorschlags", dem von der Industrie- und Handelskammer vorgelegten Planes, abgeändert.

Noch ist Zeit für Widerspruch

Unverständnis herrscht derweil nicht nur in Nordhausen, sondern auch bei den Koalitionspartnern in Erfurt. Weder Grüne noch Linke hatte das Innenministerium vorab über die neuen Vorschläge informiert, war aus der Landeshauptstadt zu erfahren. Mehr noch: Poppenhäger hat anscheinend auch den üblichen Prozess, das sogenannte Umlaufverfahren umgangen, bei dem erst einmal alle Ministerien derlei Vorschläge zumindest Gegenzeichnen, bevor sie in den weiteren parlamentarischen Kreislauf gelangen. Ministerien etwa, die von Kennern der Region, etwa einer ehemaligen Nordhäuser Landrätin, geführt werden.

Noch ist der neue Entwurf erst einmal nur das: ein Vorschlag über den noch gestritten werden wird. Nach der Revision innerhalb der Regierungspitze muss das Papier den kommunalen Spitzenverbänden, also etwa dem Gemeinde- und Städtebund sowie dem Landkreistag vorgelegt werden. Danach geht der Entwurf ins Kabinett, gefolgt von weiteren Anhörungen und erst dann wird der Vorschlag ins Parlament und seine Ausschüsse eingebracht und dort diskutiert. Bis Mitte Mai könnte es dauern, bevor die Parlamentarier ein Papier haben, mit dem sich offiziell arbeiten lässt, war aus Erfurt zu hören. Bisher rumort es also erst einmal nur auf den Fluren des Landtages und in den Nordhäuser Amtsstuben, formal ist noch nichts passiert. Zeit sich einzumischen bleibt also noch.

Kritik aus den eigenen Reihen

Ministerpräsident Ramelow hatte die Vorschläge noch am gestrigen Abend gegen erste Kritik verteidigt, was die weitere Auseinandersetzung aus Nordhäuser Sicht nicht einfacher machen dürfte. Zumindest innerhalb des Kabinetts wird es schwer fallen, sich gegen den Ministerpräsidenten zu stellen. Im Parlament könnte das anders aussehen. Sowohl Koalitionspartner wie auch Mitglieder der eigenen Partei haben schon Widerstand angekündigt, sollte Nordhausen nicht auch Kreisstadt werden.

Abgeordnete gibt es aber auch aus dem Sondershäuser Raum, die ebenso Forderungen stellen werden, wenn die Causa Kreissitz weiter an Fahrt gewinnt. Nordhausen ist, nüchtern betrachtet, die offensichtlichere Wahl - mehr Einwohner, mehr Wirtschaftskraft, ein erschlossenes Industriegebiet das nur darauf wartet endlich bezogen zu werden, ein kulturelles Zentrum, das mehr zu bieten hat als ein schickes Schloss (und auch mehr als ein Theater), bessere Anbindung an die überregionale Infrastruktur, eine Hochschule, leidlich erfolgreiche Sportvereine und (internationale) Wettkämpfe. Nordhausen hat alles, Sondershausen wenig bis nichts. Aus Nordhäuser Sicht, versteht sich.

Beide Städte machen Ansprüche in Erfurt geltend, nicht nur in Bezug auf den Kreissitz. Gerade Nordhausen hat Prestigeprojekte, die ohne Hilfe aus Erfurt nicht realisiert werden können. Siehe das Theater und den AKS. All das wird in den kommenden Wochen Verhandlungsmasse werden. Wenn die Auseinandersetzung am Ende zu Gunsten Nordhausens enden soll, muss der Proteststurm laut, deutlich und vor allem langanhaltend in Erfurt zu hören sein. Die Frage nach dem Kreissitz mag im Innenministerium nicht mehr als ein technisches Detail sein, für die Menschen vor Ort ist sie auch ein Symbol von einer über die Jahrhunderte gepflegten Eigenständigkeit, ein Teil des Selbstverständnisses. Beschwichtigungen und halbgare Erklärungsversuche allein werden nicht reichen, um diese Geister wieder zur Ruhe zu bringen.

Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, das sich so ziemlich alles was im Südharz Rang und Namen hat, gegen die neuen Pläne ausgesprochen hat. Darunter natürlich auch Landkreis und Stadt. Aus beiden Verwaltungen war zu hören das man nun gemeinsam für Nordhausen einstehen müsse. Weniger erfreulich waren die gegenseitigen Vorwürfe, die sogleich folgten. Nicht nur Stimmen des Protests, auch der ewige Nordhäuser Zwist, wird in Erfurt gehört.
Angelo Glashagel
Autor: red

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