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High-Tech im Südharz

Die Zukunft kommt aus Bleicherode

Mittwoch, 09. März 2016, 12:00 Uhr
Manche Ideen sind so einleuchtend, dass man annehmen muss, dass einer der vielen Menschen auf diesem Planeten schon einmal darauf gekommen ist. Solarbetriebene Stromspeicher zum Beispiel. Die gab es bisher allerdings nirgends auf der Welt. In Bleicherode werden sie jetzt gefertigt und versprechen eine kleine Revolution in Sachen Energieversorgung...

Olaf Müller, Azubi Konstantin Müller und Axsol Geschäftsführer Jochen Zinnecker (Foto: Angelo Glashagel) Olaf Müller, Azubi Konstantin Müller und Axsol Geschäftsführer Jochen Zinnecker (Foto: Angelo Glashagel)

"Arvey" heißt der silbrig-graue Kasten, der die Welt ein bisschen besser, ein wenig angenehmer machen soll und ist nichts anderes als ein mobiles Solarkraftwerk. Die Geschichte dieser Erfindung, die mit etwas Glück einmal in Bleicherode gefertigt werden soll, beginnt eigentlich in Würzburg bei Jürgen Zinecker.

Weltweit einzigartig

Der Mann hat in seinem Leben "schon was geschafft", wie er sagt, unter anderem verdankt man ihm das Navigationssystem "Navigon". Der Ingenieur ist also kein Unbekannter und so kam es das ihn ein befreundeter Arzt der in Krisenregionen Hilfe leistet und mobile Krankenhäuser begleitet, darum bat für ihn nach Kraftstoffunabhängigen und tragbaren Energieträgern zu suchen.

Muss es geben, da war sich Zinecker sicher, musste aber erstaunt feststellen, das dem nicht so war. Da sich seine Firma "Axsol" ohnehin mit Solartechnik beschäftigt war die Grundidee für "Arvey" geboren. Zweieinhalb Jahre ist das her.

Ein halbes Jahr später geht die Geschichte in den Wäldern Bleicherodes weiter. Hier organisiert der Elektroninstallateur und passionierte Jäger Olaf Müller eine Jagdgesellschaft, der auch der nicht minder passionierte Jäger Zinecker beiwohnt. Der Theoretiker aus Bayern und der Praktiker aus dem Südharz kommen ins Gespräch und eins führt zum anderen.

Vergangene Woche stehen beide auf der Handwerksmesse in München, preisen ihr kleines Solarkraftwerk an und bekommen dafür nicht nur viel Lob und Aufmerksamkeit, sondern auch den "Bundespreis für hervorragende innovatorische Leistung für das Handwerk 2016". Seitdem habe es kaum fünf Minuten gegeben in denen er nicht wegen "Arvey" telefoniert hätte, schwärmt Zinecker.

Von der Zeltstadt bis zur Yacht

Das Interesse erklärt sich wenn Zinecker und Müller beim fabulieren über mögliche Einsatzgebiete vom hundertsten ins tausendste kommen. Elektronische Sicherung des Baucontainers von Tag 1 an? Kein Problem, Leitungen, Stromaggregate und Benzin braucht das Gerät nicht. Fernsehen und Wärmedecke für Kraftfahrer in dunklen Nächten ohne das der Motor laufen muss, ein funktionierender Kühlschrank im kleinen Häuschen weit ab vom Schuss, eine Microwelle beim Campingtrip oder ordentlich Beschallung auf dem Festivalzeltplatz - für die "westlichen Märkte" sehen die Erfinder Einsatzmöglichkeiten vor allem im Freizeit- und Komfortbereich.

Grundsätzlicher wird es, wenn es um das Gebiet geht, das ursprünglich den Anstoß für die Erfindung gab: die Krisenherde und Entwicklungsregionen dieser Welt. Rund 300 Millionen Menschen weltweit sind gänzlich ohne Stromzugang, wenn man konservativ schätzt, erklärt Zinecker, ganze 1,2 Milliarden haben nur sehr begrenzten Zugang. "Mit konventionellen Stromnetzen ist da nichts mehr zu machen, die Lösung muss dezentral sein", sagt der Ingenieur und rechnet weiter: 5000 seiner Aggregate gehen auf einen Lkw, macht 5000 Haushalte die innerhalb eines Tages nachhaltig mit dem Grundbedarf an Strom für Licht, Wärme und technische Geräte versorgt werden könnten.

Führt man den Gedanken weiter und schaut auf die aktuelle Flüchtingsproblematik in Afrika und dem Nahen Osten ergeben sich Vorteile in ganz anderen Dimensionen. Verlegt man im Flüchtlingslager 10.000 Kabel in Regionen die vielleicht nicht einmal in der Nähe einer Überlandleitung sind oder stellt man jeder Unterkunft ein kleines Kraftwerk zur Verfügung, das sich jeden Tag autark von neuem auflädt? Das Heizmatten betreiben kann, das Energie für Wasser- und Nahrungsmittelaufbereitung, für Pumpen oder einfach für den Handyakku verfügbar machen kann. Ohne Abgase, ohne Kraftstoffe und leicht zu transportieren. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Welthungerhilfe und Entwicklungsländer wie Mosambique und Äthopien sind angesichts der Möglichkeiten schon hellhörig geworden, hieß es am Nachmittag in Bleicherode.

High-Tech made in Bleicherode

Der erste Prototyp der Solarbatterie wog noch gut 40 Kilo, die jetzige Form, die man bis Mitte des Jahres in Serienreife bringen will, hat nur noch ein Viertel des Gewichts und bringt die doppelte Leistung. Standardmäßig liefert die Batterie aus einem Lithium-Eisenphosphat Polymer 2000 Watt Spitze und 1000 Watt kontinuierlicher Leistung. Bis zu vier Geräte können hintereinander geschaltet werden, mehr geht nicht, die Technik der Bauteile verhindert das. Bisher. Anschlüsse gibt es von 5 bis 230 Volt, eine Gefriertruhe mit 60 Watt Leistungsbedarf soll "Arvey" gut 7,7 Stunden betrieben können, eine LED Lampe mit 5 Watt mehr als 100 Stunden, verspricht der Hersteller. Die Lebensdauer wird mit 1000 Aufladezyklen im Minimum und bis zu 5000 bei Idealnutzung angegeben.

Vom LED-Lämpchen bis zum Kühlschrank - die mobile Steckdose soll vielfältige Einsatzgebiete erobern (Foto: Angelo Glashagel) Vom LED-Lämpchen bis zum Kühlschrank - die mobile Steckdose soll vielfältige Einsatzgebiete erobern (Foto: Angelo Glashagel)

Das diese doch eigentlich recht naheliegende Idee bisher noch niemand in die Praxis umgesetzt hat liegt auch daran das die technischen Möglichkeiten noch recht jung sind. Vor allem die Aufladung über dünne und biegsame Solarmatten ist High-Tech. Ein ganz feines Stück Zukunft hat Zinecker abseits der Batterie im Gepäck, die einmal zur massenhaften Verbreitung seiner Idee beitragen könnte: Solarfolie aus dem Spezialdrucker, hauchdünn und theoretisch von der Glasverschattung über das Autodach bis zum Segel überall einsetzbar. Exemplare weltweit: zehn.

Die Solarkraft aus dem Drucker ist noch Zukunftsmusik, die Zeit der Solarbatterie soll hingegen Mitte des Jahres anbrechen, allerdings noch nicht auf dem Massenmarkt. Dem entgegen steht der noch stolze "Straßenpreis" von gut 2000 Euro und die Kapazitäten der beteiligten Unternehmen.

Gefertigt werden soll das kaum 10 Kilo schwere Kraftpaket in Bleicherode, bei der Firma "Elektro Müller und Söhne", ein Familienbetrieb der dieses Jahr 25. Geburtstag feiern kann und acht Mitarbeiter hat. Beim Entwickler Axsol sind es nicht vielmehr, zehn Leute sind mit dem Projekt beschäftigt, 20 Mitarbeiter hat man insgesamt und auch bei Elektromüller gibt es noch das Tagesgeschäft.

Wenn alles gut geht

Wenn aber alles gut geht und die Nachfrage stimmt, dann könnte Bleicherodes Gewerbegebiet Zuwachs bekommen. Das freut natürlich Bügermeister Frank Rostek, man führe bereits Gespräche mit der LEG und erwarte auch Rückendeckung von Land und Bund, so Bleicherodes Bürgermeister am Nachmittag. Den Ausschlag für Nordthüringen als Produktionsstandort gab zum einen das Know-how und die Erfahrung der Bleicheröder Firma im Solaranlagenbau. Die Technik sei ähnlich nur kleiner, erklärte Olaf Müller.

Zum anderen ist da die gute Infrastrukturanbindung Bleicherodes, meinte Axsol Geschäftsführer Zinecke. Das wichtigste aber sei das Fachkräftepotential der Region in Sachen Elektrotechnik, meint der Bayer, "ohne die Arbeitsplätze geht es nicht".

Wenn also alles gut geht, und angesichts der Möglichkeiten stehen die Chancen nicht schlecht, dann kann aus der trivialen Idee vielleicht eine Erfolgsgeschichte für die Welt und auch für das kleine Bleicherode und für Nordthüringen werden.
Angelo Glashagel
Autor: red

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