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Wortklaubereien. Heute: Vorhaben für das neue Jahr

Freu dich auf morgen

Freitag, 01. Januar 2016, 19:51 Uhr
Die Zeiten, da ich alljährlich am 1. oder 2. oder gar erst am 3. Januar wortbrüchig geworden bin, sind seit langem vorbei. Sie kennen das ja: In der Silvesternacht nimmt man sich etwas Wichtiges vor, gelobt Besserung, will künftig gesundheitsbewusster leben, doch was dann…

Stunden nach Verklingen der Silvesterböller wird alles wieder über den Haufen geworfen oder einfach nur vergessen. Die meisten von uns machen so weiter wie bisher. Oder nehmen sich von vornherein erst gar nicht so viel vor. Wie ich. Mein Rezept gegen das schlechte Gewissen alljährlich zum 1. Januar lautet: Freu dich auf morgen.

Kann man sich auf den nächsten Tag überhaupt freuen, wenn man zum Beispiel seit Jahren viel zu wenig und zu unregelmäßig schläft? Sollte man nicht in Selbstvorwürfen zerfließen, wenn morgens aus dem Badspiegel ein müdes Augenringmonster schaut? Das sind oft die Momente, in denen vernünftige Menschen Besserung geloben. Daraus wird zwar am Abend eh wieder nichts, weil ein Buch viel zu spannend, ein Kneipengespräch viel zu interessant oder das Bier einfach zu lecker ist, doch trotzdem folgt abends kein schlechtes Gewissen, sondern Freude! Und zwar in Form von Vorfreude auf den Moment, da es tatsächlich in die Falle geht.

Ob dies der Grund dafür ist, dass einem Schwermut oder andere Unpässlichkeiten angesichts eines etwas ungesund anmutenden Lebenswandels erspart bleiben? Wäre man ein besserer, gesünderer Mensch, wenn man jeden Tag mit schlechtem Gewissen unter die Bettdecke kriechen würde. Oder fortan auf Kaffee und Bier verzichten würde? Oder fünf kleine statt zwei riesige Portionen täglich in sich hineinschlingen würde? Oder, oder, oder…

Vor mehr als 20 Jahren habe ich das Rauchen aufgegeben. Das war keine Silvesterlaune, sondern die Folge steten Mahnens des Arztes meines Vertrauens, Dr. Kaufer in Hettstedt, der mich außerdem sogar für das Joggen begeistert hat. Nun ja, nach dem Rauchen gab ich irgendwann auch das Joggen auf, als ich den Eindruck hatte, dass ich mich selbst unter Druck setze (du musst, du musst!).

Der Arzt zeigte, dass es gar nicht so schwer ist, sich für oder gegen Gesundes zu entscheiden. Vor allem, dass man sich nicht zu viel vornehmen sollte, um Zwänge und Ängste zu vermeiden. Deshalb nehme ich mir seit Jahren zu Silvester (und für jeden weiteren Tag des neuen Jahres) nur noch etwas ganz Bescheidenes vor: Freu dich auf morgen!

Dieser Wunsch bedeutet: Was heute nicht gelungen ist, das könnte morgen klappen. Oder übermorgen. Morgen heißt auch: ein neuer Sonnenaufgang, neue Erlebnisse und Bekanntschaften, neue Hoffnung für mich und andere, neue gute Taten. Zugegeben: Das klingt alles sehr billig. Ist es vielleicht sogar. Aber es hilft seit Jahren quasi automatisch, gesund zu bleiben, denn offenbar entscheidet irgendetwas in einem selbst, es mit Ernährungssünden nie zu weit zu treiben, sich körperlich ausreichend zu bewegen und vor allem kein schlechtes Gewissen einreden zu lassen, wenn etwas nicht dem Weltbild eines anderen Menschen entspricht.

Deshalb an dieser Stelle noch einmal quasi öffentlich: Freu dich auf morgen.
Jochen Miche
Autor: jm

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