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Fr, 06:47 Uhr
05.08.2011

Menschenbilder (10)

Aus dem im Spätherbst des Jahres 2011 erscheinenden reich bebilderten Buch "Menschenbilder aus der Harz- und Kyffhäuserregion" von Bodo Schwarzberg veröffentlicht die nnz in loser Folge eine Auswahl an Texten über Mitbürger, die er seit April 2010 zu ihrem Leben, ihrer Tätigkeit und deren gesellschaftlichen und persönlichen Hintergründen gesprochen hat.

Jochen Napiralla †

Ehemaliger Bürgermeister der Gemeinde Niedersachswerfen
langjähriges Mitglied der Nordhäuser Rolandsgruppe


Napiralla (Foto: nnz) Napiralla (Foto: nnz) „Nicht nur reden, sondern etwas tun!“ – Dieser Satz bestimmte das Leben von Jochen Napiralla so lange er denken konnte. Ob als langjähriges aktives Mitglied der Nordhäuser Rolandsgruppe, als begnadeter Büttenredner und unverzichtbare Säule des Ellricher Karnevalsvereins und erst recht als Bürger und Bürgermeister seines Heimatortes Niedersachswerfen: Der am 14.12.1946 in Naumburg Geborene war immer zur Stelle, wenn es galt, im Sinne des Gemeinwohls anzupacken und zu gestalten.

Jochen Napiralla sah sich selbst als Pragmatiker, als jemand, dem Bürokratie ein Gräuel ist, und der selbst sagte, dass ein freundschaftliches Schulterklopfen oftmals viel mehr bewirken kann, als das aufwändige Ausfüllen eines seitenlangen Antrages. Viele Menschen konnte er auf diese Weise in all den Jahren mitreißen: ‚Napiralla macht etwas, und da machen wir mit‘, sagte sich so mancher von ihnen. – Und als es ihm gesundheitlich nicht mehr ganz so gut ging, da vergaßen sie ihren Bürgermeister nicht: Sie übermittelten ihm ihre herzlichen Genesungswünsche, besuchten ihn in seinem Haus in der Kleinen Bahnhofstraße, ja, zum Weihnachtsgottesdienst 2009 beteten sie sogar für ihn.

Seit 1953 wohnte Jochen Napiralla in Niedersachswerfen. Seine Mutter Edelgard Napiralla war damals zu ihrem zweiten Mann, Richard Bauersfeld, gezogen. Und ihr Junge fühlte sich hier sofort richtig wohl: „Für mich als Naumburger Stadtkind gab es inmitten der dörflichen Idylle eine Menge zu entdecken. Von hier wollte ich nicht wieder weg“, sagte er.

Nach der zehnten Klasse absolvierte er im VEB Leunawerk Merseburg eine Lehre zum BMSR-Mechaniker und war von 1969 bis 1985 ununterbrochen im damaligen VEB Nordbrand mit der Wartung und Reparatur von Verpackungs- und Abfüllmaschinen beschäftigt. Rückblickend dachte Jochen Napiralla sehr gern an diese Zeit zurück, die besonders von der langjährigen Betriebsleiterin Hanna Erlmeier geprägt war: „Sie hatte für jeden ihrer Mitarbeiter ein offenes Ohr und war zugleich eine resolute Frau mit Durchsetzungsvermögen. Einen sozialistischen Betrieb leistungsorientiert wie in der Marktwirtschaft geführt zu haben, das ist einer ihrer großen Verdienste“, sagte er. Und: „Ich habe für den Umgang mit anderen Menschen von ihr viel für mein eigenes Leben mitnehmen können.“

Jochen Napiralla sah sich „als Kind der DDR“, der zu diesem Land stand, und der als Mitglied der SED nie müde wurde, auf Veränderungen zu drängen. Den Sozialismus verstand er als eine gute Idee, die aber von den in Ost-Berlin Herrschenden missbraucht und falsch verstanden worden sei. Und er wusste stets, dass Veränderungen niemals von allein geschehen, sondern dass hinter ihnen aktive Menschen stehen müssen.

Während seiner Tätigkeit bei Nordbrand nahm er im Ferienobjekt seines Betriebes Hufhaus die Aufgaben eines Objektleiters wahr. Spätestens im Jahre 1973 begann sich Jochen Napiralla aktiv in das Leben seiner Gemeinde Niedersachswerfen einzubringen. Damals engagierte er sich zunächst vor allem in deren Dorfklub, dessen Veranstaltungskalender alsbald Tanzabende, Vorträge, Karnevalsveranstaltungen oder auch „kulinarische Reisen“ beinhaltete, und, ob des nunmehr reichhaltigen Angebots, für reges Interesse sorgte. Dass er sich unter seinen Mitbürgern damals vergeblich darum bemühte, diese für die Gründung eines eigenen Niedersachswerfer Karnevalsklubs zu gewinnen, sah er mit einem weinenden Auge:

„Weil es einen solchen damals nicht gab, wurde gemeckert. Und als ich dann die Initiative ergriff, einen solchen Klub aufzubauen, fanden sich keine Mitstreiter“, sagte er. Stattdessen wurde Jochen Napiralla Mitglied des Ellricher Karnevalsvereins, dem er bis 1990 die Treue hielt, und durch seine Büttenreden wesentlich mit bestimmte. Durch die Auftritte des Ellricher Karnevalsvereins in Niedersachswerfen gelang es Jochen Napiralla, den Fasching in seine Gemeinde zu holen. Dabei verstand es der langjährige Niedersachswerfer Bürgermeister, die ideologisch damals sehr eng gesetzten Grenzen einerseits zu strapazieren und auszutesten, ohne sie jedoch allzu weit zu überschreiten. „Ich schrieb meine Büttenreden, die ich in Ellrich und in Niedersachswerfen hielt, erst unmittelbar vor der Karnevalsveranstaltung, so dass sie aus Zeitgründen nicht mehr zensiert werden konnten“, lachte er.

Wesentlich wirkte Jochen Napiralla aber auch bei der Organisation und Durchführung der Dorf- und Heimatfeste seiner Gemeinde mit, wobei er vor allem die Kontakte zu den federführenden Betrieben, meist den Leunawerken und der Kältetechnik, zu nutzen verstand. Besonders gern erzählte er in diesem Zusammenhang von der 775-Jahrfeier Niedersachswerfens von 1983, an deren historischen Festumzug sich noch heute viele Einwohner gern erinnern. „Von oben kam die Weisung, auf den Umzug zu verzichten. Aber ich konnte mich mit der Idee trotzdem durchsetzen“, dachte Jochen Napiralla zurück. Die Geschichte von Niedersachswerfen ohne ein einziges politisches Plakat und unter Aussparung der DDR-Zeit darzustellen, war damals eine nicht leicht zu verwirklichende und zu erklärende Besonderheit des Festumzuges, der unter Mitwirkung von Kindergärten, Schulen und Betrieben zu einem unvergesslichen Erlebnis wurde.

„Willste was gelten, dann mache dich selten“, hatte einst der Vater von Jochen Napiralla zu seinem Sohn gesagt: Auf die Nordhäuser Rolandsgruppe bezogen hieß das für ihn, deren Auftritt zu einem ganz besonderen und seltenen Ereignis zu machen. – Seit der Wiederbelebung des Rolandsfestes im Jahre 1975 verkörperte der Niedersachswerfer den „alten Ebersberg“, in dessen Figur er im Laufe der Jahre immer mehr hineinwuchs. „Ich habe 25 Jahre gebraucht, um die Person und das Charisma des alten Ebersberg immer tiefer zu erfühlen, und wurde dadurch allmählich immer besser“, sagte er. Jochen Napiralla schwor auf seine Rolandsgruppe als ein „homogenes Ganzes“, weil sie zwischen 1979 und 2004 in der stets gleichen Besetzung auftrat und dadurch von Auftritt zu Auftritt an Reife und schauspielerischer Qualität gewann. Zwischen 1975 und 2007 spielte Jochen Napiralla den alten Ebersberg – eine Ära der jüngeren Nordhäuser Kulturgeschichte.

In der Wendezeit veränderte sich für den engagierten Sachswerfer beruflich und privat sehr viel. Von 1990 bis 1992 war er Angestellter in einem Lebensmittelgeschäft seiner Gemeinde und arbeitete anschließend bei dem Großhandel für Berufsbekleidung „Komet“ in Nordhausen auf den Gebieten Bestellung und Versand. 1989 hatte er zudem seine heutige Ehefrau Ingeburg Napiralla kennenglernt: „Alles, was ich seitdem getan habe, und was mein Leben bis heute bestimmt, wäre ohne sie nicht möglich gewesen“, sagt er.

Dazu gehört in entscheidendem Maße auch seine Entscheidung, 1999 zur Wahl des hauptamtlichen Bürgermeisters von Niedersachswerfen anzutreten. „Du musst etwas tun“, hatte sich Jochen Napiralla wie schon so oft in den vorangegangenen Jahren gesagt. „Nach der Wende war die Stimmung in der Gemeinde angesichts der Schließung von Leunawerk und Kältetechnik zunehmend von Resignation geprägt. Der zunehmend gefühlten Bedeutungslosigkeit von Niedersachswerfen musste etwas entgegengesetzt werden“, begründete er seine damalige Entscheidung. Und er wusste, dass ein hauptamtlicher Bürgermeister viel mehr erreichen kann, als ein ehrenamtlicher. „Ich habe meinen Bürgern nichts versprochen. Aber ich sage ihnen bis heute, dass wir das Machbare auch machen“, brachte er seine Herangehensweise auf den Punkt. Machbar war zum Beispiel die Erhöhung des Selbstwertgefühls der Einwohner.

Dass diese heute wieder mit Stolz sagen „Wir sind Sachswerfer“, daran hat Jochen Napiralla einen großen Anteil. Auch durch die Anbindung Niedersachswerfens an das Nahverkehrssystem der Kreisstadt mit Hilfe der im Halbstundentakt verkehrenden HSB-Triebwagen und DUO-Straßenbahnen konnte dies erreicht werden. Aber auch sonst hat sich im Ort eine Menge getan in den vergangenen zehn Jahren: Das Freibad und die Kanalisation wurden ebenso saniert wie viele Straßen, ein Alten- und Pflegeheim wurde gebaut, damit, wie der Bürgermeister sagte, die alten Sachswerfer dort bleiben können, wo sie schon seit Jahren gelebt haben. Sehr wichtig war Jochen Napiralla auch die Freiwillige Feuerwehr: „Sie hilft immer dort, wo es nötig ist, und lange nicht nur dann, wenn es brennt“, betonte er. Ihr steht heute ein nagelneues Feuerwehrgerätehaus zur Verfügung.

Noch vieles mehr ließ sich auf der Habenseite anfügen. Ein Resultat dieser Entwicklung ist die erstmals seit langem wieder stabile, das heißt nicht mehr rückläufige Einwohnerzahl Niedersachswerfens. Im Jahre 2008 beging die Gemeinde ihre 800-Jahrfeier, bei der es gelang, alle Vereine und viele Einwohner zum Mitmachen zu animieren. Dies mündete in einen großen Erfolg, was insbesondere zu einem besseren Zusammenhalt innerhalb Niedersachswerfens führte.

Beklagen tat der Bürgermeister unter anderem, dass den Gemeinden z.B. bei der Erschließung neuer Gipsabbaufelder kein Mitspracherecht zusteht. „Wir wollen keine neuen Steinbrüche“, betonte er. Jochen Napiralla war über seine engagierte Tätigkeit als Bürgermeister hinaus Aufsichtsratsmitglied bei den Harzer Schmalspurbahnen, Mitglied im Wasserverband Nordhausen (mit allen Gemeinden des Landkreises), Verbandsvorsitzender des Abwasserverbandes Südharz und parteiloses Mitglied des Kreistages in der SPD-Fraktion.

Obwohl ihm die Arbeit als Bürgermeister viel bedeutete und gewissermaßen den Höhepunkt seines jahrzehntelangen ehrenamtlichen Engagements bildete, wollte Jochen Napiralla bei den nächsten Wahlen nicht noch einmal antreten: „Ich möchte gern wieder mehr Zeit für meine Familie haben, und ihr ein wenig von dem zurückgeben, worauf sie in den ganzen Jahren so oft verzichten musste“, sagte er über seine persönliche Zukunft.

Diesen Wunsch konnte er sich und seiner Familie leider nicht mehr erfüllen. Seine Erkrankung war schließlich stärker als der ihm eigene Optimismus, seine Lebensfreude und sein Gestaltungswille. Jochen Napiralla verstarb am 15. März 2011.

Das Buch wird von Helmut Peter von der Autohaus Peter GmbH und vom Maler und Grafiker Klaus-Dieter Kerwitz (mit Grafiken) großzügig unterstützt.
Autor: nnz

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