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Do, 13:30 Uhr
06.09.2018
Ortsgespräch zum leben im ländlichen Raum

Von unten gedacht

Den Mensch zieht es in die Städte, mit ihnen geht der Arzt, der Supermarkt, die Sparkassenfiliale und die Jugend. Was bleibt in Zukunft und vor allem wie kann man in Zukunft auf dem Land leben bleiben. An welchen Stellschrauben soll die Politik drehen? Mit diesen Fragen befasste man sich heute in Heringen, Infrastrukturminsiterin Birgit Keller hatte zum ersten "Ortsgespräch" im Freistaat geladen...

Ortsgespräch in Heringen (Foto: Angelo Glashagel) Ortsgespräch in Heringen (Foto: Angelo Glashagel)

Auf dem Land hat das Leben getobt. Früher einmal. Das gab es den Bauern und seine Knechte. Der Bauer braucht den Sattler und den Schmied, den Wagner, braucht den Schuhmacher und den Schneider und sie alle brauchen den Gastwirt. Später kam der Elektriker, der Installateur und der Mechaniker dazu. Und sie alle brauchten den Bauern.

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Heute sieht das Leben auf dem Land anders aus. Den Bauern gibt es immer noch, sicher, der hat heute Maschinen die viel menschliche Arbeitskraft ersetzen. Die anderen Berufe sind zumeist verschwunden, abgewandert in die Stadt oder ganz ausgestorben. Der Konsum ist verschwunden, die Sparkasse hat ihre Filiale geschlossen und die Kinder des Gastwirts zieht es in die Stadt statt die alte Kneipe zu übernehmen und auch der Landarzt findet keinen Nachfolger. Das Dorf ist heute ein Ort an dem man schläft und den man in den morgenstunden verlässt, wenn die Stadt und die Arbeit rufen. Wenn man das noch kann und will.

Wie will man die Flucht in die Stadt stoppen und das Leben auf dem Land wieder lebenswert machen für Jung und Alt? Vielschichtige Fragen mit denen man sich in großer Runde im Ballsaal des Heringer Schlosses beschäftigte. Entsprechend groß war die Runde, neben Ministerin Keller waren die Landräte Nordhausens, des Kyffhäuserkreises und des Eichsfelds vor Ort sowie Heringens Bürgermeister Maik Schröter, der Hausarzt Dr. André Haas aus Neustadt, der Gründer der Stiftung Landleben Frank Baumgarten und dazu jede Menge Publikum.

Für die rechte thematische Einleitung sorgten diejenigen, die vor Ort aktiv sind. Zum einen natürlich der Gastgeber. Er habe nach seinem ersten Amtsantritt schnell gemerkt das den Kommunen in der selbstbestimmten Gestaltung enge Grenzen gesetzt sind, sowohl rechtllich wie auch finanziell. Die Lösung der Heringer Landgemeinde war die Gründung einer Stiftung, man wollte privates Geld gewinnen um die Dinge umzusetzen, die einem am Herzen liegen, sagte Heringens Bürgermeister. Auf erste Erfolge kann man verweisen, sechs behindertengerechte Wohnungen sind einem denkmalgeschützten Haus entstanden.

Dr. Haas, Haus- und Palliativarzt in Neustadt, plädierte dafür das die Orte ihre alten Alleinstellungsmerkmale revitalisieren. In Neustadt ist das der Status als Kurort, den man nach langer Brache in jüngster Zeit versucht hat wiederzubeleben. Man habe "unmögliches möglich gemacht" und aus eigener Kraft aus dem Sumpf gezogen.

Probleme und Lösungen

Schöne Geschichten, die Realität sieht in der Fläche vielfach doch anders aus. Judith Nolte erfüllte sich vor zehn Jahren eine Traum und eröffnete das Café "Alte Schule" in Wingerode. Gestern ist sie den Tränen nahe. Eine einfache Änderung des Zugfahrplanes hat weitreichende Folgen für ihr Dorf und ihr Geschäft. Früher verließ der letzte Zug um zehn Uhr Abends den Bahnhof, heute kommt die letzte Bahn bereits halb sieben. Zu wenig Fahrgastverkehr auf der Strecke, nicht wirtschaftlich, also: Zugeinsatz verringern.

Die Auswirkungen spürt an der "Alten Schule" deutlich. Früher kamen Studenten aus dem Göttinger Raum um im Café zu arbeiten. Die bleiben jetzt aus. 82 Stunden habe sie in der vergangenen Woche gearbeitet, erzählt die Gastwirtin, neue Kollegen findet sie nicht mehr, obwohl sie gute Löhne zahlt. "Bei uns in Wingerode ist das noch ein Luxusproblem. Es gibt andere Ortschaften in der Gegend, die haben nur noch den Schulbus als Anbindung an den Rest der Welt", erzählt Nolte.

Ortsgespräch in Heringen (Foto: Angelo Glashagel) Ortsgespräch in Heringen (Foto: Angelo Glashagel)

Der logistische Anschluss an die weite Welt und ihre urbanen Zentren ist nur eine Hürde. Wer auf dem Dorf etwas bewegen will, der muss sich mit ganz anderen Instanzen auseinandersetzen. Das kann bei Frau Noltes Café anfangen, das einen Weihnachtsmarkt ausrichten will, den aber nicht so nennen darf wenn ihr nicht die Gewerbeaufsicht im Nacken sitzen soll oder bei den Bauherren denen Steine in den Weg gelegt werden. Oder es geht um Fördermittelanträge die es braucht um Projekte zu stemmen. Der bürokratische Aufwand der dafür zu leisten ist, kann von kleinen, nicht selten ehrenamtlichen Verwaltungen nicht geleistet werden, meint Maik Schröter, die "Verschlankung des Bürokratiemonsters" wird zu einem der zentralen Schlagworte des Abends werden.

Letztlich greifen viele Probleme ineinander. Fehlende Arbeitskraft, sei es nun im Einzelhandel, in der Pflege oder anderen Bereichen, führt zu fehlender Kaufkraft. Fehlt die, geht auch die Infrastruktur verloren oder wird zurückgefahren. Die Lösung müsse denn auch eine ökonomische sein, meint Frank Baumgarten, Gründer der Stiftung "Landleben". Seit vier Jahren hat er sich den Kampf um die Jugend auf dem Dorf auf die Fahne geschrieben. Es brauche mehr als nur "Museusmsbauern", man müsse zulassen das Dörfer auch modern sein dürfen und wieder Produktionsstandorte sein könnten. Vielfach seien die Gemeinden heute fremdbestimmt, bliebe mehr Geld in den Kommunen, dann könne man hier auch wieder mehr Arbeitsplätze schaffen. Eine Möglichkeit sei es, wieder kleine landwirtschaftliche Einheiten zu schaffen, die sich nicht am Großabnehmer orientieren müssten, sondern für die Nachbarschaft produzierten.

Ortsgespräch in Heringen (Foto: Angelo Glashagel) Ortsgespräch in Heringen (Foto: Angelo Glashagel)

Das würde vorraussetzen das "die Nachbarschaft" auch tatsächlich im Dorf kauft und nicht im Supermarkt auf dem Heimweg. Das wirtschaftliche Risiko könne heute kaum einer tragen, meinte Heringens Bürgermeister, "es ist schwer Fuß zu fassen und es wird noch schwerer."

Das alles hört sich Ministerin Keller geduldig an. Sie ist nicht alleine gekommen, sondern hat diverse Kollegen aus dem Ministerium dabei. Der Abend in Heringen soll ein Auftakt für weitere Gespräche in den anderen Ecken des Freistaates sein, bei denen dann auch explizite Themenbereiche wie Wirtschaftskreisläufe angesprochen werden sollen.

Nachdem 20 Jahre lang nur über die kommenden Probleme geredet aber nicht gehandelt worden sei, habe man in den letzten vier Jahren schon einiges bewegen können, sagte Keller gegenüber der nnz, angefangen bei der Zusammenlegung ihrer Ressorts um Entscheidungen aus einer Hand treffen zu können. Außerdem habe man jüngst neue Programme aufgelegt, die sich explizit mit der Förderung von Kleinstunternehmen und Basisdienstleistungen in der Grundversorgung befassen. Mit den Gesprächen vor Ort wolle man das Thema nun "von unten denken", aus Sicht der Gemeinden, um so die Förderinstrumentarien des Ministeriums weiter anzupassen.

Wer es gestern nicht schaffte, seine Sicht der Dinge im Ballsaal darzulegen, dem wurde die Möglichkeit geboten dem Ministerium eine Nachricht zu hinterlassen. Das geht auch digital, etwa über die Webpräsenz der "Akademie ländlicher Raum".
Angelo Glashagel
Autor: red

Kommentare
N. Baxter
06.09.2018, 13.33 Uhr
Land NE Land
es gibt noch viele Dörfer die sich nach wie vor blühenden Lebens erfreuen...!
Sheriff Pat
06.09.2018, 14.26 Uhr
Hier einmal von vorne gedacht
Gebt den Leuten doch endlich das zurück, was essenziell für sie ist. Ihre politische Selbstbestimmung und ihr Geld. Ihr zwingt sie in die unmöglichsten Kunstgebilde, um sie "effizient zu verwalten" und um irgendwelche komischen "Zentren" zu fördern, in die dann kein Bus mehr fährt. Wie effizient das ist, spüren die Leute aufgrund explodierender Kosten am eigenen Leibe und sehen es anhand des Drecks und der Löcher auf der Straße.

Wer per Wahl nur noch mitbestimmen darf, wo die Parkbank steht und wer den Grüßaugust auf der Kirmes mimt, der verliert nicht nur die Lust am gesellschaftlichen Leben seiner Gemeinde, der verliert auch die Lust am großen Ganzen. Wozu soll man Leute wählen die man nicht kennt und denen das Schicksal der Gemeinden Bohne ist?

Was ihr von den Leuten haltet, habt ihr erst gestern wieder im "Rat des Kreises" gezeigt. Die Bleicheröder, die Ellricher, die Heringer und wie sie alle heißen sind jetzt auch noch stolze Finanziers eines Fußballstadions, das dort kein Mensch braucht. Derweil verfallen die eigenen Sportstätten zu Staub, weil auch noch der letzte Cent aus den Gemeinden herausgepresst wird. Haben Sie mal geschaut, um wieviel sich diese sogenannte Kreisumlage in den letzten Jahren erhöht hat? Der Feudal-Adel war ein Samariter verglichen mit euch, der hat nur den Zehnt genommen. Ihr nehmt den Gemeinden fast alles um ihnen hinterher mit TamTam großzügig ein altes Feuerwehrauto zu schenken.

Das ließe sich beliebig fortsetzen Frau Ministerin Keller. Ihr, und damit meine ich auch die Vorgängerregierungen, habt die Leute auf dem Land zu Bettlern gemacht. Jetzt wundert ihr euch über die Probleme, die dort entstanden sind. Ihr selber habt euch aber ein schickes Nest gebaut, Und von dort oben schaut ihr immer noch auf die da unten. Aber schön, dass ihr mal darüber gesprochen habt...
Leser X
06.09.2018, 14.54 Uhr
Keine Antworten
Die Zerstörung der einstigen ländlichen Infrastruktur ist systembedingt. Insofern kann auf Fragen diesbezüglich nicht geantwortet werden. Es geht nur so, weil sich heute alles "rechnen" muss. Es herrscht halt Kapitalismus, in Deutschland noch dazu ein besonders radikaler. Warum die sog. LINKE da unbedingt mitmachen will, habe ich bis heute nicht geschnallt.
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