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Mo, 08:50 Uhr
30.11.2015
LÄNDERMONITOR BERUFLICHE BILDUNG

Duales System unter Druck

Die Situation der Berufsausbildung in Deutschland scheint paradox: Während Betriebe über mangelnden Nachwuchs klagen, finden viele Jugendliche keine Lehrstelle.
Der „Ländermonitor berufliche Bildung“ der Bertelsmann Stiftung vergleicht erstmals die Ausbildungssituation in den 16 Bundesländern...

Die duale Berufsausbildung gerät immer stärker unter Druck: Seit 2007 ist die Zahl der Bewerber für einen Ausbildungsplatz bundesweit von 756.000 auf 613.000 gesunken. Das entspricht einem Rückgang um 19 Prozent. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze ging ebenfalls zurück, mit einem Minus von 13 Prozent jedoch weniger stark (von 644.000 auf 563.000). Die rechnerischen Chancen auf eine Lehrstelle haben sich somit für den einzelnen Bewerber erhöht. Davon profitieren Hauptschüler und Ausländer allerdings kaum. Ihre Zugangschancen zum dualen System verbesserten sich nur geringfügig. Das sind die Ergebnisse des „Ländermonitor berufliche Bildung“ der Bertelsmann Stiftung.

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Laut der Studie hat die duale Ausbildung in Ostdeutschland in den letzten Jahren besonders an Bedeutung verloren. Seit 2007 hat sich die Zahl der Interessenten an einer betrieblichen Ausbildung nahezu halbiert (minus 47 Prozent). Dieser Einbruch hängt auch mit dem demographisch bedingten Rückgang der Schülerzahlen im gleichen Zeitraum zusammen. Auch das Angebot an Ausbildungsplätzen schrumpfte um 40 Prozent. In den neuen Ländern macht sich damit ein bundesweiter Trend besonders stark bemerkbar: Die Klein- und Kleinstbetriebe mit weniger als 50 Beschäftigten, die in den östlichen Flächenländern 98 Prozent der Betriebe ausmachen, reduzieren ihr Engagement in der dualen Ausbildung.

Nachwuchssorgen belasten Ausbildungsberufe

Auch in den westlichen Bundesländern ist die Zahl der Bewerber seit 2007 um 13 Prozent gesunken, die Anzahl der Ausbildungsstellen um 7 Prozent. „Der Trend zur Akademisierung in Deutschland ist unumkehrbar. Um die rückläufigen Bewerberzahlen auszugleichen, muss sich unser Ausbildungssystem verstärkt Jugendlichen mit schwächeren Schulabschlüssen und Migrationshintergrund sowie Flüchtlingen öffnen“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Azubis fehlen insbesondere in den Reinigungsberufen, im Gastgewerbe und in der Lebensmittelverarbeitung. In diesen Branchen gibt es die meisten unbesetzten Ausbildungsplätze. Für Ausländer und Jugendliche, die maximal einen Hauptschulabschluss haben, wird es trotzdem kaum leichter, einen Ausbildungsplatz zu finden. 2005 begannen nur 48 Prozent der Bewerber mit Hauptschulabschluss direkt eine betriebliche Lehre oder vollzeitschulische Ausbildung. 2013 waren es mit 51 Prozent nur geringfügig mehr. Große Unterschiede zeigen sich im Vergleich der Bundesländer. Während in Bayern 71 Prozent der Hauptschüler direkt eine Ausbildung beginnen, sind es in Schleswig-Holstein lediglich 37 Prozent. Wem es nicht gelingt, direkt eine Ausbildung aufzunehmen, landet zunächst in Maßnahmen des sogenannten Übergangssystems. Dort können Jugendliche jedoch keine Berufsabschlüsse erwerben.

Geringste Erfolgsquote: Hauptschulabschluss und ausländischer Pass

Die geringste Erfolgsquote bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz haben Hauptschüler ohne deutschen Pass. Nur 37 Prozent von ihnen finden direkt eine Lehrstelle, deutlich weniger als deutsche Hauptschüler (54 Prozent). Je höher allerdings der Schulabschluss, desto geringeren Einfluss hat die Nationalität. Die Erfolgsquote für den Eintritt in eine Berufsausbildung von ausländischen Schulabgängern mit Abitur oder Fachhochschulreife liegt mit 94 Prozent nur knapp unterhalb der ihrer deutschen Altersgenossen (97 Prozent). Die besten Chancen auf einen Ausbildungsplatz haben Ausländer unabhängig vom Schulabschluss in Mecklenburg-Vorpommern. 89 Prozent der ausländischen Bewerber beginnen dort eine vollqualifizierende Ausbildung – von den deutschen Altersgenossen gelingt dies nur 84 Prozent.

Erheblich schlechtere Chancen haben Jugendliche ohne deutschen Pass in Bremen: Nur 41 Prozent von ihnen können in der Hansestadt direkt eine Ausbildung beginnen (Deutsche: 74 Prozent).

Schwieriger wird es, als Azubi den passenden Betrieb und als Betrieb den passenden Azubi zu finden. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass 2013 mehr als 30.000 Lehrstellen unbesetzt blieben, obwohl es mehr Bewerber als Stellen gab. Auch der Anteil an aufgelösten Ausbildungsverträgen deutet auf wachsende Passungsprobleme hin. 2013 wurden bundesweit 25 Prozent der Verträge vorzeitig gelöst. 2007 waren es noch 21 Prozent. Am häufigsten trennen sich Lehrling und Betrieb in Berlin. 35 Prozent der Ausbildungsverhältnisse enden dort vorzeitig. Vertragslösungen sind nicht mit Ausbildungsabbrüchen gleichzusetzen, denn häufig wird die Ausbildung in einem anderen Betrieb fortgesetzt.

„Auf die Bewerberrückgänge der vergangenen zehn Jahre muss das Berufsbildungssystem reagieren“, sagte Dräger. Bessere Berufsorientierung in den Schulen, intensivere Betreuung der Betriebe und der Azubis sowie eine Flexibilisierung der Ausbildungsgänge seien Maßnahmen, um das duale System zu öffnen und zu stärken. Dräger plädierte auch für eine staatliche Ausbildungsgarantie: „Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist das Minimum, mit dem junge Menschen das Bildungssystem verlassen sollten“, sagte Dräger, der vor allem das derzeitige Übergangssystem für reformbedürftig hält.

Fazit für Thüringen

Thüringen ist mit einem BIP von 23.870 Euro pro Einwohner das Bundesland mit der zweitniedrigsten Wirtschaftskraft, die sich jedoch im vergangenen Jahrzehnt wesentlich dynamischer entwickelt als in fast allen anderen Ländern und auch mit Blick auf die (unter allen ostdeutschen Ländern niedrigste) Arbeitslosenquote positiv ausgewirkt zu haben scheint.

Die Beschäftigtenquote in Produktionsberufen ist mit 33 % die höchste aller Bundesländer und auch der mit 73 % höchste Beschäftigtenanteil mit Aus- und Fortbildungsabschluss verdeutlicht für Thüringen die große Bedeutung der beruflichen Ausbildung für Fachkräftesicherung sowie berufliche Perspektiven und soziale Chancen der Jugendlichen. Für beides ist die Berufsbildungspolitik angesichts der demographischen Entwicklung besonders gefordert. Die im Ländervergleich ausgesprochen hohen Ausgaben für berufliche Schulen (6.200 Euro je Schüler) verweisen hier bereits auf eine Verstärkung der berufsbildungspolitischen Anstrengungen.

So ist vermutlich auch zu erklären, dass sich erstens bei den Neuzugängen der demographische Rückgang am wenigsten auf das Schulberufssystem auswirkte, während das Übergangssystem erheblich schrumpfte und 2013 nur noch 16 % aller Einmündungen ausmacht. Und zweitens verzeichnet Thüringen eine stetige Entwicklung von einem Nachfrageüberhang hin zu einem Angebotsüberhang, d. h. einer beinahe ausgeglichenen Angebots-Nachfrage-Relation.

Bei der Einmündung ins Ausbildungssystem sind besonders die Befunde nach schulischer Vorbildung bemerkenswert. Mit 57 % der Neuzugänge, die maximal einen Hauptschulabschluss haben, münden bereits überdurchschnittlich viele in eine vollqualifizierende Ausbildung ein. Mit mittleren Abschluss gelingt sogar 97 % der Einstieg ins duale oder Schulberufssystem, der höchste Wert im Ländervergleich. Die im Vergleich zu anderen Ländern hohen Einmündungsquoten in vollqualifizierende Ausbildung, die sich auch für Ausländer zeigen, führen allerdings nicht für alle Jugendlichen zum Abschlusserfolg.

Mit jeweils 75 % der weiblichen und männlichen Auszubildenden beenden in Thüringen nur unterdurchschnittlich viele Jugendliche erfolgreich ihre Berufsausbildung, wobei - im Unterschied zu vielen anderen Ländern - die Absolventenquoten der dualen und der vollzeitschulischen Ausbildung über die Zeit sehr nah beieinanderliegen und kein Effektivitätsvorsprung in einem der beiden Sektoren zu konstatieren ist. Hier hat Berufsbildungspolitik zur Verbesserung der Ausbildungsqualität anzusetzen.
Autor: red

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