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Di, 15:45 Uhr
14.04.2015

Verfluchtes Lager Juliushütte

Gestern wurde in der Gedenkstätte Mittelbau-Dora der Befreiung durch die Amerikaner vor 70 Jahren gedacht. Aber Dora war nur das Hauptlager. Das größte der 38 Nebenlager im Südharz befand sich in Ellrich. Auch hier gedachte man heute der Opfer des nationalsozialistischen Lagersystems...

Gedenken zum 70. Jahrestag der Befreiung des Außenlagers Ellrich-Julius Hütte (Foto: Angelo Glashagel) Gedenken zum 70. Jahrestag der Befreiung des Außenlagers Ellrich-Julius Hütte (Foto: Angelo Glashagel)

Die Gedenkstätte Mittelbau Dora ist heute Anziehungspunkt für viele Besucher, die erfahren wollen, was Menschen unter der Diktatur der Nazis zu erleiden hatten. Aber Dora ist nur einer von vielen Orten im Südharz, in dem Menschen aus ganz Europa unter schrecklichsten Bedingungen zur Arbeit gezwungen wurden, bis Hunger, Kälte, Erschöpfung, Krankheit oder die Grausamkeit der Wachmannschaften ihrem Leben ein Ende bereiteten.

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Eines dieser fast vergessenen Lager ist "Mittelbau II", besser bekannt als Ellrich-Juliushütte. Wer die Überreste des Lagers heute finden will, der muss einem holprigen Weg entlang der Bahngleise bei Ellrich folgen, bevor hinter einem unscheinbaren Backsteinhaus die ersten Gedenktafeln und Ruinen auftauchen.

Wie in Dora und in anderen Konzentrationslagern wurden auch hier schreckliche, unmenschliche Verbrechen begangen, von denen einige der wenigen noch verbliebenden Überlebenden heute berichteten.

Lucien Barthel wurde am 18 September 1944 verhaftet und kam über Buchenwald nach Ellrich. Berichte über die Zustände in den Lagern hatte er bis zu seiner Ankunft selbst nicht glauben können, berichtet er. In den Baracken, die er und seine Mitgefangenen zu beziehen hatten, fanden sie bei ihrer Ankunft "menschliche Reste, Skelette in Lumpen". Die Arbeit im Stollen begann am nächsten Tag, und am Anfang sei es ihm, dem jungen Mann, noch leicht gefallen, aber das habe sich nicht lange gehalten. Zwölf Stunden am Tag mussten die Häftlinge schuften, dazu lange Appelle bei Wind und Wetter, Tag und Nacht.

Lucien Barthel - Ellrich war ein verfluchtes Lager (Foto: Angelo Glashagel) Lucien Barthel - Ellrich war ein verfluchtes Lager (Foto: Angelo Glashagel)

Lucien Barthel - "Alles war darauf ausgerichtet schnell zu sterben"

"Alles war darauf ausgerichtet schnell zu sterben", berichtet er und erzählt davon, wie Leichen in Ellrich verbrannt wurden, weil das Krematorium in Dora ausgelastet war. Der Hunger sei so schrecklich gewesen, das er die Häftlinge zum Kannibalismus trieb, erzählt Barthel weiter, man aß die verkohlten Überreste der Kameraden.

Fünf Monate lebte Barthel so. In dieser Zeit habe er sich nicht ein einziges Mal ausgezogen. Frische Kleider oder Schuhe bekam man nicht, Hygiene war nicht existent und wer dennoch die Kleider ablegte, dem wurden sie von anderen Häftlingen gestohlen.

Das schlimmste aber sei der Zug nach Bergen-Belsen gewesen, als die Nazis die Lager räumten, bevor diese von den Amerikanern befreit werden konnten. Ein Drittel des Zuges blieb der SS vorbehalten, erzählt der alte Herr, der Rest zwängte sich in offene Viehwagons wie "Sardinen in der Büchse".

Jacky Handeli - "In Bergen-Belsen haben wir nur noch auf den Tod gewartet" (Foto: Angelo Glashagel) Jacky Handeli - "In Bergen-Belsen haben wir nur noch auf den Tod gewartet" (Foto: Angelo Glashagel)

Jacky Handeli - "In Bergen-Belsen haben wir nur noch auf den Tod gewartet"

Auch der ürsprünglich aus Griechenland stammende Jude Jacky Handeli berichtete von seinen Erfahrung im Lager Juliushütte, von menschlichen Scheiterhaufen, von den Appellen bei eisiger Kälte, den Transporten in offenen Wagen bei Schneegestöber und davon, wie er in Bergen-Belsen nur noch auf den Tod gewartet hat.

Aber die Überlebenden berichten auch von Hilfsbereitschaft, vom "Meister", einem zivilen Aufseher im Lager, der "ein guter" gewesen sei, oder von einem Ellricher Bauern, der den abgemagerten heimlich Brot zusteckte. Den Mut zum Überleben habe ihm die Hilfe anderer gegeben, sagte Lucien Barthel, "Wir haben versucht Menschen zu bleiben, solidarisch mit Menschen aus aller Herren Länder".

8000 Häftlinge fasste das Lager insgesamt, mindestens 4000 ließen hier ihr Leben, unzählige weitere starben auf den "Evakuierungstransporten" quer durch die Reste des Dritten Reiches.

Nach dem Krieg durchschnitt die Deutsch-deutsche Grenze das Lager. Auf der östlichen Seite begann man 1952 "Mittelbau II" im Rahmen der "Grenzsicherung" abzutragen. Im Westen sprengte der Bundesgrenzschutz 1964 verbliebene Gebäude. Bis zur Wende 1989 war das ehemalige Konzentraionslager so gut wie nicht zugänglich.

Das bei Ellrich überhaupt noch etwas von dieser Zeit des Grauens kündigt, ist nicht zuletzt auch ein Verdienst der "Jugend für Dora", die sich schon früh für die Sichtbarmachung der Überreste eingesetzt hat, berichtete der Leiter der Gedenkstätte, Dr. Stefan Hördler, und sprach der Jugendorganisation, die zum 70. Jahrestag auch die Überlebenden betreute, seinen Dank aus.

Die Zeit der Augenzeugen geht ihrem Ende entgegen. Der Schrecken von Dora und mit ihm die ganze Unfassbarkeit des Lagersystems, tritt über in eine Phase, in der die Geschehnisse nur noch vermittelt, nicht aber mehr berichtet werden können. Die jungen Leute machen sich mit dem Engagement für Dora oder Aktionen wie den "Fahnen der Erinnerung" verdient um die Erinnerungsarbeit in Deutschland und in Nordhausen. Solches Engagement wird auch in Zukunft bitter nötig sein, wenn die Lektionen der Vergangenheit nicht dereinst in Vergessenheit geraten sollen.
Angelo Glashagel
Autor: red

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