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Sa, 13:18 Uhr
30.08.2014

Das Gedächtnis der Stadt

Es war ein Tag für Bücherfreunde: erst die Eröffnung der Bibliothek, dann der Tag der offenen Tür im Stadtarchiv mitsamt Führung durch das Magazin. Auch die nnz ist mit hinabgestiegen und hat das Gedächtnis der Stadt erkundet...

Das "Missale" wird sonst gut im Magazin des Archivs verwahrt (Foto: Angelo Glashagel) Das "Missale" wird sonst gut im Magazin des Archivs verwahrt (Foto: Angelo Glashagel)

Ein schwerer Foliant dominiert die Tische, an denen sonst Forscher und Familienkundler sitzen und über alten Akten brüten. 10 bis 15 Kilo wiegt der Buchkoloss aus dem frühen 16. Jahrhundert, auf dessen Seiten sich kirchliche Liedtexte, Noten und Anleitungen zur Durchführung der heiligen Messe finden. Normalerweise liegt das "Missale" gut verwahrt im Magazin des Stadtarchivs, den Tresorräumen der einstigen Sparkasse, die heute das neue Rathaus beherbergt.

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Zusammen mit dem Leiter des Archivs, Dr. Wolfram Theilemann, konnten heute Besucher hinabsteigen in die Katakomben, zu denen sonst nur das Personal zutritt hat. Wahre Schätze werden hier aufbewahrt, etwa eine Urkunde Kaiser Karls VI aus dem Jahr 1743, samt dem Siegel des Heiligen Römischen Reiches. Das opulente Schriftstück bestätigt Nordhausen das Recht, die Ämter des Schultheißen und des Vogtes zu besetzen, wichtige Vorraussetzungen für den Status der freien Reichsstadt.

Weniger Eindrucksvoll aber ebenso Sinnbildlich für die Geschicke der kleinen Stadt ist eine Urkunde über Landzukäufe im Jahr 1415. Neben Mühlhausen war Nordhausen die einzige freie Reichsstadt auf dem Gebiet der heutigen neuen Bundesländer. Im Gegensatz zu anderen Städten, welche die Privilegien und Rechte einer Reichsstadt genossen, fehlte es Nordhausen aber immer an Besitzungen außerhalb der Stadt um weiter zu wachsen.

Eines der Lieblingsarchivalien Dr. Theilemanns ist aber das Fotoalbum des Majors von Knobloch, der die Jahre des ersten Weltkrieges und die Nachkriegszeit festhielt. Das Album wurde arg in Mitleidenschaft gezogen, als ein amerikanischer GI bei der Einnahme der Stadt 1945 zwei Schüsse auf dieses "Dokument des Militarismus" abgab. "Das ist nicht allein Geschichte", sagte Theilemann, "das ist auch Symbolik".

Archivleiter Dr. Wolfram Theilemann zeigt die Schätze des Stadtarchivs (Foto: Angelo Glashagel) Archivleiter Dr. Wolfram Theilemann zeigt die Schätze des Stadtarchivs (Foto: Angelo Glashagel)

An diesen und anderen Archivalien erläuterte Theilemann seinen Besuchern die Aufgaben und die Arbeitsweise des Archivs sowie die Möglichkeiten von Familienforschern. Die Bestandserhaltung steht dabei ganz oben auf der Prioritätenliste. "Ein Archiv ist das Gedächtnis einer Stadt. Es dient nicht primär der Erinnerung." sagte der Archivar. Für letztere seien vor allem Museen oder auch Bibliotheken zuständig. "Diese Erinnerung ist selektiv", so Theilemann weiter, "das Gedächtnis aber darf sich nicht verändern sondern muss konserviert werden". Denn die Anforderungen an die "Erinnerung" werden von jeder Generation neu gestellt, Geschichte neu interpretiert. Die Ausstellung eines Museums oder auch der Buchbestand einer Bibliothek verändern sich im Laufe der Zeit. Das Rohmaterial aber, aus dem die Erinnerung gesponnen wird, die Geschichte in ihrer Reinform, die liegt in den Archiven.

Das Archiv selbst ist nur bedingt an der Schaffung der "Erinnerung" beteiligt, etwa durch Publikationen wie die "Nordhäuser Nachrichten", deren neueste Ausgabe, die dieser Tage erschien, beim Buchhaus Rose und der Stadtinformation erworben werden kann.

Zugang zu Akten, Dokumenten, Bekanntmachungen, Plänen, Geburts- und Sterberegistern und all den anderen Dingen, die im Alltag einer mehr als 1000jährigen Stadt angefallen sind, hat jeder Nutzer des Archivs. Allerdings nur in Form von Kopien, Reproduktionen oder Transkripten. Einschränkungen gelten lediglich dann, wenn Informationen über noch lebende oder erst kürzlich verstorbene Personen tangiert werden. 522 "Benutzertage", das heißt Besuche von Nutzern, hat das Archiv im Jahr 2014 bisher gezählt. Hinzu kommen Anfragen von Forschern, Privatpersonen, Behörden, Gerichten und Museen.

Damit dabei die Bestandserhaltung und vor allem die Erfassung nicht auf der Strecke bleibt, hatte das Archiv, wie auch schon in den vergangenen Jahren, im August geschlossen. Ab Montag werden wieder die üblichen Öffnungszeiten gelten.

Für dieses Jahr steht dem Archiv noch ein Großprojekt ins Haus: Der Umzug der Himmelgartenbibliothek in die Räume der Flohburg. Der 356 Bände umfassende Bücherschatz weilt derzeit noch in Leipzig, wo die Folianten gereinigt werden. Bei einem Großteil der Bände handelt es sich um "Inkunabeln", frühe Drucke aus der Zeit vor 1500. Am 31. Oktober sollen sie ihren neuen Platz in den Kellerräumen der Flohburg finden, in denen bisher vor allem die Sonderausstellungen des Hauses zu sehen waren. Das Museum Flohburg wird dann nicht allein "Erinnerung" der Stadt dienen, sondern auch, ein wenig, ihr Gedächtnis sein.
Angelo Glashagel
Autor: red

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