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Di, 11:16 Uhr
27.05.2014

Wie kann man Jude und Deutscher sein?

v.r. Sohn Adam Growald, OB Klaus Zeh, Paul Growald, Eileen Rockefeller Growald, Dr. Manfred Schröter (Foto: Angelo Glashagel) v.r. Sohn Adam Growald, OB Klaus Zeh, Paul Growald, Eileen Rockefeller Growald, Dr. Manfred Schröter (Foto: Angelo Glashagel)
Das fragte sich Paul Growald, Nachfahre des Nordhäuser Juden Herrmann Bacharach. Auf einer Reise durch Europa zu seinen deutschen Wurzeln machten er und seine Familie heute auch in Nordhausen halt. Die nnz hat mit ihnen gesprochen...

1934: Die Nazis haben ihre Macht in Nordhausen wie auch andernorts im Reich schnell gefestigt und die politische Opposition weitestgehend kaltgestellt. Mitbürger, die nicht den Idealen der faschistischen Weltanschauung vom reinen Arier entsprechen, sehen sich zunehmenden Repressalien ausgesetzt. Als einen der ersten in Nordhausen trifft der Hass der Nazis den jüdischen Pferdehändler Hermann Bacharach. Bacharach betreibt sein Geschäft vom Gebäude Bahnhofplatz 2 aus und ist zu diesem Zeitpunkt über 70 Jahre alt.

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Der alte Mann, Weltkriegsveteran mit Auszeichnung, versteht sich als loyaler Bürger Deutschlands und so lange Hindenburg noch seine schützende Hand über die jüdischen Veteranen hält, hat er nicht viel zu befürchten. Doch der Einfluss des greisen Hindenburg schwindet zusehends und bald machen die Nazis auch nicht mehr vor den Veteranen des ersten großen Krieges halt.

Bacharach ist Witwer und lebt mit einer "arischen" Haushälterin zusammen. Die Hitlerjugend riecht "Blutschande". Die Jugendlichen treiben Bacharach durch die Stadt und zerren ihn zum Neptunbrunnen, der damals noch am Kornmarkt steht. Hier wird Bacharach "getauft", sprich beinahe ertränkt. Die Polizei, deren Wache nicht weit entfernt vom Ort des Geschehens ist, greift erst ein, nachdem sich einige Bürger beschweren.

Für Hermann Bacharachs Kinder könnte dieser Vorfall der Tropfen gewesen sein, der das Fass zum überlaufen brachte. Sie wollen ausreisen. Bacharach Senior aber will bleiben, er ist zu alt um in den Vereinigten Staaten noch einmal von vorn zu beginnen. Er wird eines der ersten Opfer Buchenwalds und stirbt an den Folgen des Transports.

Zeitsprung in das Jahr 2013: Das Ehepaar Paul Growald und Eileen Rockefeller Growald, sie erfolgreiche Autorin, er Investor und Führungskraft im Fernsehbusiness der amerikanischen Ostküste, haben Freunde aus Großbritannien zu Besuch. Einer ihrer Gäste stammt ursprünglich aus Norddeutschland und man kommt ins Gespräch über Familie, Geschichte, Vergangenheit. Paul ist der Urenkel Hermann Bacharachs. Einmal schon, 1987, hat er Nordhausen zusammen mit seiner Mutter besucht. Aber die deutsche Seite seiner Familie wurde zumeist verneint.

"Jude und Deutscher sein, das geht nicht" so die gängige Überzeugung in seinem Umfeld. So lange der Großvater noch lebt, wird in Pauls Familie kein Deutsch gesprochen. Doch vergangenes Jahr, mit über 60, kommt Paul zu einer Einsicht: Verneine ich meine deutschen Wurzeln, verneine ich, dass man sowohl Jude als auch Deutscher sein kann, dann hat die Ideologie der Nazis gewonnen.

Paul macht sich also auf, seine "deutsche" Seite wiederzuentdecken und sich mit ihr zu versöhnen. Einer seiner ersten Ansprechpartner ist ein guter Freund der Familie, sein Pate Kurth Herrmann. Besagter Kurth Herrmann wanderte in den 1930er Jahren ebenfalls aus, kehrte aber später als G.I. und Übersetzer zurück. Sein Weg führte ihn damals auch nach Nordhausen.

Der Kreis wird geschlossen durch Dr. Manfred Schröter, den unermüdlichen Forscher, ohne den Nordhausen heute viel weniger über die Vergangenheit und das Schicksals seiner jüdischen Bürger wüsste. Schröter kannte die Geschichte des G.I.'s und hatte mit Herrmann korrespondiert. Über diese Verbindung fanden auch Paul Growald und seine Familie ihren Weg zurück nach Nordhausen.

Heute empfing sie der Oberbürgermeister Dr. Klaus Zeh in allen Ehren im Europazimmer und es entspann sich ein Dialog über Geschichte, ihre Wahrnehmung und Verantwortung. Paul war erfreut zu sehen, wie sehr sich die Stadt seit seinem letzten Besuch 1987 verändert hat. Zusammen mit seiner Frau und seinem 28 Jahre alten Sohn Adam suchten sie das alte Haus Hermann Bacharachs auf, das sich heute in bemitledenswerten Zustand befindet. Einer Firma aus Hamburg gehört das Gebäude. Sie wollte das Haus 2008 sanieren, seither ist nichts geschehen.

"Es ist viel Unrecht geschehen", sagte Dr. Zeh, "aber es ist uns eine Freude, das wir uns heute als weltoffener Staat präsentieren können und auch akzeptiert werden." Das es Menschen wie Paul Growlad gäbe, die den Schritt zurück an den Ort des Unrechts wagen, zeige das. "Es gibt wieder eine jüdische Gemeinde, jüdisches Leben in der Stadt" sagte Zeh und ergänzte, das er es auch als Aufgabe betrachte, das neue wie auch das alte jüdische Leben in Nordhausen zu achten und zu schützen.

Die Growalds sind wohlhabende Philanthropen, die sich mit Non-Profit-Organisationen für ihre Mitmenschen einsetzen wollen. Dem Sendungsbewusstsein nach außen steht aber auch die Selbsterkenntnis im inneren gegenüber. Pauls Frau Eileen, Tochter der Rockerfeller Dynastie, hat ein Buch mit dem Titel "Eine Rockefeller sein, ich selbst werden" ("Being a Rockefeller, Becoming myself") veröffentlicht und beschäftigt sich mit ihrer eigenen Familiengeschichte.

In diesem Sinne war es zwar ein kurzer, aber wichtiger Besuch eines Mannes, der versucht, sich selbst mit der Vergangenheit seiner Familie und ihrem Schicksal zu versöhnen. "So etwas kann Wellen schlagen" sagte seine Frau und hofft das andere dem Beispiel ihres Mannes folgen.

Auch wenn es viele gibt, die diesen Teil unserer Geschichte nur zu gerne vergessen würden, muss es unsere Aufgabe sein, das Vergessen zu verhindern oder doch wenigstens hinauszuzögern. Denn nur so kann verhindert werden, das sich, in welcher Form auch immer, wiederholt was sich nicht wiederholen darf, weder hier noch anderswo.

Besuche wie die Pauls und seiner Familie helfen, das nicht zu vergessen. Mr. Growald, thank you for your visit.
Angelo Glashagel
Autor: red

Kommentare
Icke82ndh
27.05.2014, 13.13 Uhr
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