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Do, 06:35 Uhr
20.06.2013

Menschenbilder (69)

Im Spätherbst 2013 veröffentlicht der Nordhäuser Autor Bodo Schwarzberg den zweiten, reich bebilderten Band der Buchreihe "Menschenbilder aus der Harz- und Kyffhäuserregion" - wiederum mit rund 200 Texten über Zeitzeugen unserer jüngeren Geschichte...

Louiza Vassileva Radeva

Tanzschule Radeva in Nordhausen und Sondershausen
Internet: www.tanzstudio-radeva.de


„Du hast Talent. Du musst in die staatliche Ballettschule“, sagte 1974 eine Tanzlehrerin zu Louiza Radeva, nachdem sie eine Zeitlang an einer Vorbereitungsschule für Ballett in Sofia trainiert hatte. Doch dieser Schritt, der tanzbegeisterten Mädchen den Weg zu den großen Bühnen ebnen konnte, war leichter gesagt, als getan: „An die einzige staatliche Ballettschule von Bulgarien zu kommen, war der Traum tausender Kinder. Aber weit mehr als 90 Prozent von ihnen erhielten keine Chance“, sagt die am 02.05.1965 in Sofia geborene Tanzlehrerin.

Sie selbst jedoch schaffte das fast Unmögliche: Zunächst gehörte sie in ihrem Jahrgang zu 200 Mädchen, die in die engere Wahl gekommen waren. 179 von ihnen fielen nach weiteren Vortanzwettbewerben durch das nächst engere Raster. Von den 21 Ballerinen, die 1974 schließlich an der „Anerkannten Staatlichen Choreografischen Schule für Ballett und Tanz“ in Sofia Aufnahme fanden, erlangten neun Jahre später lediglich 12 das Diplom als Tänzerin und Tanzpädagogin.

Louiza Radeva war unter ihnen. Mit unermüdlichem Fleiß und durch die größtmögliche Vervollkommnung ihres Talents hatte sie den Grundstein für eine sichere berufliche Zukunft gelegt. „Die Ausbildung war breit gefächert und sehr hart: vom klassischen Ballett, über Modern Dance bis hin zu Jazz-Dance und traditionellem bulgarischem Tanz“, sagt sie. Von besonderer Bedeutung für ihre künftige berufliche Entwicklung aber sei die Vermittlung des Graham-Tanzes gewesen. Er vor allem war es, der ihr später die Chance eröffnete, auch auf westeuropäischen Bühnen tanzen zu dürfen.

Erstmals war Louizas Mutter auf die Fähigkeiten der Kleinen aufmerksam geworden, als sie mit Vorliebe zur Musik in Radio und Fernsehen tanzte. Ihr verdankt sie auch den Eintritt in die Ballettvorbereitungsschule. „Allein durch Talent und Fleiß war ich an der Staatlichen Ballettschule erfolgreich. Die Beziehungen, die viele andere Schülerinnen, zum Beispiel auf Grund ihrer Herkunft aus prominenten bulgarischen Familien hatten, gab es für mich nicht“, bekräftigt sie. Von daher sei für sie eine Weiterentwicklung an dieser renommierten Einrichtung trotz ihres Diploms kaum zu realisieren gewesen.

Deswegen riet ihr eine Sofioter Trainerin, an die Staatliche Oper der bulgarischen Stadt Russe zu wechseln: Zu recht, wie sich herausstellte. Zwischen 1983 und 1990 besetzte sie dort nicht nur zahlreiche Hauptrollen, wie z.B. in Aida oder „Die schlechtbehütete Tochter“, sondern auch bei Fernsehaufnahmen war der junge Star gefragt („Die Schöne und das Biest“ u.a.). 1986 erlangte sie ein Zertifikat als „Künstlerische Leiterin für Kinder und Jugendliche“. Ein Jahr später erhielt sie den Preis „Gevant“ für moderne Choreografie.

Doch Louiza Radeva wollte mehr, wusste sie doch, dass sie mit ihren Fähigkeiten auch international nicht chancenlos sein würde. Ausgerechnet in der DDR, damals bei vielen bulgarischen Künstlern beliebt, blieben ihr aber die Türen verschlossen: „Da fehlten mir wieder die so wichtigen Beziehungen in höhere Kreise“, sagt sie dazu.

Unterstützt von ihrer Mutti, gelang es ihr allerdings, Ende der 80er Jahre ein Touristenvisum nach Belgien zu erreichen. Zugleich hatte sie das Glück, an einer belgischen Bühne einen Termin zum Probetanzen zu erhalten. Wenn da nicht ein wichtiges zu Hause vergessenes Reisedokument gewesen wäre! „Wegen fehlender Reiseschecks stieg ich aus dem Flieger nach Belgien wieder aus, womit die anvisierte Stelle natürlich hinfällig war“, denkt sie an eine ihrer schwerwiegendsten Erfahrungen zurück.

Auf einer weiteren Reise nach Belgien gelang es ihr immerhin, einen „kleinen Vertrag“ als Balletttänzerin abzuschließen. Damit hatte sie gewissermaßen den Fuß in der Tür: Der Weg an westeuropäische Bühnen war für Louiza Radeva frei.

Regelmäßig pendelte sie nunmehr zwischen belgischen und bulgarischen Bühnen: „Dadurch lernte ich die ganze Breite des europäischen Balletts kennen; den etwas stärker konservativen osteuropäischen Stil und den von mehr Freiheit und Improvisation geprägten Stil westlicher Länder. Auf diese Erfahrungen baute ich mein Repertoire“, erklärt sie.

Nach den Veränderungen, die sich aus der politischen Wende auch in Bulgarien einstellten, war der jungen Frau klar, dass sie in ihrer alten Heimat nicht mehr würde leben wollen. Mit den Worten „Du gehörst nicht nach Sofia“, bestärkte sie ihr Chef aus Russe in dieser Entscheidung.

Die Beliebtheit des Nordhäuser Theaters war es schließlich, die Bekannte meiner Gesprächspartnerin dazu bewog, sie zu einer Bewerbung an dieser Bühne zu ermuntern. „Ich verliebte mich sofort in dieses Theater und hatte mit meiner Bewerbung als Solotänzerin Erfolg. Trotz der Unsicherheit nach der Wende verbrachte ich hier meine schönste Zeit“, sagt sie. 1992 heiratete sie den bulgarischen Sänger Dimitar Radev, der ebenfalls am Theater Nordhausen engagiert war und auch heute noch engagiert ist. Drei Jahre später erblickte die gemeinsame Tochter Maria-Louiza das Licht der Welt.

In demselben Jahr entschied sie sich zur Gründung einer eigenen Ballettschule: „Diese Entscheidung beruhte auf den Unsicherheiten bezüglich der Zukunft des Theaters, aber auch darauf, dass ich mit 30 als Balletttänzerin nicht mehr die Leichtigkeit einer 20-jährigen auf die Bühne zaubern konnte“, sagt sie. Und nicht zuletzt hatte sie bereits in Russe erfolgreich mit Kindern gearbeitet.

Gesagt getan: Noch 1995 eröffnete Louiza Radeva in Sondershausen ihre Ballettschule. Zunächst trainierte sie die Kinder in der dortigen Käthe-Kollwitz-Schule. Heute nutzt sie Räumlichkeiten am Sondershäuser Schloss.

Auf Grund des großen Zuspruchs wagte die Unternehmerin 2006 den Sprung nach Nordhausen. Die Kinder eines ökumenischen Kindergartens waren die ersten, denen sie hier Tanzschritte vermittelte: Seit 1996 verfügt sie über großzügige Räumlichkeiten: Am Alten Tor 14 gegenüber dem neuen Landratsamt. Der Zuspruch ist gewaltig: Mit 27 Kindern begann die diplomierte Balletttänzerin und Tanzpädagogin. Diese Zahl hat sich bis heute vervielfacht. Montags, mittwochs und freitags findet der Unterricht Am Alten Tor statt, dienstags und donnerstags im Schloss Sondershausen, montags nach wie vor im ökumenischen Kindergarten Nordhausen sowie an der Evangelischen Schule Krimderode.

„In meiner Schule geht es nicht um stupides und hartes Training. An erster Stelle steht das freudvolle, auch spaßige Vermitteln des Tanzens. Die Kinder, von denen die jüngsten dreieinhalb Jahre alt sind, sollen in der Tanzschule eine schöne Zeit verbringen“, skizziert sie ihre Philosophie. Die Höhepunkte im Leben der Tanzschule Radeva sind natürlich die öffentlichen Auftritte, vor allem im Nordhäuser Theater. Die tanzenden und liebevoll kostümierten Kinder sind oftmals die „Aufmacher“ der Tagespresse: „Erwartungen weit übertroffen“, „Märchenhafte Kulisse“ oder „Spitzenleistungen auf spitzen Schuhen“ lauten einige der zugehörigen Überschriften.

Besonders beliebt sind beispielsweise Aufführungen von „Dornröschen“ oder der Operette „Nussknacker“. Und weil Louiza Radeva das Besondere liebt, wagt sie 2013 die Aufführung des Balletts „Aschenbrödel“ – und zwar nicht, wie meist üblich, nach Sergeij Prokofjew, sondern nach Johann Strauß (Sohn).

Die Zusammenarbeit mit dem Nordhäuser Theater bezeichnet die Wahlnordhäuserin als ganz hervorragend. Oft bringen sich von ihr trainierte Kinder auch in andere Aufführungen der Bühne ein. Mit ihrer Schule präsentiert sie sich aber auch bei anderen öffentlichen Anlässen wie Stadt-, Wein-, Kunst- und Frühlingsfesten. Und das oft auch für einen guten Zweck, wie z.B. zugunsten krebskranker Kinder oder für ein Kinderhospiz.

Keinesfalls unerwähnt bleiben sollte die Tatsache, dass die Balletttänzerin praktisch alle Requisiten und die Kostüme für die kleinen Künstler in oft wochenlanger Kleinarbeit aufwändig selbst anfertigt.

Auch die Freizeit meiner Gesprächspartnerin ist übrigens von Kunst und Kultur geprägt: Theateraufführungen besucht sie in Thüringen, aber auch weit darüber hinaus.

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Autor: red

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