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Fr, 06:46 Uhr
23.11.2012

Menschenbilder (53)

Im Spätherbst 2013 veröffentlicht der Nordhäuser Autor Bodo Schwarzberg den zweiten, reich bebilderten Band der Buchreihe "Menschenbilder aus der Harz- und Kyffhäuserregion" - wiederum mit rund 200 Texten über Zeitzeugen unserer jüngeren Geschichte...

Dr. med. André Haas

Facharzt für Allgemeinmedizin
Vorreiter auf dem Gebiet der Palliativmedizin in Nordthüringen



„Sie brauchen sich nicht zu beeilen, sie hat es gleich geschafft.“ – Dieser Satz wurde für Dr. med. André Haas zur Initialzündung zugunsten seines vielfältigen Engagements auf dem Gebiet der Palliativmedizin, ja für ein Leben zum Wohle Jener, die als Sterbende, so der Mediziner, in Deutschland keine Lobby haben. Als er diese Worte hörte, war der am 24.11.1969 in Kassel geborene Neustädter Hausarzt Truppenarzt an einem Bundeswehrstandort in Nordhessen.

Nebenberuflich arbeitete er als Notarzt, was für ihn jedoch oftmals eine dienstliche Bereitschaft von 80 bis 100 Stunden pro Woche bedeutete. Den Satz hörte er aus dem Mund einer Schwester, die für das Wohlergehen von Menschen in einem Altenheim mit verantwortlich war. „Diese Worte bestätigten mir, dass die Mitarbeiter in derartigen Heimen mit dem Sterben der Bewohner überfordert sind. Statt ihnen eine Palliativbehandlung zu gewähren, fordern die Beschäftigten oft den Notarzt an. Dieser aber ist erst die letzte Instanz der Rettung“, betont André Haas.

Während seiner Einsätze in nordhessischen Alten- und Pflegeheimen hat er oft schwer kranke Menschen reanimiert: „Meist liegt keine Patientenverfügung vor, aus der hervorgeht, wie im Falle einer lebensbedrohlichen Situation mit den Patienten umzugehen ist. Im Zweifelsfall bin ich verpflichtet, das Leben mit allen mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu erhalten“, sagt er. Und: „Ich merkte, dass in Deutschland ein Mangel an medizinischen Fachleuten besteht, die sich mit dem Sterben beschäftigen. Das wollte ich ändern.“

Mit weiteren Gedanken bekräftigt André Haas seine Grundeinstellung als Arzt: „Wir können die Symptome Schwerkranker heute gut kontrollieren. Wir können ihnen die Angst vor dem Sterben nehmen. Nur die Angst davor führt zum Wunsch nach aktiver Sterbehilfe.“ – Bestärkt wurde er in dieser Auffassung auch von seinen Erfahrungen, die aus dem Umgang mit seinem an einer unheilbaren Erkrankung leidenden Vater herrührten. „Ich habe ihm ein würdevolles Sterben zu Hause ermöglicht“, sagt er. In Nordthüringen etablierte er gemeinsam mit vielen Gleichgesinnten ein beispielgebendes Netzwerk unterschiedlichster Institutionen. „Wir akzeptieren das Sterben als einen natürlichen Prozess und als Teil des Lebens.

Gerade deswegen darf es auf diesem Gebiet keine unterversorgten Patienten mehr geben.“ – Vielfältige und breitgestreute menschliche und Berufserfahrungen stellten für das heutige Engagement meines Gesprächspartners wichtige Weichen: Nach dem mit „sehr gut“ bestandenen Abitur stellte er sich, vor allem auf Wunsch seines Vaters, in den Dienst der Bundeswehr mit dem Ziel Sanitätsoffizier. „Die Kategorisierung von Menschen bei der Armee behagte mir ebenso wenig, wie die Art des Umganges der Soldaten miteinander. Andererseits standen mir auf medizinischem Gebiet viele Möglichkeiten offen“, denkt er zurück.

Vor allem auf Grund des hohen naturwissenschaftlichen Anspruchs, hatte er sich für ein Medizinstudium entschieden, zu dem er von 1991 bis 1997 an die Universität Rostock, also an eine ostdeutsche Universität, delegiert wurde – übrigens als einziger Sanitätsoffiziersanwärter seiner Einheit. Die Prüfungen zum Physikum waren besonders anspruchsvoll, weil sie noch nach DDR-Recht, also nicht mit per Kreuz zu beantwortenden Fragen, absolviert werden mussten. „Das habe ich sehr begrüßt. Mit dem Auswendiglernen kam man nicht weit. Es wurde echtes, anwendungsbereites Wissen verlangt und abgefragt“, denkt er zurück.

Auf Grund seines großen Interesses für die Chemie promovierte er im Jahre 2000 über ein entsprechendes Thema: „Genetische Analyse einer Familie mit hereditärer Plexus - brachiales – Neuropathie“ (eine sehr seltene Erkrankung).

Der junge Arzt kehrte als Assistenzarzt an das Bundeswehrkrankenhaus in Hamm/Westphalen zurück und fand insbesondere beim Leiter des „Standort-Sanitätszentrums“ in Hessisch-Lichtenau, Oberfeldarzt Dr. Axel Sternke als Truppenarzt, eine wertvolle Unterstützung auf seinem weiteren fachlichen Weg. Mit Qualifikationen, vor allem auf den Gebieten Anästhesie, Chirurgie und Innere Medizin vervollkommnete André Haas sein Fachwissen. „Für meine Tätigkeit standen mir 12 Betten, eine Physiotherapie, Röntgengeräte und ein OP zur Verfügung – wie in einem kleinen Krankenhaus“, sagt er. Parallel zu seiner Tätigkeit als Truppenarzt fuhr er, wie bereits erwähnt, hunderte Notarzteinsätze.

Als eine sehr schwerwiegende Erfahrung charakterisiert der Neustädter Arzt seinen Einsatz als Militärarzt im Kosovo im Jahre 2000. „Wir wurden mit dem ganzen Ausmaß dieser ethischen Katastrophe konfrontiert. Wochenlang betreuten wir die Soldaten, die mit der Identifizierung der Toten aus den Massengräbern befasst waren. Auch die große Armut der Einwohner hat mich entsetzt“, erklärt er.

Doch an seiner persönlichen Zielstellung als Arzt, auf dem Gebiet der Palliativmedizin Maßstäbe zu setzen, hielt er auch während dieser Zeit fest: Mit Blick auf eine spätere Hausarztpraxis hatte er sich für eine fachärztliche Qualifizierung auf dem Gebiet der Allgemeinmedizin entschieden und absolvierte außerdem in Hessisch-Lichtenau ein Fernstudium zum Diplom-Gesundheitsökonom. Mit den Worten „Das Qualitätsmanagement zum Wohle der uns in einer Praxis anvertrauten Patienten, aber auch der Mitarbeiter, steht bei mir ganz weit oben“, begründet er das abermalige Drücken der harten Schulbänke.

Weil seine Ehefrau, die aus Eisenhüttenstadt stammende Dr. med. Antje Haas, im Jahre 2006 ihre Stellung am Evangelischen Fachkrankenhaus Neustadt angetreten hatte, entschied sich auch mein Gesprächspartner für den Südharz als seine künftige Heimat. Dass die damals dreiköpfige Familie (Sohn Leo wurde 2003 geboren) ihren Wohnsitz in Ilfeld nahm, begründet er vor allem mit dem damals in Planung befindlichen Christlichen Hospiz in Neustadt: „Das entsprach genau meinen Vorstellungen. Hier wollte ich Strukturen auf dem Gebiet der Palliativmedizin aufbauen“, betont er. Am Ring 5 des Luftkurortes übernahm er die Hausarztpraxis von seinem Vorgänger Dr. med. Herwig Kromer, demgegenüber er sich für die umfassende Unterstützung zu ganz besonderem Dank verpflichtet fühlt.

Die Versorgung sterbender Menschen hat sich in den vergangenen Jahren durch den engagierten, sehr zeit- und arbeitsintensiven Einsatz von André Haas und vielen anderen Wegbereitern auf diesem Gebiet in Nordthüringen maßgeblich verbessert: Hierzu tragen zum Beispiel der Qualitätszirkel Palliativmedizin (von Dr. Haas gegründet) und der Hausärzte-Stammtisch bei, dessen Leitung er von Herrn Dr. Kromer übernahm und weiter ausgebaut hat: Rund 40 Mediziner treffen sich regelmäßig und werden von Referenten auf den verschiedensten Gebieten geschult. Stolz ist André Haas insbesondere auch auf die durch ihn vorangebrachte Etablierung der (bundesweit angewandten) Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) in den Landkreisen Nordhausen und im Kyffhäuserkreis.

Mein Gesprächspartner nennt den Grundgedanken der SAPV: „Das, was wir im Hospiz können, können wir auch zu Hause. Wir möchten den Patienten ermöglichen, in ihrer gewohnten Umgebung, also zu Hause, zu sterben“, sagt er. Vielfach setzt die Behandlung in den eigenen vier Wänden die Installation besonderer technischer Strukturen voraus: „Warum wir bestimmte SAPV-Leistungen anwenden müssen, z.B. eine so genannte Schmerzpumpe, müssen wir dabei nachweisen. Das ist sehr, sehr bürokratisch“, sagt André Haas.

Das Palliativnetz wurde gegründet, um den fachlichen Austausch zwischen den mit der Palliativmedizin befassten Ärzten zu fördern. „Wir unterhalten uns anlässlich von Veranstaltungen über viele einzelne Fälle und die in ihrem Rahmen getroffenen speziellen Maßnahmen. Wir dürfen niemals im eigenen Saft schmoren“, betont er. Zum Netz zugunsten schwerkranker und sterbender Menschen, die zu Hause versorgt werden, gehören außerdem der Hospizverein Nordhausen (ehrenamtlich) und die Palliativstation Nordhausen.

Vom Blick meines Gesprächspartners über den Tellerrand auf dem Gebiet der Palliativmedizin kündet auch dessen Kontaktaufnahme zum „Zentrum für Würde im Alter“ in Norwegen. „Von dort erhielt ich wegweisende Anregungen für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Pflegeheimen“, erklärt er.

Als Ergebnis dessen kann insbesondere die Zusammenarbeit des Arztes mit dem Nordhäuser Seniorenwerk seit 01.01.2011 gesehen werden. Gemeinsam mit dem Juristen Christian Döring ist er seit demselben Jahr zudem Geschäftsführer des Medizinischen Versorgungszentrums „Tumorzentrum Nordthüringen“.

Wer aber denkt, damit sei für den Arzt eine Sieben-Tage-Woche nun wirklich ausgefüllt, der irrt: „Als entschiedener Verfechter des Qualitätsmanagments in der Arztpraxis ist André Haas für das Aqua-Institut als Visitor tätig und zertifiziert in dessen Auftrag Arztpraxen. „Möglichst viele Arztpraxen sollen sich zertifizieren lassen. Ich weiß aus meiner eigenen Praxis, wie bedeutsam die Ökonomie in der Medizin ist. Alle, Arzt, Mitarbeiter und Patienten, profitieren von ihr“, betont er. Ganz in diesem Sinne hat er selbst eine Praxis-Managerin eingestellt, die für die „Durchorganisierung der Praxis“ längst unverzichtbar geworden ist. Regional zeigt sich das Qualitätsmanagement übrigens auch in dem von Dr. Haas initiierten ‚Hausärzte-Qualitätszirkel“.

„All dies macht sehr viel Arbeit. Aber die Bemühung um das Wohl sterbender und schwerkranker Menschen ist für mich Berufung und Leidenschaft“, sagt er. Dennoch gelingt es dem engagierten Arzt, Zeit für seine Familie zu finden, zu der neben dem bereits genannten Sohn Leo auch die Jungen Felix und Yannis (geb. 2005 und 2008) gehören. Er ließ es sich sogar nicht nehmen, für seinen ersten Sohn eineinhalb Jahre Elternzeit zu übernehmen. An jedem Montag geht er mit seiner Frau auch heute noch tanzen. „Das kann man alles organisieren“, schmunzelt André Haas.
Autor: nnz

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